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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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dessen Schriften und Charakter.
ein so lachender Scherz, eine bey aller Unschuld
doch so fühlbare Spötterey, daß nothwendig in
der ursprünglichen Anlage seines Geistes ein ho-
her Grad von Lebhaftigkeit gewesen seyn muß, weil
sie, auch nachdem sie durch das Nachdenken ge-
mäßigt und durch Krankheit geschwächt worden,
sich noch so merklich äußern konnte.

Die Gabe, die dazu gehört, vortreffliche Ver-
se zu machen, genau zu beschreiben, ist vielleicht
mehr, als irgend ein Philosoph vermag; diese
Gabe, nur den Ausdruck des Gedankens zu su-
chen', und doch zugleich den Reim und das Me-
trum zu finden. Gellert besaß diese Gaben,
wenn irgend einer unserer Dichter, und vielleicht
hat nichts zu dem großen und allgemeinen Auf-
sehen, das seine Fabeln machten, mehr beyge-
tragen. Es war eine seltsame und in Deutsch-
land noch unerhörte Erscheinung, Verse zu lesen,
wo alles so gesagt war, wie man spricht, und
doch alles edel und einnehmend, und alles zugleich
im Sylbenmaaße und Reime richtig. Es ist ge-
wiß, daß die Poesie, wenn sie diese Vortrefflichkeit

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deſſen Schriften und Charakter.
ein ſo lachender Scherz, eine bey aller Unſchuld
doch ſo fuͤhlbare Spoͤtterey, daß nothwendig in
der urſpruͤnglichen Anlage ſeines Geiſtes ein ho-
her Grad von Lebhaftigkeit geweſen ſeyn muß, weil
ſie, auch nachdem ſie durch das Nachdenken ge-
maͤßigt und durch Krankheit geſchwaͤcht worden,
ſich noch ſo merklich aͤußern konnte.

Die Gabe, die dazu gehoͤrt, vortreffliche Ver-
ſe zu machen, genau zu beſchreiben, iſt vielleicht
mehr, als irgend ein Philoſoph vermag; dieſe
Gabe, nur den Ausdruck des Gedankens zu ſu-
chen’, und doch zugleich den Reim und das Me-
trum zu finden. Gellert beſaß dieſe Gaben,
wenn irgend einer unſerer Dichter, und vielleicht
hat nichts zu dem großen und allgemeinen Auf-
ſehen, das ſeine Fabeln machten, mehr beyge-
tragen. Es war eine ſeltſame und in Deutſch-
land noch unerhoͤrte Erſcheinung, Verſe zu leſen,
wo alles ſo geſagt war, wie man ſpricht, und
doch alles edel und einnehmend, und alles zugleich
im Sylbenmaaße und Reime richtig. Es iſt ge-
wiß, daß die Poeſie, wenn ſie dieſe Vortrefflichkeit

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[233/0239] deſſen Schriften und Charakter. ein ſo lachender Scherz, eine bey aller Unſchuld doch ſo fuͤhlbare Spoͤtterey, daß nothwendig in der urſpruͤnglichen Anlage ſeines Geiſtes ein ho- her Grad von Lebhaftigkeit geweſen ſeyn muß, weil ſie, auch nachdem ſie durch das Nachdenken ge- maͤßigt und durch Krankheit geſchwaͤcht worden, ſich noch ſo merklich aͤußern konnte. Die Gabe, die dazu gehoͤrt, vortreffliche Ver- ſe zu machen, genau zu beſchreiben, iſt vielleicht mehr, als irgend ein Philoſoph vermag; dieſe Gabe, nur den Ausdruck des Gedankens zu ſu- chen’, und doch zugleich den Reim und das Me- trum zu finden. Gellert beſaß dieſe Gaben, wenn irgend einer unſerer Dichter, und vielleicht hat nichts zu dem großen und allgemeinen Auf- ſehen, das ſeine Fabeln machten, mehr beyge- tragen. Es war eine ſeltſame und in Deutſch- land noch unerhoͤrte Erſcheinung, Verſe zu leſen, wo alles ſo geſagt war, wie man ſpricht, und doch alles edel und einnehmend, und alles zugleich im Sylbenmaaße und Reime richtig. Es iſt ge- wiß, daß die Poeſie, wenn ſie dieſe Vortrefflichkeit P 5

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/239>, abgerufen am 21.11.2024.