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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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der Fähigkeiten.
tung der Natur bringt, wenn die sinnlichen Werk-
zeuge richtig und die Seele nicht unfähig ist, das
Schöne Vergnügen und das Häßliche Verdruß
hervor. Aber nicht bey allen Gegenständen ist
diese angenehme oder unangenehme Empfindung
gleich stark. Das Auge eines Malers empfindet
weit mehr Verdruß über eine unrichtige Gestalt,
als sein Ohr über eine Disharmonie; hingegen
sieht der Tonkünstler die abgeschmackteste Zeich-
nung ohne Ekel, und geräth bey falschen Tönen
oder bey verfehltem Takte außer sich.

Man kann also diese Beobachtung auf zweyer-
ley Art brauchen.

Einmal das Empfindungsvermögen über-
haupt zu beurtheilen. Ein Mensch, dem alles
gleichgültig ist, der das Schlechte und Gute mit
gleicher Zufriedenheit aufnimmt, und auf den
Harmonie, Ordnung und Schönheit keine Wir-
kung thun; dessen Eindrücke müssen an und vor
sich schlecht, unrichtig und schläfrig seyn: denn
wenn das Bild von der Sache selbst richtig gefaßt

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der Faͤhigkeiten.
tung der Natur bringt, wenn die ſinnlichen Werk-
zeuge richtig und die Seele nicht unfaͤhig iſt, das
Schoͤne Vergnuͤgen und das Haͤßliche Verdruß
hervor. Aber nicht bey allen Gegenſtaͤnden iſt
dieſe angenehme oder unangenehme Empfindung
gleich ſtark. Das Auge eines Malers empfindet
weit mehr Verdruß uͤber eine unrichtige Geſtalt,
als ſein Ohr uͤber eine Disharmonie; hingegen
ſieht der Tonkuͤnſtler die abgeſchmackteſte Zeich-
nung ohne Ekel, und geraͤth bey falſchen Toͤnen
oder bey verfehltem Takte außer ſich.

Man kann alſo dieſe Beobachtung auf zweyer-
ley Art brauchen.

Einmal das Empfindungsvermoͤgen uͤber-
haupt zu beurtheilen. Ein Menſch, dem alles
gleichguͤltig iſt, der das Schlechte und Gute mit
gleicher Zufriedenheit aufnimmt, und auf den
Harmonie, Ordnung und Schoͤnheit keine Wir-
kung thun; deſſen Eindruͤcke muͤſſen an und vor
ſich ſchlecht, unrichtig und ſchlaͤfrig ſeyn: denn
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[21/0027] der Faͤhigkeiten. tung der Natur bringt, wenn die ſinnlichen Werk- zeuge richtig und die Seele nicht unfaͤhig iſt, das Schoͤne Vergnuͤgen und das Haͤßliche Verdruß hervor. Aber nicht bey allen Gegenſtaͤnden iſt dieſe angenehme oder unangenehme Empfindung gleich ſtark. Das Auge eines Malers empfindet weit mehr Verdruß uͤber eine unrichtige Geſtalt, als ſein Ohr uͤber eine Disharmonie; hingegen ſieht der Tonkuͤnſtler die abgeſchmackteſte Zeich- nung ohne Ekel, und geraͤth bey falſchen Toͤnen oder bey verfehltem Takte außer ſich. Man kann alſo dieſe Beobachtung auf zweyer- ley Art brauchen. Einmal das Empfindungsvermoͤgen uͤber- haupt zu beurtheilen. Ein Menſch, dem alles gleichguͤltig iſt, der das Schlechte und Gute mit gleicher Zufriedenheit aufnimmt, und auf den Harmonie, Ordnung und Schoͤnheit keine Wir- kung thun; deſſen Eindruͤcke muͤſſen an und vor ſich ſchlecht, unrichtig und ſchlaͤfrig ſeyn: denn wenn das Bild von der Sache ſelbſt richtig gefaßt B 3

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/27>, abgerufen am 21.11.2024.