Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
Daseyn wieder; und ein tiefer Seufzer ist der ein-
zige Ausdruck dieses Gefühls.

Was rührt an diesem Gemälde? Erstlich, es
scheint so wahr. Wenn dieß nicht die Empfin-
dungen von Sterbenden sind: so sind es doch
genau die Empfindungen, die wir Sterbenden
zuschreiben. Der Dichter hat genau das Ideal
getroffen, das wir von dieser interessanten Scene
des menschlichen Lebens mit uns herumtragen,
wenn er auch nicht den Gegenstand selbst getrof-
fen hätte.

Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil-
derung zu sehen: was kann rührender seyn, als
ein Mensch, der leidet, der schon anfieng in dem
Schlummer des Todes das Bewußtseyn seiner
selbst und mit demselben seiner Noth und seines
Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er-
wacht, sich und alles sein Elend wieder fühlt, und
das zurückkehrende Leben beseufzt.

Was ist rührender, als dieser Streit der
menschlichen Natur zwischen der Furcht vor dem
Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht

D d 5

uͤber das Intereſſirende.
Daſeyn wieder; und ein tiefer Seufzer iſt der ein-
zige Ausdruck dieſes Gefuͤhls.

Was ruͤhrt an dieſem Gemaͤlde? Erſtlich, es
ſcheint ſo wahr. Wenn dieß nicht die Empfin-
dungen von Sterbenden ſind: ſo ſind es doch
genau die Empfindungen, die wir Sterbenden
zuſchreiben. Der Dichter hat genau das Ideal
getroffen, das wir von dieſer intereſſanten Scene
des menſchlichen Lebens mit uns herumtragen,
wenn er auch nicht den Gegenſtand ſelbſt getrof-
fen haͤtte.

Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil-
derung zu ſehen: was kann ruͤhrender ſeyn, als
ein Menſch, der leidet, der ſchon anfieng in dem
Schlummer des Todes das Bewußtſeyn ſeiner
ſelbſt und mit demſelben ſeiner Noth und ſeines
Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er-
wacht, ſich und alles ſein Elend wieder fuͤhlt, und
das zuruͤckkehrende Leben beſeufzt.

Was iſt ruͤhrender, als dieſer Streit der
menſchlichen Natur zwiſchen der Furcht vor dem
Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht

D d 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0431" n="425"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
Da&#x017F;eyn wieder; und ein tiefer Seufzer i&#x017F;t der ein-<lb/>
zige Ausdruck die&#x017F;es Gefu&#x0364;hls.</p><lb/>
          <p>Was ru&#x0364;hrt an die&#x017F;em Gema&#x0364;lde? Er&#x017F;tlich, es<lb/>
&#x017F;cheint &#x017F;o wahr. Wenn dieß nicht die Empfin-<lb/>
dungen von Sterbenden &#x017F;ind: &#x017F;o &#x017F;ind es doch<lb/>
genau die Empfindungen, die wir Sterbenden<lb/>
zu&#x017F;chreiben. Der Dichter hat genau das Ideal<lb/>
getroffen, das wir von die&#x017F;er intere&#x017F;&#x017F;anten Scene<lb/>
des men&#x017F;chlichen Lebens mit uns herumtragen,<lb/>
wenn er auch nicht den Gegen&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;t getrof-<lb/>
fen ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil-<lb/>
derung zu &#x017F;ehen: was kann ru&#x0364;hrender &#x017F;eyn, als<lb/>
ein Men&#x017F;ch, der leidet, der &#x017F;chon anfieng in dem<lb/>
Schlummer des Todes das Bewußt&#x017F;eyn &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t und mit dem&#x017F;elben &#x017F;einer Noth und &#x017F;eines<lb/>
Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er-<lb/>
wacht, &#x017F;ich und alles &#x017F;ein Elend wieder fu&#x0364;hlt, und<lb/>
das zuru&#x0364;ckkehrende Leben be&#x017F;eufzt.</p><lb/>
          <p>Was i&#x017F;t ru&#x0364;hrender, als die&#x017F;er Streit der<lb/>
men&#x017F;chlichen Natur zwi&#x017F;chen der Furcht vor dem<lb/>
Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[425/0431] uͤber das Intereſſirende. Daſeyn wieder; und ein tiefer Seufzer iſt der ein- zige Ausdruck dieſes Gefuͤhls. Was ruͤhrt an dieſem Gemaͤlde? Erſtlich, es ſcheint ſo wahr. Wenn dieß nicht die Empfin- dungen von Sterbenden ſind: ſo ſind es doch genau die Empfindungen, die wir Sterbenden zuſchreiben. Der Dichter hat genau das Ideal getroffen, das wir von dieſer intereſſanten Scene des menſchlichen Lebens mit uns herumtragen, wenn er auch nicht den Gegenſtand ſelbſt getrof- fen haͤtte. Zweytens, ohne auf die Richtigkeit der Schil- derung zu ſehen: was kann ruͤhrender ſeyn, als ein Menſch, der leidet, der ſchon anfieng in dem Schlummer des Todes das Bewußtſeyn ſeiner ſelbſt und mit demſelben ſeiner Noth und ſeines Schmerzes zu verlieren, und der nun wieder er- wacht, ſich und alles ſein Elend wieder fuͤhlt, und das zuruͤckkehrende Leben beſeufzt. Was iſt ruͤhrender, als dieſer Streit der menſchlichen Natur zwiſchen der Furcht vor dem Tode, welche macht, daß der Sterbende das Licht D d 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/431
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/431>, abgerufen am 19.05.2024.