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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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der ältesten und neuern Schriftsteller.
ihrer Fähigkeiten einander so ähnlich sind, so fin-
det man hier einen Grund von der nothwendigen
und unausbleiblichen Verschiedenheit, die zwischen
den ältesten und den spätern Arbeiten dessel-
ben seyn muß. Es giebt in beiden eine Zeit der
Kindheit und des männlichen Alters. In den
Werken der ersten sehen wir eine Kraft, die sich
durch ihre bloße Energie und die Gegenstände ge-
trieben fühlt zu wirken, und deswegen in ihrer
natürlichen Thätigkeit durch nichts gestört wird;
in den Werken der andern eine Kraft, die erst durch
ein besonderes Interesse gereizt werden muß, die
nach Absicht und in Hofnung eines gewissen Er-
folges wirkt, und die eben deswegen in ihren Aeus-
serungen eingeschränkt, und von ihrer natürlichen
Richtung abgebracht wird. In den Werken der
einen Zeit werden sich die Schriftsteller ihrer Ideen
nur so zu sagen entschütten, die ihnen durch die
Gegenstände selbst und eine ganz unwillkührliche
Beobachtung derselben aufgedrungen worden; --
in den Werken der andern werden sie Ideen, die
sie gesucht und ausgearbeitet haben, in der Ab-

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der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
ihrer Faͤhigkeiten einander ſo aͤhnlich ſind, ſo fin-
det man hier einen Grund von der nothwendigen
und unausbleiblichen Verſchiedenheit, die zwiſchen
den aͤlteſten und den ſpaͤtern Arbeiten deſſel-
ben ſeyn muß. Es giebt in beiden eine Zeit der
Kindheit und des maͤnnlichen Alters. In den
Werken der erſten ſehen wir eine Kraft, die ſich
durch ihre bloße Energie und die Gegenſtaͤnde ge-
trieben fuͤhlt zu wirken, und deswegen in ihrer
natuͤrlichen Thaͤtigkeit durch nichts geſtoͤrt wird;
in den Werken der andern eine Kraft, die erſt durch
ein beſonderes Intereſſe gereizt werden muß, die
nach Abſicht und in Hofnung eines gewiſſen Er-
folges wirkt, und die eben deswegen in ihren Aeuſ-
ſerungen eingeſchraͤnkt, und von ihrer natuͤrlichen
Richtung abgebracht wird. In den Werken der
einen Zeit werden ſich die Schriftſteller ihrer Ideen
nur ſo zu ſagen entſchuͤtten, die ihnen durch die
Gegenſtaͤnde ſelbſt und eine ganz unwillkuͤhrliche
Beobachtung derſelben aufgedrungen worden; —
in den Werken der andern werden ſie Ideen, die
ſie geſucht und ausgearbeitet haben, in der Ab-

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[119/0125] der aͤlteſten und neuern Schriftſteller. ihrer Faͤhigkeiten einander ſo aͤhnlich ſind, ſo fin- det man hier einen Grund von der nothwendigen und unausbleiblichen Verſchiedenheit, die zwiſchen den aͤlteſten und den ſpaͤtern Arbeiten deſſel- ben ſeyn muß. Es giebt in beiden eine Zeit der Kindheit und des maͤnnlichen Alters. In den Werken der erſten ſehen wir eine Kraft, die ſich durch ihre bloße Energie und die Gegenſtaͤnde ge- trieben fuͤhlt zu wirken, und deswegen in ihrer natuͤrlichen Thaͤtigkeit durch nichts geſtoͤrt wird; in den Werken der andern eine Kraft, die erſt durch ein beſonderes Intereſſe gereizt werden muß, die nach Abſicht und in Hofnung eines gewiſſen Er- folges wirkt, und die eben deswegen in ihren Aeuſ- ſerungen eingeſchraͤnkt, und von ihrer natuͤrlichen Richtung abgebracht wird. In den Werken der einen Zeit werden ſich die Schriftſteller ihrer Ideen nur ſo zu ſagen entſchuͤtten, die ihnen durch die Gegenſtaͤnde ſelbſt und eine ganz unwillkuͤhrliche Beobachtung derſelben aufgedrungen worden; — in den Werken der andern werden ſie Ideen, die ſie geſucht und ausgearbeitet haben, in der Ab- H 4

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/125>, abgerufen am 27.04.2024.