Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Einige Gedanken den, weil sie sich von der Meynung der übrigenoder von der Gewohnheit einschränken lassen, ohne Zurückhaltung sagt und thut. -- Andre Charak- tere verschließen ihre Betrachtungen in sich, oder richten sie bloß nach den Absichten ein, die sie bey ihrer Rede haben, oder nach den Gesinnungen der Personen, mit denen sie reden. Der launichte Charakter öfnet so zu sagen die Seele; er treibt jeden Keim von Gedanken gleich so weit heraus, daß er gesagt werden muß; und läßt uns also mehr von der geheimen Philosophie des Menschen erfahren, als irgend ein andrer. Wenn diese Laune bey Leuten von gemeiner Seele vorkömmt, die eben nichts als etwas Alltägliches, Niedriges, Abgeschmacktes bey den Sachen denken, so ist sie unerträglich. Für solche Menschen ist die Poli- tesse und der Zwang der Gewohnheit ganz durch- aus nothwendig, wenn wir sie nicht verachten oder hassen sollen, so wie häßliche Körper noth- wendig bekleidet seyn müssen. -- Aber ist es ein fähiger Kopf und ein edles empfindendes Herz, das sich so ganz seinen eignen Eingebungen über- Einige Gedanken den, weil ſie ſich von der Meynung der uͤbrigenoder von der Gewohnheit einſchraͤnken laſſen, ohne Zuruͤckhaltung ſagt und thut. — Andre Charak- tere verſchließen ihre Betrachtungen in ſich, oder richten ſie bloß nach den Abſichten ein, die ſie bey ihrer Rede haben, oder nach den Geſinnungen der Perſonen, mit denen ſie reden. Der launichte Charakter oͤfnet ſo zu ſagen die Seele; er treibt jeden Keim von Gedanken gleich ſo weit heraus, daß er geſagt werden muß; und laͤßt uns alſo mehr von der geheimen Philoſophie des Menſchen erfahren, als irgend ein andrer. Wenn dieſe Laune bey Leuten von gemeiner Seele vorkoͤmmt, die eben nichts als etwas Alltaͤgliches, Niedriges, Abgeſchmacktes bey den Sachen denken, ſo iſt ſie unertraͤglich. Fuͤr ſolche Menſchen iſt die Poli- teſſe und der Zwang der Gewohnheit ganz durch- aus nothwendig, wenn wir ſie nicht verachten oder haſſen ſollen, ſo wie haͤßliche Koͤrper noth- wendig bekleidet ſeyn muͤſſen. — Aber iſt es ein faͤhiger Kopf und ein edles empfindendes Herz, das ſich ſo ganz ſeinen eignen Eingebungen uͤber- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0308" n="302"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/> den, weil ſie ſich von der Meynung der uͤbrigen<lb/> oder von der Gewohnheit einſchraͤnken laſſen, ohne<lb/> Zuruͤckhaltung ſagt und thut. — Andre Charak-<lb/> tere verſchließen ihre Betrachtungen in ſich, oder<lb/> richten ſie bloß nach den Abſichten ein, die ſie bey<lb/> ihrer Rede haben, oder nach den Geſinnungen der<lb/> Perſonen, mit denen ſie reden. Der launichte<lb/> Charakter oͤfnet ſo zu ſagen die Seele; er treibt<lb/> jeden Keim von Gedanken gleich ſo weit heraus,<lb/> daß er geſagt werden muß; und laͤßt uns alſo<lb/> mehr von der geheimen Philoſophie des Menſchen<lb/> erfahren, als irgend ein andrer. Wenn dieſe<lb/><hi rendition="#fr">Laune</hi> bey Leuten von gemeiner Seele vorkoͤmmt,<lb/> die eben nichts als etwas Alltaͤgliches, Niedriges,<lb/> Abgeſchmacktes bey den Sachen denken, ſo iſt ſie<lb/> unertraͤglich. Fuͤr ſolche Menſchen iſt die Poli-<lb/> teſſe und der Zwang der Gewohnheit ganz durch-<lb/> aus nothwendig, wenn wir ſie nicht verachten<lb/> oder haſſen ſollen, ſo wie haͤßliche Koͤrper noth-<lb/> wendig bekleidet ſeyn muͤſſen. — Aber iſt es ein<lb/> faͤhiger Kopf und ein edles empfindendes Herz,<lb/> das ſich ſo ganz ſeinen eignen Eingebungen uͤber-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [302/0308]
Einige Gedanken
den, weil ſie ſich von der Meynung der uͤbrigen
oder von der Gewohnheit einſchraͤnken laſſen, ohne
Zuruͤckhaltung ſagt und thut. — Andre Charak-
tere verſchließen ihre Betrachtungen in ſich, oder
richten ſie bloß nach den Abſichten ein, die ſie bey
ihrer Rede haben, oder nach den Geſinnungen der
Perſonen, mit denen ſie reden. Der launichte
Charakter oͤfnet ſo zu ſagen die Seele; er treibt
jeden Keim von Gedanken gleich ſo weit heraus,
daß er geſagt werden muß; und laͤßt uns alſo
mehr von der geheimen Philoſophie des Menſchen
erfahren, als irgend ein andrer. Wenn dieſe
Laune bey Leuten von gemeiner Seele vorkoͤmmt,
die eben nichts als etwas Alltaͤgliches, Niedriges,
Abgeſchmacktes bey den Sachen denken, ſo iſt ſie
unertraͤglich. Fuͤr ſolche Menſchen iſt die Poli-
teſſe und der Zwang der Gewohnheit ganz durch-
aus nothwendig, wenn wir ſie nicht verachten
oder haſſen ſollen, ſo wie haͤßliche Koͤrper noth-
wendig bekleidet ſeyn muͤſſen. — Aber iſt es ein
faͤhiger Kopf und ein edles empfindendes Herz,
das ſich ſo ganz ſeinen eignen Eingebungen uͤber-
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