erreicht, einen weit größern Eindruck macht, als die Prose. Sogar das Vergnügen, welches der Reim macht, ist alsdann kein verächtliches Ver- gnügen mehr. Und wir glauben, daß, obgleich ein gewisser Zeitpunkt im menschlichen Leben und in der menschlichen Gesellschaft kömmt, wo man überhaupt gegen Verse gleichgültiger wird, doch die Fabeln Gellerts zu denen wenigen gehören, die zu allen Zeiten und in jedem Alter mit Vergnügen werden gelesen werden.
So groß aber auch Gellert als Schriftsteller und Dichter ist, so ist er gewiß nicht bloß als Schriftsteller und Dichter so sehr geschätzt wor- den, als er es war. Diese ganz allgemeine Ver- ehrung, die er genoß, dieser Enthusiasmus, des- sen unsre Nation für Dichter und Schriftsteller so wenig fähig zu seyn scheint, und der in allen Ständen und an allen Orten für die Person Gel- lerts herrschte; dieser sein Ruhm, der nicht bloß im Beyfalle, sondern in Liebe bestund, ist gewiß mehr eine Wirkung seines Charakters als seiner Gaben. Für den Freund der Tugend ist dieß eine
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
erreicht, einen weit groͤßern Eindruck macht, als die Proſe. Sogar das Vergnuͤgen, welches der Reim macht, iſt alsdann kein veraͤchtliches Ver- gnuͤgen mehr. Und wir glauben, daß, obgleich ein gewiſſer Zeitpunkt im menſchlichen Leben und in der menſchlichen Geſellſchaft koͤmmt, wo man uͤberhaupt gegen Verſe gleichguͤltiger wird, doch die Fabeln Gellerts zu denen wenigen gehoͤren, die zu allen Zeiten und in jedem Alter mit Vergnuͤgen werden geleſen werden.
So groß aber auch Gellert als Schriftſteller und Dichter iſt, ſo iſt er gewiß nicht bloß als Schriftſteller und Dichter ſo ſehr geſchaͤtzt wor- den, als er es war. Dieſe ganz allgemeine Ver- ehrung, die er genoß, dieſer Enthuſiaſmus, deſ- ſen unſre Nation fuͤr Dichter und Schriftſteller ſo wenig faͤhig zu ſeyn ſcheint, und der in allen Staͤnden und an allen Orten fuͤr die Perſon Gel- lerts herrſchte; dieſer ſein Ruhm, der nicht bloß im Beyfalle, ſondern in Liebe beſtund, iſt gewiß mehr eine Wirkung ſeines Charakters als ſeiner Gaben. Fuͤr den Freund der Tugend iſt dieß eine
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
erreicht, einen weit groͤßern Eindruck macht, als
die Proſe. Sogar das Vergnuͤgen, welches der
Reim macht, iſt alsdann kein veraͤchtliches Ver-
gnuͤgen mehr. Und wir glauben, daß, obgleich
ein gewiſſer Zeitpunkt im menſchlichen Leben und
in der menſchlichen Geſellſchaft koͤmmt, wo man
uͤberhaupt gegen Verſe gleichguͤltiger wird, doch
die Fabeln Gellerts zu denen wenigen gehoͤren, die
zu allen Zeiten und in jedem Alter mit Vergnuͤgen
werden geleſen werden.
So groß aber auch Gellert als Schriftſteller
und Dichter iſt, ſo iſt er gewiß nicht bloß als
Schriftſteller und Dichter ſo ſehr geſchaͤtzt wor-
den, als er es war. Dieſe ganz allgemeine Ver-
ehrung, die er genoß, dieſer Enthuſiaſmus, deſ-
ſen unſre Nation fuͤr Dichter und Schriftſteller
ſo wenig faͤhig zu ſeyn ſcheint, und der in allen
Staͤnden und an allen Orten fuͤr die Perſon Gel-
lerts herrſchte; dieſer ſein Ruhm, der nicht bloß
im Beyfalle, ſondern in Liebe beſtund, iſt gewiß
mehr eine Wirkung ſeines Charakters als ſeiner
Gaben. Fuͤr den Freund der Tugend iſt dieß eine
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/240>, abgerufen am 24.11.2024.
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