klagen, daß große Posten Kunstwolle mit und neben neuer Schafwolle zu Garn und Geweben verarbeitet wird.
Für den Färber kommt hier noch besonders in Betracht, daß die Kunstwolle gegen Farbstoffe ein wesentlich anderes Verhalten zeigt und zeigen muß als neue Wolle. Ja, sie kann geradezu zur Pein werden, wenn der Färber Garne oder Gewebe zum Färben erhält, welche aus Wolle mit Kunstwollezusatz verwebt sind. Bei solchen Garnen und Geweben wird alle Kunst und Erfahrung auch des besten und gewandte- sten Färbers zu nichte. Das ungleiche Anziehen der Farben, das Fleckig- werden von Wollstücken beim Färben und noch eine ganze Anzahl solcher Fatalitäten hat seinen Grund in der Anwesenheit von Kunstwolle im Garn oder Gewebe. Daß der Färber hier eine gleichmäßige Farbe sehr häufig nicht erzielen kann, liegt auf der Hand; er wird aber gemeinhin für das Mißlingen verantwortlich gemacht werden, an dem er doch nicht die ge- ringste Schuld trägt.
Unter Kunstwolle versteht man jedoch nicht allein die aus Woll- und halbwollenen Lumpen gewonnene Wollfaser, sondern auch die schlechtesten und billigsten Abgänge bei der Wollkämmerei, der Kamm- und Streichgarn- spinnerei, sowie den Krempelausputz, die Abgänge beim Rauhen etc. Diese Abfälle werden auch wieder versponnen, aber man vermag nur etwa 30 Pro- zent des Gewichts an Garn daraus zu gewinnen. Während die eigentliche Kunstwolle sich zur Not bis zu Garnnummer 10 allein verspinnen läßt, erfordern die erwähnten Abfälle beim Verspinnen eines Zusatzes von frischer Wolle. Auch die Abgänge in den Vigognespinnereien werden zur Zeit durch eigene Spinnereien zu grobem Garne versponnen.
Das Vorkommen von Kunstwolle in Garnen und Geweben neben neuer Schafwolle ist eine Quelle steten Aergers und das um so mehr, als der einwandfreie Nachweis der Kunstwolle sehr schwierig ist. Ueber den Nach- weis der Kunstwolle siehe den nächsten Paragraphen.
Künstliche Seide. Versuche zur Herstellung einer künstlichen Seide sind mehrfach gemacht worden, aber ohne Erfolg.
Dagegen sind die Versuche, vegetabilische Fasern mit einer Seidenlösung zu tränken, aller Beachtung wert. Ein recht vernunftgemäßes Verfahren ist das von P. Hosemann, welcher Seide in Alkalien löst, und die an- gefeuchtete vegetabilische Faser mehrmals durch eine konzentrierte Seidenlösung zieht, dann zwei Stunden auf ein starkes Schwefelsäurebad geht und schließ- lich gut spült. Die so behandelten Stoffe können gebleicht und gefärbt wer- den, wie Seide und verlieren ihren seidenartigen Charakter nicht.
Neuerdings hat wieder ein Franzose Chardonnet sich ein Verfahren zur Erzeugung von Kunstseide patentieren lassen. Dieses Verfahren bezweckt nichts geringeres, als die in Kollodium gelöst enthaltene Nitrocellulose durch eine mechanische Operation in eine Gespinnstfaser zu verwandeln *). Mir will das Verfahren noch nicht einleuchten. Wenn es auch wirklich gelingen sollte, durch Pressen durch ein feines Rohr oder Mundstück eine im halb- harten Zustande nach Belieben dehnbare Spinnfaser zu erzeugen, so möchte ich doch eindringlich davor warnen, diese Gespinnstfaser jemals praktisch zu
*) Ausführlicheres hierüber siehe "Deutsche Färberzeitung" 1888, Nr. 9 u. 10.
klagen, daß große Poſten Kunſtwolle mit und neben neuer Schafwolle zu Garn und Geweben verarbeitet wird.
