lich die Fähigkeit zum Gelehrten oder zum schönen Geist.
Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art von Einbildungskraft, die, welche sinnliche Bil- der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen, die aus den Theilen der Körper neue Körper, aus Thatsachen Thatsachen, und aus einzelnen Erschei- nungen in der Natur und beym Menschen eine ähn- liche Welt und ähnliche Menschen zusammensezt. Hier geben die Sinnen zuerst den Stoff, und ih- nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen- det ist, vorgestellt. Aber es giebt auch eine Ein- bildungskraft für den Philosophen, oder wenig- stens für den Erfinder der Philosophie. Um zu einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn sie nicht eine unmittelbare Folge einer schon bekannten ist, ist es unmöglich, die Art von deutlich gedachten Schlüssen zu brauchen, durch welche man diese Wahrheit, wenn sie erfunden ist, beweist. Wie will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel- ches man noch nicht kennt? Also Schluß vor Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-
C 2
der Faͤhigkeiten.
lich die Faͤhigkeit zum Gelehrten oder zum ſchoͤnen Geiſt.
Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art von Einbildungskraft, die, welche ſinnliche Bil- der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen, die aus den Theilen der Koͤrper neue Koͤrper, aus Thatſachen Thatſachen, und aus einzelnen Erſchei- nungen in der Natur und beym Menſchen eine aͤhn- liche Welt und aͤhnliche Menſchen zuſammenſezt. Hier geben die Sinnen zuerſt den Stoff, und ih- nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen- det iſt, vorgeſtellt. Aber es giebt auch eine Ein- bildungskraft fuͤr den Philoſophen, oder wenig- ſtens fuͤr den Erfinder der Philoſophie. Um zu einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn ſie nicht eine unmittelbare Folge einer ſchon bekannten iſt, iſt es unmoͤglich, die Art von deutlich gedachten Schluͤſſen zu brauchen, durch welche man dieſe Wahrheit, wenn ſie erfunden iſt, beweiſt. Wie will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel- ches man noch nicht kennt? Alſo Schluß vor Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-
C 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0041"n="35"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Faͤhigkeiten.</hi></fw><lb/>
lich die Faͤhigkeit zum Gelehrten oder zum ſchoͤnen<lb/>
Geiſt.</p><lb/><p>Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art<lb/>
von Einbildungskraft, die, welche ſinnliche Bil-<lb/>
der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen,<lb/>
die aus den Theilen der Koͤrper neue Koͤrper, aus<lb/>
Thatſachen Thatſachen, und aus einzelnen Erſchei-<lb/>
nungen in der Natur und beym Menſchen eine aͤhn-<lb/>
liche Welt und aͤhnliche Menſchen zuſammenſezt.<lb/>
Hier geben die Sinnen zuerſt den Stoff, und ih-<lb/>
nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen-<lb/>
det iſt, vorgeſtellt. Aber es giebt auch eine Ein-<lb/>
bildungskraft fuͤr den Philoſophen, oder wenig-<lb/>ſtens fuͤr den Erfinder der Philoſophie. Um zu<lb/>
einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn ſie nicht<lb/>
eine unmittelbare Folge einer ſchon bekannten iſt,<lb/>
iſt es unmoͤglich, die Art von deutlich gedachten<lb/>
Schluͤſſen zu brauchen, durch welche man dieſe<lb/>
Wahrheit, wenn ſie erfunden iſt, beweiſt. Wie<lb/>
will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel-<lb/>
ches man noch nicht kennt? Alſo Schluß vor<lb/>
Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[35/0041]
der Faͤhigkeiten.
lich die Faͤhigkeit zum Gelehrten oder zum ſchoͤnen
Geiſt.
Man kennt gemeiniglich nur eine einzige Art
von Einbildungskraft, die, welche ſinnliche Bil-
der vereinigt, um neue Bilder hervorzubringen,
die aus den Theilen der Koͤrper neue Koͤrper, aus
Thatſachen Thatſachen, und aus einzelnen Erſchei-
nungen in der Natur und beym Menſchen eine aͤhn-
liche Welt und aͤhnliche Menſchen zuſammenſezt.
Hier geben die Sinnen zuerſt den Stoff, und ih-
nen wird auch zulezt das Werk, wann es vollen-
det iſt, vorgeſtellt. Aber es giebt auch eine Ein-
bildungskraft fuͤr den Philoſophen, oder wenig-
ſtens fuͤr den Erfinder der Philoſophie. Um zu
einer neuen Wahrheit zu kommen, wenn ſie nicht
eine unmittelbare Folge einer ſchon bekannten iſt,
iſt es unmoͤglich, die Art von deutlich gedachten
Schluͤſſen zu brauchen, durch welche man dieſe
Wahrheit, wenn ſie erfunden iſt, beweiſt. Wie
will man den Weg zu einem Ziele abzeichnen, wel-
ches man noch nicht kennt? Alſo Schluß vor
Schluß von der bekannten Wahrheit zur unbe-
C 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/41>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.