Vielleicht war es auch für Gellerten nützlich, oder es gehörte wenigstens dazu, seinem Kopfe und seinen Schriften ihren eignen Charakter zu geben, daß, wo er nicht Gottscheds Schüler war, er doch wenigstens die Werke und den Geschmack desselben herrschend fand, als er sich bildete. Wenn ein junger guter Kopf Schriftsteller vor sich findet, die mehr erhaben als schön, mehr stark als anmuthig zu seyn suchen; wenn der Geschmack der Zeit darauf geht, das Aeußerste zu versuchen, was die Sprache vermag; so ist er sehr in Ge- fahr, aus Begierde nach noch höherer Vollkom- menheit, unnatürlich und schwülstig zu werden; wenigstens wird schwerlich unter solchen Umstän- den ein Schriftsteller seyn gebildet worden, den alle Welt gelesen und genützt hätte. Wenn aber das Genie Leeres auszufüllen, wirkliche Mängel zu ersetzen, das Matte und Kraftlose zu beleben findet; wenn es nicht sowohl damit zu thun hat, das Gute zu übertreffen, als das Schlechte gut zu machen; wenn es seine Kraft, die sonst zu dem Erhabenen emporsteigen würde, dazu anwen-
deſſen Schriften und Charakter.
Vielleicht war es auch fuͤr Gellerten nuͤtzlich, oder es gehoͤrte wenigſtens dazu, ſeinem Kopfe und ſeinen Schriften ihren eignen Charakter zu geben, daß, wo er nicht Gottſcheds Schuͤler war, er doch wenigſtens die Werke und den Geſchmack deſſelben herrſchend fand, als er ſich bildete. Wenn ein junger guter Kopf Schriftſteller vor ſich findet, die mehr erhaben als ſchoͤn, mehr ſtark als anmuthig zu ſeyn ſuchen; wenn der Geſchmack der Zeit darauf geht, das Aeußerſte zu verſuchen, was die Sprache vermag; ſo iſt er ſehr in Ge- fahr, aus Begierde nach noch hoͤherer Vollkom- menheit, unnatuͤrlich und ſchwuͤlſtig zu werden; wenigſtens wird ſchwerlich unter ſolchen Umſtaͤn- den ein Schriftſteller ſeyn gebildet worden, den alle Welt geleſen und genuͤtzt haͤtte. Wenn aber das Genie Leeres auszufuͤllen, wirkliche Maͤngel zu erſetzen, das Matte und Kraftloſe zu beleben findet; wenn es nicht ſowohl damit zu thun hat, das Gute zu uͤbertreffen, als das Schlechte gut zu machen; wenn es ſeine Kraft, die ſonſt zu dem Erhabenen emporſteigen wuͤrde, dazu anwen-
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deſſen Schriften und Charakter.
Vielleicht war es auch fuͤr Gellerten nuͤtzlich,
oder es gehoͤrte wenigſtens dazu, ſeinem Kopfe
und ſeinen Schriften ihren eignen Charakter zu
geben, daß, wo er nicht Gottſcheds Schuͤler war,
er doch wenigſtens die Werke und den Geſchmack
deſſelben herrſchend fand, als er ſich bildete.
Wenn ein junger guter Kopf Schriftſteller vor ſich
findet, die mehr erhaben als ſchoͤn, mehr ſtark
als anmuthig zu ſeyn ſuchen; wenn der Geſchmack
der Zeit darauf geht, das Aeußerſte zu verſuchen,
was die Sprache vermag; ſo iſt er ſehr in Ge-
fahr, aus Begierde nach noch hoͤherer Vollkom-
menheit, unnatuͤrlich und ſchwuͤlſtig zu werden;
wenigſtens wird ſchwerlich unter ſolchen Umſtaͤn-
den ein Schriftſteller ſeyn gebildet worden, den
alle Welt geleſen und genuͤtzt haͤtte. Wenn aber
das Genie Leeres auszufuͤllen, wirkliche Maͤngel
zu erſetzen, das Matte und Kraftloſe zu beleben
findet; wenn es nicht ſowohl damit zu thun hat,
das Gute zu uͤbertreffen, als das Schlechte gut
zu machen; wenn es ſeine Kraft, die ſonſt zu
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/227>, abgerufen am 24.11.2024.
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