in Gefahr, durch das Gemälde derselben schädlich zu werden.
Seine Einbildungskraft war in der Epoche seines Lebens, wo er seine besten Werke schrieb, sehr wirksam, obgleich nicht heftig. Die Arbeit erfüllte und beschäfftigte alsdann seinen Geist völ- lig; er genoß das volle Glück, das ein Schrift- steller genießen kann, sich unter seinen eigenen Ideen selbst zu vergessen, und die Empfindung der Unannehmlichkeiten in der wirklichen Welt, durch die Vorstellung einer erdichteten, auszulö- schen. So, wie Gellert, kann kein Mann erzäh- len, wenn nicht die Sache, die er erzählt, vor sei- nen Augen vorgeht; wenn er nicht mitten unter den Personen ist, die er sprechen läßt; wenn er sich nicht die Begebenheit so als eine gegenwär- tige denkt. Aber man sieht auch, und er selbst bezeugte es, daß nicht sowohl eine außerordent- liche plötzliche Anstrengung seines Geistes, als eine anhaltende gleiche Wirksamkeit, seine besten Stücke hervorgebracht habe. Er war immer ge- mäßigt, ruhig; vollkommen beschäfftigt, aber
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deſſen Schriften und Charakter.
in Gefahr, durch das Gemaͤlde derſelben ſchaͤdlich zu werden.
Seine Einbildungskraft war in der Epoche ſeines Lebens, wo er ſeine beſten Werke ſchrieb, ſehr wirkſam, obgleich nicht heftig. Die Arbeit erfuͤllte und beſchaͤfftigte alsdann ſeinen Geiſt voͤl- lig; er genoß das volle Gluͤck, das ein Schrift- ſteller genießen kann, ſich unter ſeinen eigenen Ideen ſelbſt zu vergeſſen, und die Empfindung der Unannehmlichkeiten in der wirklichen Welt, durch die Vorſtellung einer erdichteten, auszuloͤ- ſchen. So, wie Gellert, kann kein Mann erzaͤh- len, wenn nicht die Sache, die er erzaͤhlt, vor ſei- nen Augen vorgeht; wenn er nicht mitten unter den Perſonen iſt, die er ſprechen laͤßt; wenn er ſich nicht die Begebenheit ſo als eine gegenwaͤr- tige denkt. Aber man ſieht auch, und er ſelbſt bezeugte es, daß nicht ſowohl eine außerordent- liche ploͤtzliche Anſtrengung ſeines Geiſtes, als eine anhaltende gleiche Wirkſamkeit, ſeine beſten Stuͤcke hervorgebracht habe. Er war immer ge- maͤßigt, ruhig; vollkommen beſchaͤfftigt, aber
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deſſen Schriften und Charakter.
in Gefahr, durch das Gemaͤlde derſelben ſchaͤdlich
zu werden.
Seine Einbildungskraft war in der Epoche
ſeines Lebens, wo er ſeine beſten Werke ſchrieb,
ſehr wirkſam, obgleich nicht heftig. Die Arbeit
erfuͤllte und beſchaͤfftigte alsdann ſeinen Geiſt voͤl-
lig; er genoß das volle Gluͤck, das ein Schrift-
ſteller genießen kann, ſich unter ſeinen eigenen
Ideen ſelbſt zu vergeſſen, und die Empfindung
der Unannehmlichkeiten in der wirklichen Welt,
durch die Vorſtellung einer erdichteten, auszuloͤ-
ſchen. So, wie Gellert, kann kein Mann erzaͤh-
len, wenn nicht die Sache, die er erzaͤhlt, vor ſei-
nen Augen vorgeht; wenn er nicht mitten unter
den Perſonen iſt, die er ſprechen laͤßt; wenn er
ſich nicht die Begebenheit ſo als eine gegenwaͤr-
tige denkt. Aber man ſieht auch, und er ſelbſt
bezeugte es, daß nicht ſowohl eine außerordent-
liche ploͤtzliche Anſtrengung ſeines Geiſtes, als
eine anhaltende gleiche Wirkſamkeit, ſeine beſten
Stuͤcke hervorgebracht habe. Er war immer ge-
maͤßigt, ruhig; vollkommen beſchaͤfftigt, aber
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/233>, abgerufen am 21.11.2024.
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