ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe- sie gemein, aber die Malerey hat gar keine an- dere.
Die Poesie hat noch eine zweyte. Nämlich, es entstehen Leidenschaften, wenn uns die Empfin- dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an unsre Umstände und Empfindungen ähnlicher Art erinnern, und also, so zu sagen, ein vergangnes Interesse wieder aufwecken.
Wir werden uns bloß auf die beiden leztern Arten, die Leidenschaften zu erregen, einschränken. Für die Dichter und die Schriftsteller überhaupt ist diese Untersuchung bestimmt. Gemälde und Musik können uns ergötzen, können uns rühren; aber im eigentlichen Verstande interessiren können uns nur die redenden Künste.
Noch einmal also, diese Künste erwecken Lei- denschaften, 1) indem sie Begebenheiten uns dar- stellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem sie Empfindungen uns vorlegen, die uns unsrer eigenen eingedenk machen. Man sieht leicht, daß das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-
uͤber das Intereſſirende.
ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe- ſie gemein, aber die Malerey hat gar keine an- dere.
Die Poeſie hat noch eine zweyte. Naͤmlich, es entſtehen Leidenſchaften, wenn uns die Empfin- dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an unſre Umſtaͤnde und Empfindungen aͤhnlicher Art erinnern, und alſo, ſo zu ſagen, ein vergangnes Intereſſe wieder aufwecken.
Wir werden uns bloß auf die beiden leztern Arten, die Leidenſchaften zu erregen, einſchraͤnken. Fuͤr die Dichter und die Schriftſteller uͤberhaupt iſt dieſe Unterſuchung beſtimmt. Gemaͤlde und Muſik koͤnnen uns ergoͤtzen, koͤnnen uns ruͤhren; aber im eigentlichen Verſtande intereſſiren koͤnnen uns nur die redenden Kuͤnſte.
Noch einmal alſo, dieſe Kuͤnſte erwecken Lei- denſchaften, 1) indem ſie Begebenheiten uns dar- ſtellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem ſie Empfindungen uns vorlegen, die uns unſrer eigenen eingedenk machen. Man ſieht leicht, daß das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-
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uͤber das Intereſſirende.
ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe-
ſie gemein, aber die Malerey hat gar keine an-
dere.
Die Poeſie hat noch eine zweyte. Naͤmlich,
es entſtehen Leidenſchaften, wenn uns die Empfin-
dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an
unſre Umſtaͤnde und Empfindungen aͤhnlicher Art
erinnern, und alſo, ſo zu ſagen, ein vergangnes
Intereſſe wieder aufwecken.
Wir werden uns bloß auf die beiden leztern
Arten, die Leidenſchaften zu erregen, einſchraͤnken.
Fuͤr die Dichter und die Schriftſteller uͤberhaupt
iſt dieſe Unterſuchung beſtimmt. Gemaͤlde und
Muſik koͤnnen uns ergoͤtzen, koͤnnen uns ruͤhren;
aber im eigentlichen Verſtande intereſſiren koͤnnen
uns nur die redenden Kuͤnſte.
Noch einmal alſo, dieſe Kuͤnſte erwecken Lei-
denſchaften, 1) indem ſie Begebenheiten uns dar-
ſtellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem
ſie Empfindungen uns vorlegen, die uns unſrer
eigenen eingedenk machen. Man ſieht leicht, daß
das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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