Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorrede.
jener des Nachahmers; nur selten trat er als
Alleinherrscher auf.

Dadurch aber wurden dem Forschungsgeiste
gewisse Grenzen vorgeschrieben, die dem Kitzel der
Selbstthätigkeit und der Eitelkeit zur Last wa-
ren. Auch ist es unendlich viel leichter und
schmeichelhafter, sich eine eigne Welt von Krank-
heiten und ihren Ursachen zu schaffen, als die
wirklichen, oft so versteckten Erscheinungen der
Natur zu beobachten, sie von ihrer richtigen
Seite zu beurtheilen, und eine vernünftige
Heilart darauf zu gründen. Man suchte zu erst
zu erklären, und ersann eine Meinung nach der
andern. Die Lieblingshypothesen der Jahrhun-
derte wurden in die Arzneywissenschaft über-
tragen, in der folglich, je nachdem die physi-
schen Kenntniße waren, mehr oder weniger Un-
sinn herrschte, bis hie und da ein Mann her-
vorkam, der die Natur wieder in ihre Rechte
einsetzte.


Dieser

Vorrede.
jener des Nachahmers; nur ſelten trat er als
Alleinherrſcher auf.

Dadurch aber wurden dem Forſchungsgeiſte
gewiſſe Grenzen vorgeſchrieben, die dem Kitzel der
Selbſtthaͤtigkeit und der Eitelkeit zur Laſt wa-
ren. Auch iſt es unendlich viel leichter und
ſchmeichelhafter, ſich eine eigne Welt von Krank-
heiten und ihren Urſachen zu ſchaffen, als die
wirklichen, oft ſo verſteckten Erſcheinungen der
Natur zu beobachten, ſie von ihrer richtigen
Seite zu beurtheilen, und eine vernuͤnftige
Heilart darauf zu gruͤnden. Man ſuchte zu erſt
zu erklaͤren, und erſann eine Meinung nach der
andern. Die Lieblingshypotheſen der Jahrhun-
derte wurden in die Arzneywiſſenſchaft uͤber-
tragen, in der folglich, je nachdem die phyſi-
ſchen Kenntniße waren, mehr oder weniger Un-
ſinn herrſchte, bis hie und da ein Mann her-
vorkam, der die Natur wieder in ihre Rechte
einſetzte.


Dieſer
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009" n="IV"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</hi></fw><lb/>
jener des Nachahmers; nur &#x017F;elten trat er als<lb/>
Alleinherr&#x017F;cher auf.</p><lb/>
        <p>Dadurch aber wurden dem For&#x017F;chungsgei&#x017F;te<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Grenzen vorge&#x017F;chrieben, die dem Kitzel der<lb/>
Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit und der Eitelkeit zur La&#x017F;t wa-<lb/>
ren. Auch i&#x017F;t es unendlich viel leichter und<lb/>
&#x017F;chmeichelhafter, &#x017F;ich eine eigne Welt von Krank-<lb/>
heiten und ihren Ur&#x017F;achen zu &#x017F;chaffen, als die<lb/>
wirklichen, oft &#x017F;o ver&#x017F;teckten Er&#x017F;cheinungen der<lb/>
Natur zu beobachten, &#x017F;ie von ihrer richtigen<lb/>
Seite zu beurtheilen, und eine vernu&#x0364;nftige<lb/>
Heilart darauf zu gru&#x0364;nden. Man &#x017F;uchte zu er&#x017F;t<lb/>
zu erkla&#x0364;ren, und er&#x017F;ann eine Meinung nach der<lb/>
andern. Die Lieblingshypothe&#x017F;en der Jahrhun-<lb/>
derte wurden in die Arzneywi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft u&#x0364;ber-<lb/>
tragen, in der folglich, je nachdem die phy&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen Kenntniße waren, mehr oder weniger Un-<lb/>
&#x017F;inn herr&#x017F;chte, bis hie und da ein Mann her-<lb/>
vorkam, der die Natur wieder in ihre Rechte<lb/>
ein&#x017F;etzte.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;er</fw><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IV/0009] Vorrede. jener des Nachahmers; nur ſelten trat er als Alleinherrſcher auf. Dadurch aber wurden dem Forſchungsgeiſte gewiſſe Grenzen vorgeſchrieben, die dem Kitzel der Selbſtthaͤtigkeit und der Eitelkeit zur Laſt wa- ren. Auch iſt es unendlich viel leichter und ſchmeichelhafter, ſich eine eigne Welt von Krank- heiten und ihren Urſachen zu ſchaffen, als die wirklichen, oft ſo verſteckten Erſcheinungen der Natur zu beobachten, ſie von ihrer richtigen Seite zu beurtheilen, und eine vernuͤnftige Heilart darauf zu gruͤnden. Man ſuchte zu erſt zu erklaͤren, und erſann eine Meinung nach der andern. Die Lieblingshypotheſen der Jahrhun- derte wurden in die Arzneywiſſenſchaft uͤber- tragen, in der folglich, je nachdem die phyſi- ſchen Kenntniße waren, mehr oder weniger Un- ſinn herrſchte, bis hie und da ein Mann her- vorkam, der die Natur wieder in ihre Rechte einſetzte. Dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/9
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/9>, abgerufen am 09.11.2024.