von Genie also, die, indem sie über andere erha- ben ist, doch noch die meiste Aehnlichkeit mit ih- nen beybehält; welche die Denkungsart am we- nigsten verändert: diese wird auch den meisten brauchbar und ergötzend werden. Sobald in den Ideen oder im Ausdrucke eines Buches Witz, oder Scharfsinn, oder nachforschende Vernunft, ein sehr merkliches Uebergewicht über die übrigen Fähigkeiten haben, sobald wird es nur Eine Klasse von Lesern geben, die an dem Buche Geschmack findet, und die es zu brauchen weiß. Es muß ebenfalls ein in seiner Art witziger Kopf, oder ein Philosoph einer niedrigern Stufe seyn, der alles das gewahr werden soll, was der höhere Witz und die tiefere Philosophie in das Werk hineingelegt hat. Wenn aber die Vernunft die Zergliederung nur so weit treibt, als nöthig ist, die Begriffe, welche alle Menschen klar haben, vollkommen deutlich zu machen; wenn die Einbildungskraft ihre Bilder aus dem allgemeinen Vorrathe aller menschlichen Erfahrungen hernimmt, und sie nach den Regeln der natürlichsten, gewöhnlichsten Ord-
deſſen Schriften und Charakter.
von Genie alſo, die, indem ſie uͤber andere erha- ben iſt, doch noch die meiſte Aehnlichkeit mit ih- nen beybehaͤlt; welche die Denkungsart am we- nigſten veraͤndert: dieſe wird auch den meiſten brauchbar und ergoͤtzend werden. Sobald in den Ideen oder im Ausdrucke eines Buches Witz, oder Scharfſinn, oder nachforſchende Vernunft, ein ſehr merkliches Uebergewicht uͤber die uͤbrigen Faͤhigkeiten haben, ſobald wird es nur Eine Klaſſe von Leſern geben, die an dem Buche Geſchmack findet, und die es zu brauchen weiß. Es muß ebenfalls ein in ſeiner Art witziger Kopf, oder ein Philoſoph einer niedrigern Stufe ſeyn, der alles das gewahr werden ſoll, was der hoͤhere Witz und die tiefere Philoſophie in das Werk hineingelegt hat. Wenn aber die Vernunft die Zergliederung nur ſo weit treibt, als noͤthig iſt, die Begriffe, welche alle Menſchen klar haben, vollkommen deutlich zu machen; wenn die Einbildungskraft ihre Bilder aus dem allgemeinen Vorrathe aller menſchlichen Erfahrungen hernimmt, und ſie nach den Regeln der natuͤrlichſten, gewoͤhnlichſten Ord-
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deſſen Schriften und Charakter.
von Genie alſo, die, indem ſie uͤber andere erha-
ben iſt, doch noch die meiſte Aehnlichkeit mit ih-
nen beybehaͤlt; welche die Denkungsart am we-
nigſten veraͤndert: dieſe wird auch den meiſten
brauchbar und ergoͤtzend werden. Sobald in den
Ideen oder im Ausdrucke eines Buches Witz,
oder Scharfſinn, oder nachforſchende Vernunft,
ein ſehr merkliches Uebergewicht uͤber die uͤbrigen
Faͤhigkeiten haben, ſobald wird es nur Eine Klaſſe
von Leſern geben, die an dem Buche Geſchmack
findet, und die es zu brauchen weiß. Es muß
ebenfalls ein in ſeiner Art witziger Kopf, oder ein
Philoſoph einer niedrigern Stufe ſeyn, der alles
das gewahr werden ſoll, was der hoͤhere Witz und
die tiefere Philoſophie in das Werk hineingelegt
hat. Wenn aber die Vernunft die Zergliederung
nur ſo weit treibt, als noͤthig iſt, die Begriffe,
welche alle Menſchen klar haben, vollkommen
deutlich zu machen; wenn die Einbildungskraft
ihre Bilder aus dem allgemeinen Vorrathe aller
menſchlichen Erfahrungen hernimmt, und ſie nach
den Regeln der natuͤrlichſten, gewoͤhnlichſten Ord-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/209>, abgerufen am 16.02.2025.
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