Die Prüfung der Geschicklichkeiten muß we- niger durch öffentliche Examina und feyerliche Un- tersuchungen, als durch die beständige Aufmerk- samkeit auf die gewöhnlichen Arbeiten, geschehen. Ueberdieß sollten die ersten Probestücke nicht sowohl ganz neue Ausarbeitungen seyn, die gemeiniglich elend und leer sind, und nur den Stolz der jun- gen Leute vermehren, und die Zeit zum Lernen neh- men, sondern freye Wiederholungen des Gelern- ten. Das erste, wodurch sich die Seele im Den- ken übt, ist, die Gedanken anderer mit eignen Ausdrücken zu wiederholen, und einige eigne da- mit zu vermischen. Durch nichts also könnte man die Geschicklichkeit besser erforschen, als wenn der Schüler (der während des Unterrichts nichts oder nur so viel, als zur Erhaltung der Aufmerk- samkeit nothwendig ist, aufzeichnen müßte) für sich selbst alsdann eben diese Materie, als wenn er zu unterrichten hätte, schriftlich oder mündlich vortrüge. Man würde auf diese Art sowohl die Art von Wissenschaft, als den Grad der Fähigkeit, der einem jeden zukäme, erkennen.
Ueber die Pruͤfung
Die Pruͤfung der Geſchicklichkeiten muß we- niger durch oͤffentliche Examina und feyerliche Un- terſuchungen, als durch die beſtaͤndige Aufmerk- ſamkeit auf die gewoͤhnlichen Arbeiten, geſchehen. Ueberdieß ſollten die erſten Probeſtuͤcke nicht ſowohl ganz neue Ausarbeitungen ſeyn, die gemeiniglich elend und leer ſind, und nur den Stolz der jun- gen Leute vermehren, und die Zeit zum Lernen neh- men, ſondern freye Wiederholungen des Gelern- ten. Das erſte, wodurch ſich die Seele im Den- ken uͤbt, iſt, die Gedanken anderer mit eignen Ausdruͤcken zu wiederholen, und einige eigne da- mit zu vermiſchen. Durch nichts alſo koͤnnte man die Geſchicklichkeit beſſer erforſchen, als wenn der Schuͤler (der waͤhrend des Unterrichts nichts oder nur ſo viel, als zur Erhaltung der Aufmerk- ſamkeit nothwendig iſt, aufzeichnen muͤßte) fuͤr ſich ſelbſt alsdann eben dieſe Materie, als wenn er zu unterrichten haͤtte, ſchriftlich oder muͤndlich vortruͤge. Man wuͤrde auf dieſe Art ſowohl die Art von Wiſſenſchaft, als den Grad der Faͤhigkeit, der einem jeden zukaͤme, erkennen.
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Ueber die Pruͤfung
Die Pruͤfung der Geſchicklichkeiten muß we-
niger durch oͤffentliche Examina und feyerliche Un-
terſuchungen, als durch die beſtaͤndige Aufmerk-
ſamkeit auf die gewoͤhnlichen Arbeiten, geſchehen.
Ueberdieß ſollten die erſten Probeſtuͤcke nicht ſowohl
ganz neue Ausarbeitungen ſeyn, die gemeiniglich
elend und leer ſind, und nur den Stolz der jun-
gen Leute vermehren, und die Zeit zum Lernen neh-
men, ſondern freye Wiederholungen des Gelern-
ten. Das erſte, wodurch ſich die Seele im Den-
ken uͤbt, iſt, die Gedanken anderer mit eignen
Ausdruͤcken zu wiederholen, und einige eigne da-
mit zu vermiſchen. Durch nichts alſo koͤnnte man
die Geſchicklichkeit beſſer erforſchen, als wenn der
Schuͤler (der waͤhrend des Unterrichts nichts
oder nur ſo viel, als zur Erhaltung der Aufmerk-
ſamkeit nothwendig iſt, aufzeichnen muͤßte) fuͤr
ſich ſelbſt alsdann eben dieſe Materie, als wenn
er zu unterrichten haͤtte, ſchriftlich oder muͤndlich
vortruͤge. Man wuͤrde auf dieſe Art ſowohl die
Art von Wiſſenſchaft, als den Grad der Faͤhigkeit,
der einem jeden zukaͤme, erkennen.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/116>, abgerufen am 28.04.2024.
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