Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.Barrow (Lectiones opticae, Lond. 1674. 4.) zog die Allgemeinheit des Grundsatzes der Alten in Zweifel, weil doch das erwähnte Loth nur ein geometrisches Ideal sey, und keine Wirkungen äußern könne, und weil die angeführte Erfahrung bey den krummen Spiegeln ungewiß werde, auch bey der Brechung der ins Wasser gesenkte Theil eines glänzenden Fadens gegen das Auge zu rücken scheine. Er legte daher zum Grunde, daß der Ort des Bildes in der Spitze I des auf den Augenstern HK fallenden Stralenkegels HIK liege (in vertice coni reflexi aut refracti). Dieser Satz hat das für sich, daß alle Stralen zwischen IK und EH völlig so ins Auge kommen, wie sie aus dem Punkte I in dasselbe kommen würden. Barrow nahm an, das Auge verlängere oder verkürze sich, nach Beschaffenheit des Winkels KIH, um ein deutliches Bild zu erhalten (s. Auge), und die Seele urtheile dadurch von der Entfernung HI. Er bestimmt hieraus, daß bey der Brechung aus dem dichtern Mittel ins dünnere und beym erhabnen Spiegel das Bild allezeit vom Perpendikel gegen das Auge zu rücke, beym Planspiegel in den Perpendikel selbst, und beym Hohlspiegel weiter vom Auge ab falle. Er giebt hierüber einige sehr schöne geometrische Bestimmungen, und kömmt der Entdeckung der Brennlinien nahe, welche nichts anders als geometrische Orte mehrerer solcher Spitzen von Stralenkegeln sind. Er macht aber selbst gegen seinen Grundsatz den Einwurf, daß von Gegenständen, durch erhabne Gläser betrachtet, doch Bilder gesehen werden, wenn gleich die Vereinigungspunkte der Stralen oder die Spitzen der aufs Auge fallenden Stralenkegel, d. i. die Orte der Bilder, gar nicht vor dem Auge, sondern vielmehr erst hinter demselben liegen. Diesen Einwurf beantwortete Berkley (Essay towards a new theory of vision, Dublin 1709. 8.). Die Seele, sagt er, urtheilt von der Entfernung des Bildes und also von der Stelle desselben aus dem Grade seiner Deutlichkeit. Nun ist die Undeutlichkeit eben so groß, wenn sich die aus einem Punkte gekommenen Stralen vor der Netzhaut, als wenn sie sich erst eben so weit hinter derselben Barrow (Lectiones opticae, Lond. 1674. 4.) zog die Allgemeinheit des Grundſatzes der Alten in Zweifel, weil doch das erwaͤhnte Loth nur ein geometriſches Ideal ſey, und keine Wirkungen aͤußern koͤnne, und weil die angefuͤhrte Erfahrung bey den krummen Spiegeln ungewiß werde, auch bey der Brechung der ins Waſſer geſenkte Theil eines glaͤnzenden Fadens gegen das Auge zu ruͤcken ſcheine. Er legte daher zum Grunde, daß der Ort des Bildes in der Spitze I des auf den Augenſtern HK fallenden Stralenkegels HIK liege (in vertice coni reflexi aut refracti). Dieſer Satz hat das fuͤr ſich, daß alle Stralen zwiſchen IK und EH voͤllig ſo ins Auge kommen, wie ſie aus dem Punkte I in daſſelbe kommen wuͤrden. Barrow nahm an, das Auge verlaͤngere oder verkuͤrze ſich, nach Beſchaffenheit des Winkels KIH, um ein deutliches Bild zu erhalten (ſ. Auge), und die Seele urtheile dadurch von der Entfernung HI. Er beſtimmt hieraus, daß bey der Brechung aus dem dichtern Mittel ins duͤnnere und beym erhabnen