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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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der Fähigkeiten.
lich die Fähigkeit zum Gelehrten oder zum schönen
Geist.

Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art
von Einbildungskraft, die, welche sinnliche Bil-
der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen,
die aus den Theilen der Körper neue Körper, aus
Thatsachen Thatsachen, und aus einzelnen Erschei-
nungen in der Natur und beym Menschen eine ähn-
liche Welt und ähnliche Menschen zusammensezt.
Hier geben die Sinnen zuerst den Stoff, und ih-
nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen-
det ist, vorgestellt. Aber es giebt auch eine Ein-
bildungskraft für den Philosophen, oder wenig-
stens für den Erfinder der Philosophie. Um zu
einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn sie nicht
eine unmittelbare Folge einer schon bekannten ist,
ist es unmöglich, die Art von deutlich gedachten
Schlüssen zu brauchen, durch welche man diese
Wahrheit, wenn sie erfunden ist, beweist. Wie
will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel-
ches man noch nicht kennt? Also Schluß vor
Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-

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der Faͤhigkeiten.
lich die Faͤhigkeit zum Gelehrten oder zum ſchoͤnen
Geiſt.

Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art
von Einbildungskraft, die, welche ſinnliche Bil-
der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen,
die aus den Theilen der Koͤrper neue Koͤrper, aus
Thatſachen Thatſachen, und aus einzelnen Erſchei-
nungen in der Natur und beym Menſchen eine aͤhn-
liche Welt und aͤhnliche Menſchen zuſammenſezt.
Hier geben die Sinnen zuerſt den Stoff, und ih-
nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen-
det iſt, vorgeſtellt. Aber es giebt auch eine Ein-
bildungskraft fuͤr den Philoſophen, oder wenig-
ſtens fuͤr den Erfinder der Philoſophie. Um zu
einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn ſie nicht
eine unmittelbare Folge einer ſchon bekannten iſt,
iſt es unmoͤglich, die Art von deutlich gedachten
Schluͤſſen zu brauchen, durch welche man dieſe
Wahrheit, wenn ſie erfunden iſt, beweiſt. Wie
will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel-
ches man noch nicht kennt? Alſo Schluß vor
Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-

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[35/0041] der Faͤhigkeiten. lich die Faͤhigkeit zum Gelehrten oder zum ſchoͤnen Geiſt. Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art von Einbildungskraft, die, welche ſinnliche Bil- der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen, die aus den Theilen der Koͤrper neue Koͤrper, aus Thatſachen Thatſachen, und aus einzelnen Erſchei- nungen in der Natur und beym Menſchen eine aͤhn- liche Welt und aͤhnliche Menſchen zuſammenſezt. Hier geben die Sinnen zuerſt den Stoff, und ih- nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen- det iſt, vorgeſtellt. Aber es giebt auch eine Ein- bildungskraft fuͤr den Philoſophen, oder wenig- ſtens fuͤr den Erfinder der Philoſophie. Um zu einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn ſie nicht eine unmittelbare Folge einer ſchon bekannten iſt, iſt es unmoͤglich, die Art von deutlich gedachten Schluͤſſen zu brauchen, durch welche man dieſe Wahrheit, wenn ſie erfunden iſt, beweiſt. Wie will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel- ches man noch nicht kennt? Alſo Schluß vor Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe- C 2

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/41>, abgerufen am 28.03.2024.