wünscht und sucht, und zwischen dem Jammer des Lebens, der ihm Seufzer auspreßt, wenn er das Licht gefunden hat.
Zwo allgemeine Folgerungen will ich aus die- ser vielleicht zu weitläuftigen Zergliederung des virgilianischen Gemäldes ziehen.
Erstlich: Wo viel Interesse in den Reden der Leidenschaft seyn soll, da muß Abwechselung, Streit und Verbindung mehrerer Leidenschaften seyn. Der schnelle Uebergang vom Zorne zur Zärtlichkeit, von der Reue zum Stolze, macht die Reden der Dido vorzüglich interessant. Man lasse eine von diesen allein herrschen: und die in- teressante Sprache derselben wird viel schwerer zu finden, wird viel kürzer auszuhalten seyn. Ae- neas, Anna, alle sind, mit ihr verglichen, lang- weilig. Ihre Reden sind mehr beredt als rüh- rend, weil ihre Gesinnungen einfach sind.
Zum zweyten: Das vornehmste Interesse der Dichtkunst, besonders der epischen Dichtkunst, ist, Wahrheit und Natur in poetischem Schmucke zu sehen, natürliche Gedanken in schönen Versen.
Einige Gedanken
wuͤnſcht und ſucht, und zwiſchen dem Jammer des Lebens, der ihm Seufzer auspreßt, wenn er das Licht gefunden hat.
Zwo allgemeine Folgerungen will ich aus die- ſer vielleicht zu weitlaͤuftigen Zergliederung des virgilianiſchen Gemaͤldes ziehen.
Erſtlich: Wo viel Intereſſe in den Reden der Leidenſchaft ſeyn ſoll, da muß Abwechſelung, Streit und Verbindung mehrerer Leidenſchaften ſeyn. Der ſchnelle Uebergang vom Zorne zur Zaͤrtlichkeit, von der Reue zum Stolze, macht die Reden der Dido vorzuͤglich intereſſant. Man laſſe eine von dieſen allein herrſchen: und die in- tereſſante Sprache derſelben wird viel ſchwerer zu finden, wird viel kuͤrzer auszuhalten ſeyn. Ae- neas, Anna, alle ſind, mit ihr verglichen, lang- weilig. Ihre Reden ſind mehr beredt als ruͤh- rend, weil ihre Geſinnungen einfach ſind.
Zum zweyten: Das vornehmſte Intereſſe der Dichtkunſt, beſonders der epiſchen Dichtkunſt, iſt, Wahrheit und Natur in poetiſchem Schmucke zu ſehen, natuͤrliche Gedanken in ſchoͤnen Verſen.
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Einige Gedanken
wuͤnſcht und ſucht, und zwiſchen dem Jammer
des Lebens, der ihm Seufzer auspreßt, wenn er
das Licht gefunden hat.
Zwo allgemeine Folgerungen will ich aus die-
ſer vielleicht zu weitlaͤuftigen Zergliederung des
virgilianiſchen Gemaͤldes ziehen.
Erſtlich: Wo viel Intereſſe in den Reden
der Leidenſchaft ſeyn ſoll, da muß Abwechſelung,
Streit und Verbindung mehrerer Leidenſchaften
ſeyn. Der ſchnelle Uebergang vom Zorne zur
Zaͤrtlichkeit, von der Reue zum Stolze, macht die
Reden der Dido vorzuͤglich intereſſant. Man
laſſe eine von dieſen allein herrſchen: und die in-
tereſſante Sprache derſelben wird viel ſchwerer
zu finden, wird viel kuͤrzer auszuhalten ſeyn. Ae-
neas, Anna, alle ſind, mit ihr verglichen, lang-
weilig. Ihre Reden ſind mehr beredt als ruͤh-
rend, weil ihre Geſinnungen einfach ſind.
Zum zweyten: Das vornehmſte Intereſſe der
Dichtkunſt, beſonders der epiſchen Dichtkunſt, iſt,
Wahrheit und Natur in poetiſchem Schmucke zu
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/432>, abgerufen am 22.11.2024.
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