uns lehren, was ein vollkommner Geist sey, uns darauf führen, daß es einen vollkommensten ge- ben müsse; und ohne die Ueberzeugung von dem Einflusse Gottes über die Welt und uns, können wir uns diese Vortreflichkeit nicht als einerley mit Glückseligkeit, nicht als einen Gegenstand unsrer Begierde vorstellen.
Diese Gesinnungen herrschten in Gellerts Seele; aber sie waren auf eine besondere Art be- stimmt, weil er sie ganz durch den Glauben an die Offenbarung bekommen hatte. Bloße Ver- nunftschlüsse und Betrachtungen über die Natur der Dinge wirkten bey ihm weder eine so feste Ue- zeugung, noch so tiefe Rührungen, als die Leh- ren, die er aus der heiligen Schrift schöpfte. Es ist gewiß, daß wir zuerst aus diesem Buche die Wahrheiten als Ueberlieferungen bekommen, die unsere Vernunft in ihrer folgenden Reife in eigne Einsichten verwandeln kann; es ist auch gewiß, daß der Eifer derjenigen, welche diese Wahrhei- ten, durch ihr ganzes Leben, aus diesem Buche schöpfen, gemeiniglich größer und brennender ist,
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
uns lehren, was ein vollkommner Geiſt ſey, uns darauf fuͤhren, daß es einen vollkommenſten ge- ben muͤſſe; und ohne die Ueberzeugung von dem Einfluſſe Gottes uͤber die Welt und uns, koͤnnen wir uns dieſe Vortreflichkeit nicht als einerley mit Gluͤckſeligkeit, nicht als einen Gegenſtand unſrer Begierde vorſtellen.
Dieſe Geſinnungen herrſchten in Gellerts Seele; aber ſie waren auf eine beſondere Art be- ſtimmt, weil er ſie ganz durch den Glauben an die Offenbarung bekommen hatte. Bloße Ver- nunftſchluͤſſe und Betrachtungen uͤber die Natur der Dinge wirkten bey ihm weder eine ſo feſte Ue- zeugung, noch ſo tiefe Ruͤhrungen, als die Leh- ren, die er aus der heiligen Schrift ſchoͤpfte. Es iſt gewiß, daß wir zuerſt aus dieſem Buche die Wahrheiten als Ueberlieferungen bekommen, die unſere Vernunft in ihrer folgenden Reife in eigne Einſichten verwandeln kann; es iſt auch gewiß, daß der Eifer derjenigen, welche dieſe Wahrhei- ten, durch ihr ganzes Leben, aus dieſem Buche ſchoͤpfen, gemeiniglich groͤßer und brennender iſt,
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
uns lehren, was ein vollkommner Geiſt ſey, uns
darauf fuͤhren, daß es einen vollkommenſten ge-
ben muͤſſe; und ohne die Ueberzeugung von dem
Einfluſſe Gottes uͤber die Welt und uns, koͤnnen
wir uns dieſe Vortreflichkeit nicht als einerley mit
Gluͤckſeligkeit, nicht als einen Gegenſtand unſrer
Begierde vorſtellen.
Dieſe Geſinnungen herrſchten in Gellerts
Seele; aber ſie waren auf eine beſondere Art be-
ſtimmt, weil er ſie ganz durch den Glauben an
die Offenbarung bekommen hatte. Bloße Ver-
nunftſchluͤſſe und Betrachtungen uͤber die Natur
der Dinge wirkten bey ihm weder eine ſo feſte Ue-
zeugung, noch ſo tiefe Ruͤhrungen, als die Leh-
ren, die er aus der heiligen Schrift ſchoͤpfte. Es
iſt gewiß, daß wir zuerſt aus dieſem Buche die
Wahrheiten als Ueberlieferungen bekommen, die
unſere Vernunft in ihrer folgenden Reife in eigne
Einſichten verwandeln kann; es iſt auch gewiß,
daß der Eifer derjenigen, welche dieſe Wahrhei-
ten, durch ihr ganzes Leben, aus dieſem Buche
ſchoͤpfen, gemeiniglich groͤßer und brennender iſt,
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/244>, abgerufen am 24.11.2024.
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