Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.der ältesten und neuern Schriftsteller. chen wir nicht, ehe wir jemals durch unsre eigneUmstände sind veranlaßt worden, diese Verhält- nisse kennen zu lernen, und ehe uns die Verknü- pfungen der Dinge vorgekommen sind, bey wel- chen allein dieselben sich haben entdecken lassen. Wie viel allgemeine Sätze und Sentenzen, und Regeln und Sittensprüche können wir nicht schon auswendig, ehe wir noch den kleinsten Theil der vorläufigen Ideen haben, an deren Kette jene erst das lezte Glied seyn sollten. Unsere Ammen und unsere Lehrmeister bringen uns eine Menge solcher präsumtiver Kenntnisse durch Wörter und Formeln bey, von denen wir vor der Hand nur so viel wissen, daß etwas dabey gedacht werden soll, und von andern gedacht worden ist, die wir aber erst hinterdrein, und oft sehr spät, mit wahren Gedanken ausfüllen können. Wir hören und re- den schon viel von menschlichen Handlungen und Tugenden und Fehlern, ehe wir noch einen Men- schen mit Aufmerksamkeit haben handeln gesehen. Je mehr also die natürliche Ordnung unsrer Auf- klärung umgekehrt wird, je mehr wörtliche ab- der aͤlteſten und neuern Schriftſteller. chen wir nicht, ehe wir jemals durch unſre eigneUmſtaͤnde ſind veranlaßt worden, dieſe Verhaͤlt- niſſe kennen zu lernen, und ehe uns die Verknuͤ- pfungen der Dinge vorgekommen ſind, bey wel- chen allein dieſelben ſich haben entdecken laſſen. Wie viel allgemeine Saͤtze und Sentenzen, und Regeln und Sittenſpruͤche koͤnnen wir nicht ſchon auswendig, ehe wir noch den kleinſten Theil der vorlaͤufigen Ideen haben, an deren Kette jene erſt das lezte Glied ſeyn ſollten. Unſere Ammen und unſere Lehrmeiſter bringen uns eine Menge ſolcher praͤſumtiver Kenntniſſe durch Woͤrter und Formeln bey, von denen wir vor der Hand nur ſo viel wiſſen, daß etwas dabey gedacht werden ſoll, und von andern gedacht worden iſt, die wir aber erſt hinterdrein, und oft ſehr ſpaͤt, mit wahren Gedanken ausfuͤllen koͤnnen. Wir hoͤren und re- den ſchon viel von menſchlichen Handlungen und Tugenden und Fehlern, ehe wir noch einen Men- ſchen mit Aufmerkſamkeit haben handeln geſehen. Je mehr alſo die natuͤrliche Ordnung unſrer Auf- klaͤrung umgekehrt wird, je mehr woͤrtliche ab- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0163" n="157"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.</hi></fw><lb/> chen wir nicht, ehe wir jemals durch unſre eigne<lb/> Umſtaͤnde ſind veranlaßt worden, dieſe Verhaͤlt-<lb/> niſſe kennen zu lernen, und ehe uns die Verknuͤ-<lb/> pfungen der Dinge vorgekommen ſind, bey wel-<lb/> chen allein dieſelben ſich haben entdecken laſſen.<lb/> Wie viel allgemeine Saͤtze und Sentenzen, und<lb/> Regeln und Sittenſpruͤche koͤnnen wir nicht ſchon<lb/> auswendig, ehe wir noch den kleinſten Theil der<lb/> vorlaͤufigen Ideen haben, an deren Kette jene<lb/> erſt das lezte Glied ſeyn ſollten. Unſere Ammen<lb/> und unſere Lehrmeiſter bringen uns eine Menge<lb/> ſolcher praͤſumtiver Kenntniſſe durch Woͤrter und<lb/> Formeln bey, von denen wir vor der Hand nur ſo<lb/> viel wiſſen, daß etwas dabey gedacht werden ſoll,<lb/> und von andern gedacht worden iſt, die wir aber<lb/> erſt hinterdrein, und oft ſehr ſpaͤt, mit wahren<lb/> Gedanken ausfuͤllen koͤnnen. Wir hoͤren und re-<lb/> den ſchon viel von menſchlichen Handlungen und<lb/> Tugenden und Fehlern, ehe wir noch einen Men-<lb/> ſchen mit Aufmerkſamkeit haben handeln geſehen.<lb/> Je mehr alſo die natuͤrliche Ordnung unſrer Auf-<lb/> klaͤrung umgekehrt wird, je mehr woͤrtliche ab-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [157/0163]
der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
chen wir nicht, ehe wir jemals durch unſre eigne
Umſtaͤnde ſind veranlaßt worden, dieſe Verhaͤlt-
niſſe kennen zu lernen, und ehe uns die Verknuͤ-
pfungen der Dinge vorgekommen ſind, bey wel-
chen allein dieſelben ſich haben entdecken laſſen.
Wie viel allgemeine Saͤtze und Sentenzen, und
Regeln und Sittenſpruͤche koͤnnen wir nicht ſchon
auswendig, ehe wir noch den kleinſten Theil der
vorlaͤufigen Ideen haben, an deren Kette jene
erſt das lezte Glied ſeyn ſollten. Unſere Ammen
und unſere Lehrmeiſter bringen uns eine Menge
ſolcher praͤſumtiver Kenntniſſe durch Woͤrter und
Formeln bey, von denen wir vor der Hand nur ſo
viel wiſſen, daß etwas dabey gedacht werden ſoll,
und von andern gedacht worden iſt, die wir aber
erſt hinterdrein, und oft ſehr ſpaͤt, mit wahren
Gedanken ausfuͤllen koͤnnen. Wir hoͤren und re-
den ſchon viel von menſchlichen Handlungen und
Tugenden und Fehlern, ehe wir noch einen Men-
ſchen mit Aufmerkſamkeit haben handeln geſehen.
Je mehr alſo die natuͤrliche Ordnung unſrer Auf-
klaͤrung umgekehrt wird, je mehr woͤrtliche ab-
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