Für den Färber kommt hier noch beſonders in Betracht, daß die Kunſtwolle gegen Farbſtoffe ein weſentlich anderes Verhalten zeigt und zeigen muß als neue Wolle. Ja, ſie kann geradezu zur Pein werden, wenn der Färber Garne oder Gewebe zum Färben erhält, welche aus Wolle mit Kunſtwollezuſatz verwebt ſind. Bei ſolchen Garnen und Geweben wird alle Kunſt und Erfahrung auch des beſten und gewandte- ſten Färbers zu nichte. Das ungleiche Anziehen der Farben, das Fleckig- werden von Wollſtücken beim Färben und noch eine ganze Anzahl ſolcher Fatalitäten hat ſeinen Grund in der Anweſenheit von Kunſtwolle im Garn oder Gewebe. Daß der Färber hier eine gleichmäßige Farbe ſehr häufig nicht erzielen kann, liegt auf der Hand; er wird aber gemeinhin für das Mißlingen verantwortlich gemacht werden, an dem er doch nicht die ge- ringſte Schuld trägt.
Unter Kunſtwolle verſteht man jedoch nicht allein die aus Woll- und halbwollenen Lumpen gewonnene Wollfaſer, ſondern auch die ſchlechteſten und billigſten Abgänge bei der Wollkämmerei, der Kamm- und Streichgarn- ſpinnerei, ſowie den Krempelausputz, die Abgänge beim Rauhen ꝛc. Dieſe Abfälle werden auch wieder verſponnen, aber man vermag nur etwa 30 Pro- zent des Gewichts an Garn daraus zu gewinnen. Während die eigentliche Kunſtwolle ſich zur Not bis zu Garnnummer 10 allein verſpinnen läßt, erfordern die erwähnten Abfälle beim Verſpinnen eines Zuſatzes von friſcher Wolle. Auch die Abgänge in den Vigogneſpinnereien werden zur Zeit durch eigene Spinnereien zu grobem Garne verſponnen.
Das Vorkommen von Kunſtwolle in Garnen und Geweben neben neuer Schafwolle iſt eine Quelle ſteten Aergers und das um ſo mehr, als der einwandfreie Nachweis der Kunſtwolle ſehr ſchwierig iſt. Ueber den Nach- weis der Kunſtwolle ſiehe den nächſten Paragraphen.
Künſtliche Seide. Verſuche zur Herſtellung einer künſtlichen Seide ſind mehrfach gemacht worden, aber ohne Erfolg.
Dagegen ſind die Verſuche, vegetabiliſche Faſern mit einer Seidenlöſung zu tränken, aller Beachtung wert. Ein recht vernunftgemäßes Verfahren iſt das von P. Hoſemann, welcher Seide in Alkalien löſt, und die an- gefeuchtete vegetabiliſche Faſer mehrmals durch eine konzentrierte Seidenlöſung zieht, dann zwei Stunden auf ein ſtarkes Schwefelſäurebad geht und ſchließ- lich gut ſpült. Die ſo behandelten Stoffe können gebleicht und gefärbt wer- den, wie Seide und verlieren ihren ſeidenartigen Charakter nicht.
Neuerdings hat wieder ein Franzoſe Chardonnet ſich ein Verfahren zur Erzeugung von Kunſtſeide patentieren laſſen. Dieſes Verfahren bezweckt nichts geringeres, als die in Kollodium gelöſt enthaltene Nitrocelluloſe durch eine mechaniſche Operation in eine Geſpinnſtfaſer zu verwandeln *). Mir will das Verfahren noch nicht einleuchten. Wenn es auch wirklich gelingen ſollte, durch Preſſen durch ein feines Rohr oder Mundſtück eine im halb- harten Zuſtande nach Belieben dehnbare Spinnfaſer zu erzeugen, ſo möchte ich doch eindringlich davor warnen, dieſe Geſpinnſtfaſer jemals praktiſch zu
*) Ausführlicheres hierüber ſiehe „Deutſche Färberzeitung“ 1888, Nr. 9 u. 10.
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Garn und Geweben verarbeitet wird.
