Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Verschiedenheiten in den Werken
strakte Ideen vor den sinnlichen und Erfahrungs-
ideen vorhergehen, je mehr der Beobachtungsgeist
dem System nachfolgt, und dasselbe nur zu bestä-
tigen sucht, desto mehr Gleichheit unter den Be-
griffen mehrerer, die izt bloß den gemeinschaftli-
chen Theil ihrer Fähigkeiten und nach einerley
Vorschrift geübt, und den eigenthümlichen ver-
nachläßigt haben; desto weniger Originelles
also.

Und so finden wirs auch in der That, wenn
wir die Werke der Alten und Neuern ansehen.
Muß es nicht einen etwas denkenden Menschen
wundern, wenn er hört, daß alle die vornehm-
sten Gattungen der Dichtkunst, die, welche noch
bis auf den heutigen Tag den ganzen Umfang
menschlicher Werke in dieser Art zu umfassen schei-
nen, gerade zu der Zeit sind erfunden und festge-
sezt worden, da man am wenigsten über die Na-
tur dieser Gattungen, und über die Verschieden-
heiten, deren dieselben fähig wären, nachdenken
konnte? Ist es nicht augenscheinlich, daß diese
verschiedene Dichtungsarten nur so viel verschie-

Verſchiedenheiten in den Werken
ſtrakte Ideen vor den ſinnlichen und Erfahrungs-
ideen vorhergehen, je mehr der Beobachtungsgeiſt
dem Syſtem nachfolgt, und daſſelbe nur zu beſtaͤ-
tigen ſucht, deſto mehr Gleichheit unter den Be-
griffen mehrerer, die izt bloß den gemeinſchaftli-
chen Theil ihrer Faͤhigkeiten und nach einerley
Vorſchrift geuͤbt, und den eigenthuͤmlichen ver-
nachlaͤßigt haben; deſto weniger Originelles
alſo.

Und ſo finden wirs auch in der That, wenn
wir die Werke der Alten und Neuern anſehen.
Muß es nicht einen etwas denkenden Menſchen
wundern, wenn er hoͤrt, daß alle die vornehm-
ſten Gattungen der Dichtkunſt, die, welche noch
bis auf den heutigen Tag den ganzen Umfang
menſchlicher Werke in dieſer Art zu umfaſſen ſchei-
nen, gerade zu der Zeit ſind erfunden und feſtge-
ſezt worden, da man am wenigſten uͤber die Na-
tur dieſer Gattungen, und uͤber die Verſchieden-
heiten, deren dieſelben faͤhig waͤren, nachdenken
konnte? Iſt es nicht augenſcheinlich, daß dieſe
verſchiedene Dichtungsarten nur ſo viel verſchie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="158"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ver&#x017F;chiedenheiten in den Werken</hi></fw><lb/>
&#x017F;trakte Ideen vor den &#x017F;innlichen und Erfahrungs-<lb/>
ideen vorhergehen, je mehr der Beobachtungsgei&#x017F;t<lb/>
dem Sy&#x017F;tem nachfolgt, und da&#x017F;&#x017F;elbe nur zu be&#x017F;ta&#x0364;-<lb/>
tigen &#x017F;ucht, de&#x017F;to mehr Gleichheit unter den Be-<lb/>
griffen mehrerer, die izt bloß den gemein&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Theil ihrer Fa&#x0364;higkeiten und nach einerley<lb/>
Vor&#x017F;chrift geu&#x0364;bt, und den eigenthu&#x0364;mlichen ver-<lb/>
nachla&#x0364;ßigt haben; de&#x017F;to weniger Originelles<lb/>
al&#x017F;o.</p><lb/>
        <p>Und &#x017F;o finden wirs auch in der That, wenn<lb/>
wir die Werke der Alten und Neuern an&#x017F;ehen.<lb/>
Muß es nicht einen etwas denkenden Men&#x017F;chen<lb/>
wundern, wenn er ho&#x0364;rt, daß alle die vornehm-<lb/>
&#x017F;ten Gattungen der Dichtkun&#x017F;t, die, welche noch<lb/>
bis auf den heutigen Tag den ganzen Umfang<lb/>
men&#x017F;chlicher Werke in die&#x017F;er Art zu umfa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chei-<lb/>
nen, gerade zu der Zeit &#x017F;ind erfunden und fe&#x017F;tge-<lb/>
&#x017F;ezt worden, da man am wenig&#x017F;ten u&#x0364;ber die Na-<lb/>
tur die&#x017F;er Gattungen, und u&#x0364;ber die Ver&#x017F;chieden-<lb/>
heiten, deren die&#x017F;elben fa&#x0364;hig wa&#x0364;ren, nachdenken<lb/>
konnte? I&#x017F;t es nicht augen&#x017F;cheinlich, daß die&#x017F;e<lb/>
ver&#x017F;chiedene Dichtungsarten nur &#x017F;o viel ver&#x017F;chie-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0164] Verſchiedenheiten in den Werken ſtrakte Ideen vor den ſinnlichen und Erfahrungs- ideen vorhergehen, je mehr der Beobachtungsgeiſt dem Syſtem nachfolgt, und daſſelbe nur zu beſtaͤ- tigen ſucht, deſto mehr Gleichheit unter den Be- griffen mehrerer, die izt bloß den gemeinſchaftli- chen Theil ihrer Faͤhigkeiten und nach einerley Vorſchrift geuͤbt, und den eigenthuͤmlichen ver- nachlaͤßigt haben; deſto weniger Originelles alſo. Und ſo finden wirs auch in der That, wenn wir die Werke der Alten und Neuern anſehen. Muß es nicht einen etwas denkenden Menſchen wundern, wenn er hoͤrt, daß alle die vornehm- ſten Gattungen der Dichtkunſt, die, welche noch bis auf den heutigen Tag den ganzen Umfang menſchlicher Werke in dieſer Art zu umfaſſen ſchei- nen, gerade zu der Zeit ſind erfunden und feſtge- ſezt worden, da man am wenigſten uͤber die Na- tur dieſer Gattungen, und uͤber die Verſchieden- heiten, deren dieſelben faͤhig waͤren, nachdenken konnte? Iſt es nicht augenſcheinlich, daß dieſe verſchiedene Dichtungsarten nur ſo viel verſchie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/164
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/164>, abgerufen am 21.11.2024.