Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
hören. Um deswillen macht das Streiten alle-
mal das Gespräch interessanter; und durch Zän-
kereyen ist man immer sicher, die Aufmerksamkeit
der Umstehenden zu erregen. Bey jedem Streite
entwickeln sich, durch Hülfe der Leidenschaft, wel-
che sich darein mischt, die Begriffe schneller, die
Worte rollen leichter fort, Gedanken und Aus-
drücke sind ungesuchter und kräftiger. Ueberdieß
wird der Zuhörer durch den schnellen und wieder-
holten Uebergang von der einen Partey zur entge-
gengesezten, durch den Kontrast der beiderseitigen
Meynungen und Gesinnungen, durch die immer
vom neuen erregte und immer befriedigte Erwar-
tung der Antworten und Gegenantworten, noch
mehr beschäftigt.

Diese Gattung des Interesse ist in vielen Ar-
ten der kleinern Gedichte die einzige, deren sie fä-
hig sind, und sie ist allen Arten nothwendig. --
Der Lehrdichter mag noch so große und noch so
neue Wahrheiten, der dramatische Schriftsteller
mag noch so rührende Situationen und noch so
einnehmende Charaktere gefunden haben; wenn

U 3

uͤber das Intereſſirende.
hoͤren. Um deswillen macht das Streiten alle-
mal das Geſpraͤch intereſſanter; und durch Zaͤn-
kereyen iſt man immer ſicher, die Aufmerkſamkeit
der Umſtehenden zu erregen. Bey jedem Streite
entwickeln ſich, durch Huͤlfe der Leidenſchaft, wel-
che ſich darein miſcht, die Begriffe ſchneller, die
Worte rollen leichter fort, Gedanken und Aus-
druͤcke ſind ungeſuchter und kraͤftiger. Ueberdieß
wird der Zuhoͤrer durch den ſchnellen und wieder-
holten Uebergang von der einen Partey zur entge-
gengeſezten, durch den Kontraſt der beiderſeitigen
Meynungen und Geſinnungen, durch die immer
vom neuen erregte und immer befriedigte Erwar-
tung der Antworten und Gegenantworten, noch
mehr beſchaͤftigt.

Dieſe Gattung des Intereſſe iſt in vielen Ar-
ten der kleinern Gedichte die einzige, deren ſie faͤ-
hig ſind, und ſie iſt allen Arten nothwendig. —
Der Lehrdichter mag noch ſo große und noch ſo
neue Wahrheiten, der dramatiſche Schriftſteller
mag noch ſo ruͤhrende Situationen und noch ſo
einnehmende Charaktere gefunden haben; wenn

U 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="309"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
ho&#x0364;ren. Um deswillen macht das Streiten alle-<lb/>
mal das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch intere&#x017F;&#x017F;anter; und durch Za&#x0364;n-<lb/>
kereyen i&#x017F;t man immer &#x017F;icher, die Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
der Um&#x017F;tehenden zu erregen. Bey jedem Streite<lb/>
entwickeln &#x017F;ich, durch Hu&#x0364;lfe der Leiden&#x017F;chaft, wel-<lb/>
che &#x017F;ich darein mi&#x017F;cht, die Begriffe &#x017F;chneller, die<lb/>
Worte rollen leichter fort, Gedanken und Aus-<lb/>
dru&#x0364;cke &#x017F;ind unge&#x017F;uchter und kra&#x0364;ftiger. Ueberdieß<lb/>
wird der Zuho&#x0364;rer durch den &#x017F;chnellen und wieder-<lb/>
holten Uebergang von der einen Partey zur entge-<lb/>
genge&#x017F;ezten, durch den Kontra&#x017F;t der beider&#x017F;eitigen<lb/>
Meynungen und Ge&#x017F;innungen, durch die immer<lb/>
vom neuen erregte und immer befriedigte Erwar-<lb/>
tung der Antworten und Gegenantworten, noch<lb/>
mehr be&#x017F;cha&#x0364;ftigt.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Gattung des Intere&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t in vielen Ar-<lb/>
ten der kleinern Gedichte die einzige, deren &#x017F;ie fa&#x0364;-<lb/>
hig &#x017F;ind, und &#x017F;ie i&#x017F;t allen Arten nothwendig. &#x2014;<lb/>
Der Lehrdichter mag noch &#x017F;o große und noch &#x017F;o<lb/>
neue Wahrheiten, der dramati&#x017F;che Schrift&#x017F;teller<lb/>
mag noch &#x017F;o ru&#x0364;hrende Situationen und noch &#x017F;o<lb/>
einnehmende Charaktere gefunden haben; wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0315] uͤber das Intereſſirende. hoͤren. Um deswillen macht das Streiten alle- mal das Geſpraͤch intereſſanter; und durch Zaͤn- kereyen iſt man immer ſicher, die Aufmerkſamkeit der Umſtehenden zu erregen. Bey jedem Streite entwickeln ſich, durch Huͤlfe der Leidenſchaft, wel- che ſich darein miſcht, die Begriffe ſchneller, die Worte rollen leichter fort, Gedanken und Aus- druͤcke ſind ungeſuchter und kraͤftiger. Ueberdieß wird der Zuhoͤrer durch den ſchnellen und wieder- holten Uebergang von der einen Partey zur entge- gengeſezten, durch den Kontraſt der beiderſeitigen Meynungen und Geſinnungen, durch die immer vom neuen erregte und immer befriedigte Erwar- tung der Antworten und Gegenantworten, noch mehr beſchaͤftigt. Dieſe Gattung des Intereſſe iſt in vielen Ar- ten der kleinern Gedichte die einzige, deren ſie faͤ- hig ſind, und ſie iſt allen Arten nothwendig. — Der Lehrdichter mag noch ſo große und noch ſo neue Wahrheiten, der dramatiſche Schriftſteller mag noch ſo ruͤhrende Situationen und noch ſo einnehmende Charaktere gefunden haben; wenn U 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/315
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/315>, abgerufen am 21.11.2024.