Für den Färber kommt hier noch beſonders in Betracht, daß die
Kunſtwolle gegen Farbſtoffe ein weſentlich anderes Verhalten
zeigt und zeigen muß als neue Wolle. Ja, ſie kann geradezu zur
Pein werden, wenn der Färber Garne oder Gewebe zum Färben erhält,
welche aus Wolle mit Kunſtwollezuſatz verwebt ſind. Bei ſolchen Garnen
und Geweben wird alle Kunſt und Erfahrung auch des beſten und gewandte-
ſten Färbers zu nichte. Das ungleiche Anziehen der Farben, das Fleckig-
werden von Wollſtücken beim Färben und noch eine ganze Anzahl ſolcher
Fatalitäten hat ſeinen Grund in der Anweſenheit von Kunſtwolle im Garn
oder Gewebe. Daß der Färber hier eine gleichmäßige Farbe ſehr häufig
nicht erzielen kann, liegt auf der Hand; er wird aber gemeinhin für das
Mißlingen verantwortlich gemacht werden, an dem er doch nicht die ge-
ringſte Schuld trägt.
Unter Kunſtwolle verſteht man jedoch nicht allein die aus Woll- und
halbwollenen Lumpen gewonnene Wollfaſer, ſondern auch die ſchlechteſten
und billigſten Abgänge bei der Wollkämmerei, der Kamm- und Streichgarn-
ſpinnerei, ſowie den Krempelausputz, die Abgänge beim Rauhen ꝛc. Dieſe
Abfälle werden auch wieder verſponnen, aber man vermag nur etwa 30 Pro-
zent des Gewichts an Garn daraus zu gewinnen. Während die eigentliche
Kunſtwolle ſich zur Not bis zu Garnnummer 10 allein verſpinnen läßt,
erfordern die erwähnten Abfälle beim Verſpinnen eines Zuſatzes von friſcher
Wolle. Auch die Abgänge in den Vigogneſpinnereien werden zur Zeit durch
eigene Spinnereien zu grobem Garne verſponnen.
Das Vorkommen von Kunſtwolle in Garnen und Geweben neben neuer
Schafwolle iſt eine Quelle ſteten Aergers und das um ſo mehr, als der
einwandfreie Nachweis der Kunſtwolle ſehr ſchwierig iſt. Ueber den Nach-
weis der Kunſtwolle ſiehe den nächſten Paragraphen.
Künſtliche Seide. Verſuche zur Herſtellung einer künſtlichen Seide
ſind mehrfach gemacht worden, aber ohne Erfolg.
Dagegen ſind die Verſuche, vegetabiliſche Faſern mit einer Seidenlöſung
zu tränken, aller Beachtung wert. Ein recht vernunftgemäßes Verfahren
iſt das von P. Hoſemann, welcher Seide in Alkalien löſt, und die an-
gefeuchtete vegetabiliſche Faſer mehrmals durch eine konzentrierte Seidenlöſung
zieht, dann zwei Stunden auf ein ſtarkes Schwefelſäurebad geht und ſchließ-
lich gut ſpült. Die ſo behandelten Stoffe können gebleicht und gefärbt wer-
den, wie Seide und verlieren ihren ſeidenartigen Charakter nicht.
Neuerdings hat wieder ein Franzoſe Chardonnet ſich ein Verfahren
zur Erzeugung von Kunſtſeide patentieren laſſen. Dieſes Verfahren bezweckt
nichts geringeres, als die in Kollodium gelöſt enthaltene Nitrocelluloſe durch
eine mechaniſche Operation in eine Geſpinnſtfaſer zu verwandeln *). Mir
will das Verfahren noch nicht einleuchten. Wenn es auch wirklich gelingen
ſollte, durch Preſſen durch ein feines Rohr oder Mundſtück eine im halb-
harten Zuſtande nach Belieben dehnbare Spinnfaſer zu erzeugen, ſo möchte
ich doch eindringlich davor warnen, dieſe Geſpinnſtfaſer jemals praktiſch zu
*) Ausführlicheres hierüber ſiehe „Deutſche Färberzeitung“ 1888, Nr. 9 u. 10.
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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/110>, abgerufen am 27.11.2024.
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