kunst, welche Begebenheiten erzählen oder nachah- men, Leidenschaften auf die erste Art erwecken; die Ode, die Elegie hingegen, alle die Gattungen, welche bloß den Gemüthszustand des Dichters schildern, auf die zweyte.
Diese Materie ist von unendlichem Umfange; wir müssen sie in engere Gränzen einschließen, wenn wir ihrer mächtig werden wollen.
An welchen Leidenschaften nehmen wir vor- nehmlich Theil? Auf welche Weise müssen sie ge- schildert werden, damit diese Theilnehmung be- fördert werde? und welches ist die nüzlichste Art der Leidenschaften, die der Dichter erwecken kann?
Um zu wissen, welche Leidenschaften und Em- pfindungen am meisten interessiren, haben wir zween Wege; entweder die menschliche Natur zu fragen, oder die Praxin der Dichter.
Die Natur sagt uns- Wir nehmen an den Leidenschaften, von welchen wir andre bewegt se- hen, Theil, entweder wenn wir uns genau in ihre Umstände zu versetzen, und die Wirkung der-
Einige Gedanken
kunſt, welche Begebenheiten erzaͤhlen oder nachah- men, Leidenſchaften auf die erſte Art erwecken; die Ode, die Elegie hingegen, alle die Gattungen, welche bloß den Gemuͤthszuſtand des Dichters ſchildern, auf die zweyte.
Dieſe Materie iſt von unendlichem Umfange; wir muͤſſen ſie in engere Graͤnzen einſchließen, wenn wir ihrer maͤchtig werden wollen.
An welchen Leidenſchaften nehmen wir vor- nehmlich Theil? Auf welche Weiſe muͤſſen ſie ge- ſchildert werden, damit dieſe Theilnehmung be- foͤrdert werde? und welches iſt die nuͤzlichſte Art der Leidenſchaften, die der Dichter erwecken kann?
Um zu wiſſen, welche Leidenſchaften und Em- pfindungen am meiſten intereſſiren, haben wir zween Wege; entweder die menſchliche Natur zu fragen, oder die Praxin der Dichter.
Die Natur ſagt uns- Wir nehmen an den Leidenſchaften, von welchen wir andre bewegt ſe- hen, Theil, entweder wenn wir uns genau in ihre Umſtaͤnde zu verſetzen, und die Wirkung der-
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Einige Gedanken
kunſt, welche Begebenheiten erzaͤhlen oder nachah-
men, Leidenſchaften auf die erſte Art erwecken; die
Ode, die Elegie hingegen, alle die Gattungen,
welche bloß den Gemuͤthszuſtand des Dichters
ſchildern, auf die zweyte.
Dieſe Materie iſt von unendlichem Umfange;
wir muͤſſen ſie in engere Graͤnzen einſchließen,
wenn wir ihrer maͤchtig werden wollen.
An welchen Leidenſchaften nehmen wir vor-
nehmlich Theil? Auf welche Weiſe muͤſſen ſie ge-
ſchildert werden, damit dieſe Theilnehmung be-
foͤrdert werde? und welches iſt die nuͤzlichſte Art
der Leidenſchaften, die der Dichter erwecken
kann?
Um zu wiſſen, welche Leidenſchaften und Em-
pfindungen am meiſten intereſſiren, haben wir
zween Wege; entweder die menſchliche Natur zu
fragen, oder die Praxin der Dichter.
Die Natur ſagt uns- Wir nehmen an den
Leidenſchaften, von welchen wir andre bewegt ſe-
hen, Theil, entweder wenn wir uns genau in
ihre Umſtaͤnde zu verſetzen, und die Wirkung der-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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