keit mit ihnen für das höchste Verdienst eines Werks an. Durch die Veränderungen hingegen, welche unterdessen in Sprache und Religion und Wissenschaften und sogar Aberglauben vorgegan- gen waren, wurde diese Nachahmung zum Theil unmöglich. Man konnte nicht mehr völlig sich in den Gesichtspunkt setzen, aus dem die Alten die Dinge angesehen hatten, oder man kam immer von Zeit zu Zeit wieder zu dem seinigen zurück. So vermischten sich die Farben des Antiken und des Modernen; Begriffe, die ihre Gegenstände nur in jener Zeit hatten, mit einer Ausführung derselben, die nur auf die unsrige paßte.
Und diese Nachahmung mußte nothwendig mehr auf den äußern Bau, auf die Wahl der Ver- zierungen, auf die Form des Werks gehen, als auf das innere Wesen desselben. Man überlie- fert uns die Alten als Muster der Vortrefflichkeit, die das Zeugniß aller Jahrhunderte für sich ha- ben. Aber diese Vortrefflichkeit nehmen wir an- fangs nur auf Treu und Glauben an, und weit eher, als wir sie durch uns selbst in ihren Werken
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der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
keit mit ihnen fuͤr das hoͤchſte Verdienſt eines Werks an. Durch die Veraͤnderungen hingegen, welche unterdeſſen in Sprache und Religion und Wiſſenſchaften und ſogar Aberglauben vorgegan- gen waren, wurde dieſe Nachahmung zum Theil unmoͤglich. Man konnte nicht mehr voͤllig ſich in den Geſichtspunkt ſetzen, aus dem die Alten die Dinge angeſehen hatten, oder man kam immer von Zeit zu Zeit wieder zu dem ſeinigen zuruͤck. So vermiſchten ſich die Farben des Antiken und des Modernen; Begriffe, die ihre Gegenſtaͤnde nur in jener Zeit hatten, mit einer Ausfuͤhrung derſelben, die nur auf die unſrige paßte.
Und dieſe Nachahmung mußte nothwendig mehr auf den aͤußern Bau, auf die Wahl der Ver- zierungen, auf die Form des Werks gehen, als auf das innere Weſen deſſelben. Man uͤberlie- fert uns die Alten als Muſter der Vortrefflichkeit, die das Zeugniß aller Jahrhunderte fuͤr ſich ha- ben. Aber dieſe Vortrefflichkeit nehmen wir an- fangs nur auf Treu und Glauben an, und weit eher, als wir ſie durch uns ſelbſt in ihren Werken
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der aͤlteſten und neuern Schriftſteller.
keit mit ihnen fuͤr das hoͤchſte Verdienſt eines
Werks an. Durch die Veraͤnderungen hingegen,
welche unterdeſſen in Sprache und Religion und
Wiſſenſchaften und ſogar Aberglauben vorgegan-
gen waren, wurde dieſe Nachahmung zum Theil
unmoͤglich. Man konnte nicht mehr voͤllig ſich
in den Geſichtspunkt ſetzen, aus dem die Alten die
Dinge angeſehen hatten, oder man kam immer
von Zeit zu Zeit wieder zu dem ſeinigen zuruͤck.
So vermiſchten ſich die Farben des Antiken und
des Modernen; Begriffe, die ihre Gegenſtaͤnde
nur in jener Zeit hatten, mit einer Ausfuͤhrung
derſelben, die nur auf die unſrige paßte.
Und dieſe Nachahmung mußte nothwendig
mehr auf den aͤußern Bau, auf die Wahl der Ver-
zierungen, auf die Form des Werks gehen, als
auf das innere Weſen deſſelben. Man uͤberlie-
fert uns die Alten als Muſter der Vortrefflichkeit,
die das Zeugniß aller Jahrhunderte fuͤr ſich ha-
ben. Aber dieſe Vortrefflichkeit nehmen wir an-
fangs nur auf Treu und Glauben an, und weit
eher, als wir ſie durch uns ſelbſt in ihren Werken
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/191>, abgerufen am 16.02.2025.
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