nisse wegfällt, weil ihm die meisten solcher Wahr- heiten schon etwas Bekanntes und Geläufiges sind, und der auf der andern das Mißvergnügen gestör- ter Empfindungen fühlet, weil er die Unschicklich- keit dieser Lehrsprüche, bey den Umständen dessen, der sie sagt, bemerkt.
Wenn also der Dichter dieses Interesse mit dem wesentlichern richtig geschilderter Charaktere und Handlungen vereinigen will: so muß er sol- che Charaktere, solche Situationen suchen, deren Entwickelung es mit sich bringt, daß die Personen mehr als andre über ihre Begebenheiten denken, und diese Gedanken freyer als andre ausdrücken. Dieß ist eben der Vortheil der wahren launichten Charaktere.
Das Wort Laune soll theils diejenige Anlage des Kopfs anzeigen, durch die ein Mensch alle Sachen von einer etwas sonderbaren Seite an- sieht, von allen auf eine etwas ungewöhnliche Art gerührt wird; theils diejenige Gemüthsart, in der er das, was er denkt, oder wozu er Lust [] was andre weder sagen noch thun wür-
uͤber das Intereſſirende.
niſſe wegfaͤllt, weil ihm die meiſten ſolcher Wahr- heiten ſchon etwas Bekanntes und Gelaͤufiges ſind, und der auf der andern das Mißvergnuͤgen geſtoͤr- ter Empfindungen fuͤhlet, weil er die Unſchicklich- keit dieſer Lehrſpruͤche, bey den Umſtaͤnden deſſen, der ſie ſagt, bemerkt.
Wenn alſo der Dichter dieſes Intereſſe mit dem weſentlichern richtig geſchilderter Charaktere und Handlungen vereinigen will: ſo muß er ſol- che Charaktere, ſolche Situationen ſuchen, deren Entwickelung es mit ſich bringt, daß die Perſonen mehr als andre uͤber ihre Begebenheiten denken, und dieſe Gedanken freyer als andre ausdruͤcken. Dieß iſt eben der Vortheil der wahren launichten Charaktere.
Das Wort Laune ſoll theils diejenige Anlage des Kopfs anzeigen, durch die ein Menſch alle Sachen von einer etwas ſonderbaren Seite an- ſieht, von allen auf eine etwas ungewoͤhnliche Art geruͤhrt wird; theils diejenige Gemuͤthsart, in der er das, was er denkt, oder wozu er Luſt [] was andre weder ſagen noch thun wuͤr-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0307"n="301"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber das Intereſſirende.</hi></fw><lb/>
niſſe wegfaͤllt, weil ihm die meiſten ſolcher Wahr-<lb/>
heiten ſchon etwas Bekanntes und Gelaͤufiges ſind,<lb/>
und der auf der andern das Mißvergnuͤgen geſtoͤr-<lb/>
ter Empfindungen fuͤhlet, weil er die Unſchicklich-<lb/>
keit dieſer Lehrſpruͤche, bey den Umſtaͤnden deſſen,<lb/>
der ſie ſagt, bemerkt.</p><lb/><p>Wenn alſo der Dichter dieſes Intereſſe mit<lb/>
dem weſentlichern richtig geſchilderter Charaktere<lb/>
und Handlungen vereinigen will: ſo muß er ſol-<lb/>
che Charaktere, ſolche Situationen ſuchen, deren<lb/>
Entwickelung es mit ſich bringt, daß die Perſonen<lb/>
mehr als andre uͤber ihre Begebenheiten denken,<lb/>
und dieſe Gedanken freyer als andre ausdruͤcken.<lb/>
Dieß iſt eben der Vortheil der wahren <hirendition="#fr">launichten</hi><lb/>
Charaktere.</p><lb/><p>Das Wort <hirendition="#fr">Laune</hi>ſoll theils diejenige Anlage<lb/>
des Kopfs anzeigen, durch die ein Menſch alle<lb/>
Sachen von einer etwas ſonderbaren Seite an-<lb/>ſieht, von allen auf eine etwas ungewoͤhnliche<lb/>
Art geruͤhrt wird; theils diejenige Gemuͤthsart,<lb/>
in der er das, was er denkt, oder wozu er Luſt<lb/><gap/> was andre weder ſagen noch thun wuͤr-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[301/0307]
uͤber das Intereſſirende.
niſſe wegfaͤllt, weil ihm die meiſten ſolcher Wahr-
heiten ſchon etwas Bekanntes und Gelaͤufiges ſind,
und der auf der andern das Mißvergnuͤgen geſtoͤr-
ter Empfindungen fuͤhlet, weil er die Unſchicklich-
keit dieſer Lehrſpruͤche, bey den Umſtaͤnden deſſen,
der ſie ſagt, bemerkt.
Wenn alſo der Dichter dieſes Intereſſe mit
dem weſentlichern richtig geſchilderter Charaktere
und Handlungen vereinigen will: ſo muß er ſol-
che Charaktere, ſolche Situationen ſuchen, deren
Entwickelung es mit ſich bringt, daß die Perſonen
mehr als andre uͤber ihre Begebenheiten denken,
und dieſe Gedanken freyer als andre ausdruͤcken.
Dieß iſt eben der Vortheil der wahren launichten
Charaktere.
Das Wort Laune ſoll theils diejenige Anlage
des Kopfs anzeigen, durch die ein Menſch alle
Sachen von einer etwas ſonderbaren Seite an-
ſieht, von allen auf eine etwas ungewoͤhnliche
Art geruͤhrt wird; theils diejenige Gemuͤthsart,
in der er das, was er denkt, oder wozu er Luſt
_ was andre weder ſagen noch thun wuͤr-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/307>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.