Seele beständig von einem Gegenstande zum an- dern, ohne bey einem einzigen stille zu stehen; oder vielmehr, sie verhalten sich gegen alle nur leidend, nehmen alle Eindrücke an, wie sie ihnen von ungefähr in die Sinne fallen, ohne einem einzigen freywillig den Vorzug zu geben.
Andre sind immer nur mit einem Gegenstan- de auf einmal beschäftigt. Ihre Augen oder Ohren haben immer etwas Festes und Bestimm- tes, worauf sie sich richten. Unter einem noch so großen Haufen von Sachen oder Personen un- terscheiden sie augenblicklich das Bekannte vom Fremden, gehen unachtsam bey dem einen vor- bey, und sehen dafür das andre so lange starr und unverwandt an, bis sie ungefähr damit eben so bekannt worden sind, wie mit den übrigen.
Wenn man das Uebrige gleich sezt, so kann man mit Recht vermuthen, daß die Bilder in der Seele des leztern besser und richtiger find, als in der ersten.
Ueber die Pruͤfung
Seele beſtaͤndig von einem Gegenſtande zum an- dern, ohne bey einem einzigen ſtille zu ſtehen; oder vielmehr, ſie verhalten ſich gegen alle nur leidend, nehmen alle Eindruͤcke an, wie ſie ihnen von ungefaͤhr in die Sinne fallen, ohne einem einzigen freywillig den Vorzug zu geben.
Andre ſind immer nur mit einem Gegenſtan- de auf einmal beſchaͤftigt. Ihre Augen oder Ohren haben immer etwas Feſtes und Beſtimm- tes, worauf ſie ſich richten. Unter einem noch ſo großen Haufen von Sachen oder Perſonen un- terſcheiden ſie augenblicklich das Bekannte vom Fremden, gehen unachtſam bey dem einen vor- bey, und ſehen dafuͤr das andre ſo lange ſtarr und unverwandt an, bis ſie ungefaͤhr damit eben ſo bekannt worden ſind, wie mit den uͤbrigen.
Wenn man das Uebrige gleich ſezt, ſo kann man mit Recht vermuthen, daß die Bilder in der Seele des leztern beſſer und richtiger find, als in der erſten.
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Ueber die Pruͤfung
Seele beſtaͤndig von einem Gegenſtande zum an-
dern, ohne bey einem einzigen ſtille zu ſtehen;
oder vielmehr, ſie verhalten ſich gegen alle nur
leidend, nehmen alle Eindruͤcke an, wie ſie ihnen
von ungefaͤhr in die Sinne fallen, ohne einem
einzigen freywillig den Vorzug zu geben.
Andre ſind immer nur mit einem Gegenſtan-
de auf einmal beſchaͤftigt. Ihre Augen oder
Ohren haben immer etwas Feſtes und Beſtimm-
tes, worauf ſie ſich richten. Unter einem noch ſo
großen Haufen von Sachen oder Perſonen un-
terſcheiden ſie augenblicklich das Bekannte vom
Fremden, gehen unachtſam bey dem einen vor-
bey, und ſehen dafuͤr das andre ſo lange ſtarr
und unverwandt an, bis ſie ungefaͤhr damit
eben ſo bekannt worden ſind, wie mit den
uͤbrigen.
Wenn man das Uebrige gleich ſezt, ſo kann
man mit Recht vermuthen, daß die Bilder in der
Seele des leztern beſſer und richtiger find, als
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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