kurz und so gut gemalt. Das Anstrengen der lezten Kräfte einer Sterbenden, sich in die Höhe zu richten, und das Zurücksinken der Ohnmacht, wird unsrer Einbildungskraft durch die wenigen Worte auffallend deutlich.
Der zweyte Theil enthält ein moralisches Ge- mälde von dem größten Ausdrucke, und so ein- fältig, in anderthalb kurze Zeilen eingeschlossen.
Dido kömmt zu einem halben Bewußtseyn, öfnet die Augen, hat sie starr gen Himmel gerich- tet; aber sieht kein Licht mehr. Ein dunkler Ein- druck von Aengstlichkeit über die ungewohnte Fin- sterniß an dem Orte, der sonst der Sitz und die Quelle des Lichts war, macht, daß sie die Augen halb willkührlich, halb durch eine mechanische Bewegung, hin und her kehrt, um irgend einen Ausgang ins Freye zu suchen, um dem vermeyn- ten Hindernisse auszuweichen, das die gewünsch- ten Stralen auffängt. Jezt kömmt die Ster- bende zu einem vollern Bewußtseyn: ihre Augen werden von den Lichtstralen gerührt, sie fühlt ihr
Einige Gedanken
kurz und ſo gut gemalt. Das Anſtrengen der lezten Kraͤfte einer Sterbenden, ſich in die Hoͤhe zu richten, und das Zuruͤckſinken der Ohnmacht, wird unſrer Einbildungskraft durch die wenigen Worte auffallend deutlich.
Der zweyte Theil enthaͤlt ein moraliſches Ge- maͤlde von dem groͤßten Ausdrucke, und ſo ein- faͤltig, in anderthalb kurze Zeilen eingeſchloſſen.
Dido koͤmmt zu einem halben Bewußtſeyn, oͤfnet die Augen, hat ſie ſtarr gen Himmel gerich- tet; aber ſieht kein Licht mehr. Ein dunkler Ein- druck von Aengſtlichkeit uͤber die ungewohnte Fin- ſterniß an dem Orte, der ſonſt der Sitz und die Quelle des Lichts war, macht, daß ſie die Augen halb willkuͤhrlich, halb durch eine mechaniſche Bewegung, hin und her kehrt, um irgend einen Ausgang ins Freye zu ſuchen, um dem vermeyn- ten Hinderniſſe auszuweichen, das die gewuͤnſch- ten Stralen auffaͤngt. Jezt koͤmmt die Ster- bende zu einem vollern Bewußtſeyn: ihre Augen werden von den Lichtſtralen geruͤhrt, ſie fuͤhlt ihr
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Einige Gedanken
kurz und ſo gut gemalt. Das Anſtrengen der
lezten Kraͤfte einer Sterbenden, ſich in die Hoͤhe
zu richten, und das Zuruͤckſinken der Ohnmacht,
wird unſrer Einbildungskraft durch die wenigen
Worte auffallend deutlich.
Der zweyte Theil enthaͤlt ein moraliſches Ge-
maͤlde von dem groͤßten Ausdrucke, und ſo ein-
faͤltig, in anderthalb kurze Zeilen eingeſchloſſen.
Dido koͤmmt zu einem halben Bewußtſeyn,
oͤfnet die Augen, hat ſie ſtarr gen Himmel gerich-
tet; aber ſieht kein Licht mehr. Ein dunkler Ein-
druck von Aengſtlichkeit uͤber die ungewohnte Fin-
ſterniß an dem Orte, der ſonſt der Sitz und die
Quelle des Lichts war, macht, daß ſie die Augen
halb willkuͤhrlich, halb durch eine mechaniſche
Bewegung, hin und her kehrt, um irgend einen
Ausgang ins Freye zu ſuchen, um dem vermeyn-
ten Hinderniſſe auszuweichen, das die gewuͤnſch-
ten Stralen auffaͤngt. Jezt koͤmmt die Ster-
bende zu einem vollern Bewußtſeyn: ihre Augen
werden von den Lichtſtralen geruͤhrt, ſie fuͤhlt ihr
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/430>, abgerufen am 21.11.2024.
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