Die Geschichte des Geschmacks bestätigt diese Anmerkung. Vor rohen Zuschauern bringt man alles, was auf dem Theater ist, um; das heißt, man will, daß alle Personen durch ihr eigen Un- glück, keine bloß durch ihre Theilnehmung an ei- nem fremden Unglück, die Zuschauer rühre. Aber was ist der Erfolg? Die Zurüstungen der Exeku- tion vergnügen diese rohen Zuschauer mehr, als die Todesfälle selbst sie rühren. In einem aufge- klärten und geschmackvollen Jahrhunderte läßt der Dichter nur Einen sterben, nur Einer wird wirklich und persönlich unglücklich. Aber die- ser Eine ist ein Vater, er ist ein Gemahl, ein Hausherr, ein König, eine Stütze verlassener Ar- men. Aller dieser ihre Empfindungen sind so viel reflektirte Stralen, die ein gemäßigteres, aber ein lieblicheres Licht geben, als die Stralen, wel- che unmittelbar von dem Gegenstande selbst aus- laufen.
3) Das Leiden des Verlustes ist rührender als das Leiden des Schmerzens. Nämlich daran liegt alles, daß der Zuschauer von dem Zustande,
uͤber das Intereſſirende.
Die Geſchichte des Geſchmacks beſtaͤtigt dieſe Anmerkung. Vor rohen Zuſchauern bringt man alles, was auf dem Theater iſt, um; das heißt, man will, daß alle Perſonen durch ihr eigen Un- gluͤck, keine bloß durch ihre Theilnehmung an ei- nem fremden Ungluͤck, die Zuſchauer ruͤhre. Aber was iſt der Erfolg? Die Zuruͤſtungen der Exeku- tion vergnuͤgen dieſe rohen Zuſchauer mehr, als die Todesfaͤlle ſelbſt ſie ruͤhren. In einem aufge- klaͤrten und geſchmackvollen Jahrhunderte laͤßt der Dichter nur Einen ſterben, nur Einer wird wirklich und perſoͤnlich ungluͤcklich. Aber die- ſer Eine iſt ein Vater, er iſt ein Gemahl, ein Hausherr, ein Koͤnig, eine Stuͤtze verlaſſener Ar- men. Aller dieſer ihre Empfindungen ſind ſo viel reflektirte Stralen, die ein gemaͤßigteres, aber ein lieblicheres Licht geben, als die Stralen, wel- che unmittelbar von dem Gegenſtande ſelbſt aus- laufen.
3) Das Leiden des Verluſtes iſt ruͤhrender als das Leiden des Schmerzens. Naͤmlich daran liegt alles, daß der Zuſchauer von dem Zuſtande,
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uͤber das Intereſſirende.
Die Geſchichte des Geſchmacks beſtaͤtigt dieſe
Anmerkung. Vor rohen Zuſchauern bringt man
alles, was auf dem Theater iſt, um; das heißt,
man will, daß alle Perſonen durch ihr eigen Un-
gluͤck, keine bloß durch ihre Theilnehmung an ei-
nem fremden Ungluͤck, die Zuſchauer ruͤhre. Aber
was iſt der Erfolg? Die Zuruͤſtungen der Exeku-
tion vergnuͤgen dieſe rohen Zuſchauer mehr, als
die Todesfaͤlle ſelbſt ſie ruͤhren. In einem aufge-
klaͤrten und geſchmackvollen Jahrhunderte laͤßt
der Dichter nur Einen ſterben, nur Einer wird
wirklich und perſoͤnlich ungluͤcklich. Aber die-
ſer Eine iſt ein Vater, er iſt ein Gemahl, ein
Hausherr, ein Koͤnig, eine Stuͤtze verlaſſener Ar-
men. Aller dieſer ihre Empfindungen ſind ſo
viel reflektirte Stralen, die ein gemaͤßigteres, aber
ein lieblicheres Licht geben, als die Stralen, wel-
che unmittelbar von dem Gegenſtande ſelbſt aus-
laufen.
3) Das Leiden des Verluſtes iſt ruͤhrender
als das Leiden des Schmerzens. Naͤmlich daran
liegt alles, daß der Zuſchauer von dem Zuſtande,
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/371>, abgerufen am 21.11.2024.
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