senkrecht in ein Gefäß mit Wasser, dergestalt, daß die obere der Nadeln die Oberfläche des Wassers berühre. Darauf bringe man das Auge mit dieser Nadel und dem Bilde der untern in eine gerade Linie, so wird dieses Bild gespalten erscheinen. Hält man das Auge etwas von dem Brete abwärts, so erscheint das Bild, wie eine Gabel, deren Zacken weit feiner sind, als der Stiel, oder der ungespaltne Theil des Bildes. Wo die Zacken sich krümmen und in den Stiel zusammenlaufen, welches neben dem Knopfe der obern Nadel geschieht, erscheint ein feiner hellrother Strich auswärts. Bewegt man das Auge nach dem Brete hin, daß der Kopf der untern Nadel dem Kopse der obern sich nähert, so verliert sich der Stiel der Gabel, und die beyden Zacken laufen oben in einen Halbkreis zusammen, der Farben spielt. Sobald man die obere Nadel das Wasser nicht berühren läßt, fallen alle diese Erscheinungen weg, und das Bild wird, wie eine wirkliche Nadel, von der obern bedeckt.
Es ist aus den angeführten Versuchen unläugbar, daß Lichtstralen, welche nahe bey dichten Körpern vorbeyfahren. von ihrem Wege abgelenkt, und zum Theil von den Körpern hinweg, zum Theil auch gegen die Körper zu gebogen werden, auch daß sie sich hiebey in Farben zerstreuen. Noch ist aber diese Eigenschaft des Lichts zu wenig untersucht, als daß man sie auf so bestimmte Gesetze, wie die Zurückwerfung und Brechung, zurückführen, und einer mathematischen Berechnung unterwerfen könnte.
Ueber die Ursache der Beugung hat Newton mit der ihm eignen Bescheidenheit nichts zu bestimmen gewagt, sondern am Ende seiner Optik blos folgende Fragen aufgeworfen.
1. Wirken nicht die Körper schon in einiger Entfernung auf das Licht, und beugen dadurch die Lichtstralen? Und ist nicht diese Wirkung, bey sonst gleichen Umständen, in der geringsten Entfernung am stärksten?
2. Sind nicht die in der Brechbarkeit verschiedenen Stralen auch in der Biegbarkeit verschieden, und werden sie nicht durch die verschiedenen Beugungen von einander
ſenkrecht in ein Gefaͤß mit Waſſer, dergeſtalt, daß die obere der Nadeln die Oberflaͤche des Waſſers beruͤhre. Darauf bringe man das Auge mit dieſer Nadel und dem Bilde der untern in eine gerade Linie, ſo wird dieſes Bild geſpalten erſcheinen. Haͤlt man das Auge etwas von dem Brete abwaͤrts, ſo erſcheint das Bild, wie eine Gabel, deren Zacken weit feiner ſind, als der Stiel, oder der ungeſpaltne Theil des Bildes. Wo die Zacken ſich kruͤmmen und in den Stiel zuſammenlaufen, welches neben dem Knopfe der obern Nadel geſchieht, erſcheint ein feiner hellrother Strich auswaͤrts. Bewegt man das Auge nach dem Brete hin, daß der Kopf der untern Nadel dem Kopſe der obern ſich naͤhert, ſo verliert ſich der Stiel der Gabel, und die beyden Zacken laufen oben in einen Halbkreis zuſammen, der Farben ſpielt. Sobald man die obere Nadel das Waſſer nicht beruͤhren laͤßt, fallen alle dieſe Erſcheinungen weg, und das Bild wird, wie eine wirkliche Nadel, von der obern bedeckt.
Es iſt aus den angefuͤhrten Verſuchen unlaͤugbar, daß Lichtſtralen, welche nahe bey dichten Koͤrpern vorbeyfahren. von ihrem Wege abgelenkt, und zum Theil von den Koͤrpern hinweg, zum Theil auch gegen die Koͤrper zu gebogen werden, auch daß ſie ſich hiebey in Farben zerſtreuen. Noch iſt aber dieſe Eigenſchaft des Lichts zu wenig unterſucht, als daß man ſie auf ſo beſtimmte Geſetze, wie die Zuruͤckwerfung und Brechung, zuruͤckfuͤhren, und einer mathematiſchen Berechnung unterwerfen koͤnnte.
Ueber die Urſache der Beugung hat Newton mit der ihm eignen Beſcheidenheit nichts zu beſtimmen gewagt, ſondern am Ende ſeiner Optik blos folgende Fragen aufgeworfen.
1. Wirken nicht die Koͤrper ſchon in einiger Entfernung auf das Licht, und beugen dadurch die Lichtſtralen? Und iſt nicht dieſe Wirkung, bey ſonſt gleichen Umſtaͤnden, in der geringſten Entfernung am ſtaͤrkſten?
2. Sind nicht die in der Brechbarkeit verſchiedenen Stralen auch in der Biegbarkeit verſchieden, und werden ſie nicht durch die verſchiedenen Beugungen von einander
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ſenkrecht in ein Gefaͤß mit Waſſer, dergeſtalt, daß die obere der Nadeln die Oberflaͤche des Waſſers beruͤhre. Darauf bringe man das Auge mit dieſer Nadel und dem Bilde der untern in eine gerade Linie, ſo wird dieſes Bild geſpalten erſcheinen. Haͤlt man das Auge etwas von dem Brete abwaͤrts, ſo erſcheint das Bild, wie eine Gabel, deren Zacken weit feiner ſind, als der Stiel, oder der ungeſpaltne Theil des Bildes. Wo die Zacken ſich kruͤmmen und in den Stiel zuſammenlaufen, welches neben dem Knopfe der obern Nadel geſchieht, erſcheint ein feiner hellrother Strich auswaͤrts. Bewegt man das Auge nach dem Brete hin, daß der Kopf der untern Nadel dem Kopſe der obern ſich naͤhert, ſo verliert ſich der Stiel der Gabel, und die beyden Zacken laufen oben in einen Halbkreis zuſammen, der Farben ſpielt. Sobald man die obere Nadel das Waſſer nicht beruͤhren laͤßt, fallen alle dieſe Erſcheinungen weg, und das Bild wird, wie eine wirkliche Nadel, von der obern bedeckt.
Es iſt aus den angefuͤhrten Verſuchen unlaͤugbar, daß Lichtſtralen, welche nahe bey dichten Koͤrpern vorbeyfahren. von ihrem Wege abgelenkt, und zum Theil von den Koͤrpern hinweg, zum Theil auch gegen die Koͤrper zu gebogen werden, auch daß ſie ſich hiebey in Farben zerſtreuen. Noch iſt aber dieſe Eigenſchaft des Lichts zu wenig unterſucht, als daß man ſie auf ſo beſtimmte Geſetze, wie die Zuruͤckwerfung und Brechung, zuruͤckfuͤhren, und einer mathematiſchen Berechnung unterwerfen koͤnnte.
Ueber die Urſache der Beugung hat Newton mit der ihm eignen Beſcheidenheit nichts zu beſtimmen gewagt, ſondern am Ende ſeiner Optik blos folgende Fragen aufgeworfen.
1. Wirken nicht die Koͤrper ſchon in einiger Entfernung auf das Licht, und beugen dadurch die Lichtſtralen? Und iſt nicht dieſe Wirkung, bey ſonſt gleichen Umſtaͤnden, in der geringſten Entfernung am ſtaͤrkſten?
2. Sind nicht die in der Brechbarkeit verſchiedenen Stralen auch in der Biegbarkeit verſchieden, und werden ſie nicht durch die verſchiedenen Beugungen von einander
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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