Spiegel das Bild allezeit vom Perpendikel gegen das Auge zu ruͤcke, beym Planſpiegel in den Perpendikel ſelbſt, und beym Hohlſpiegel weiter vom Auge ab falle. Er giebt hieruͤber einige ſehr ſchoͤne geometriſche Beſtimmungen, und koͤmmt der Entdeckung der Brennlinien nahe, welche nichts anders als geometriſche Orte mehrerer ſolcher Spitzen von Stralenkegeln ſind. Er macht aber ſelbſt gegen ſeinen Grundſatz den Einwurf, daß von Gegenſtaͤnden, durch erhabne Glaͤſer betrachtet, doch Bilder geſehen werden, wenn gleich die Vereinigungspunkte der Stralen oder die Spitzen der aufs Auge fallenden Stralenkegel, d. i. die Orte der Bilder, gar nicht vor dem Auge, ſondern vielmehr erſt hinter demſelben liegen. Dieſen Einwurf beantwortete Berkley (Eſſay towards a new theory of viſion, Dublin 1709. 8.). Die Seele, ſagt er, urtheilt von der Entfernung des Bildes und alſo von der Stelle deſſelben aus dem Grade ſeiner Deutlichkeit. Nun iſt die Undeutlichkeit eben ſo groß, wenn ſich die aus einem Punkte gekommenen Stralen vor der Netzhaut, als wenn ſie ſich erſt eben ſo weit hinter derſelben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p> <pb facs="#f0369" xml:id="P.1.355" n="355"/><lb/> </p> </div> <div n="2"> <head>Barrow</head><lb/> <p><hi rendition="#aq">(Lectiones opticae, Lond. 1674. 4.)</hi> zog die Allgemeinheit des Grundſatzes der Alten in Zweifel, weil doch das erwaͤhnte Loth nur ein geometriſches Ideal ſey, und keine Wirkungen aͤußern koͤnne, und weil die angefuͤhrte Erfahrung bey den krummen Spiegeln ungewiß werde, auch bey der Brechung der ins Waſſer geſenkte Theil eines glaͤnzenden Fadens gegen das Auge zu ruͤcken ſcheine. 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Barrow
(Lectiones opticae, Lond. 1674. 4.) zog die Allgemeinheit des Grundſatzes der Alten in Zweifel, weil doch das erwaͤhnte Loth nur ein geometriſches Ideal ſey, und keine Wirkungen aͤußern koͤnne, und weil die angefuͤhrte Erfahrung bey den krummen Spiegeln ungewiß werde, auch bey der Brechung der ins Waſſer geſenkte Theil eines glaͤnzenden Fadens gegen das Auge zu ruͤcken ſcheine. Er legte daher zum Grunde, daß der Ort des Bildes in der Spitze I des auf den Augenſtern HK fallenden Stralenkegels HIK liege (in vertice coni reflexi aut refracti). Dieſer Satz hat das fuͤr ſich, daß alle Stralen zwiſchen IK und EH voͤllig ſo ins Auge kommen, wie ſie aus dem Punkte I in daſſelbe kommen wuͤrden. Barrow nahm an, das Auge verlaͤngere oder verkuͤrze ſich, nach Beſchaffenheit des Winkels KIH, um ein deutliches Bild zu erhalten (ſ. Auge), und die Seele urtheile dadurch von der Entfernung HI. Er beſtimmt hieraus, daß bey der Brechung aus dem dichtern Mittel ins duͤnnere und beym erhabnen Spiegel das Bild allezeit vom Perpendikel gegen das Auge zu ruͤcke, beym Planſpiegel in den Perpendikel ſelbſt, und beym Hohlſpiegel weiter vom Auge ab falle. Er giebt hieruͤber einige ſehr ſchoͤne geometriſche Beſtimmungen, und koͤmmt der Entdeckung der Brennlinien nahe, welche nichts anders als geometriſche Orte mehrerer ſolcher Spitzen von Stralenkegeln ſind. Er macht aber ſelbſt gegen ſeinen Grundſatz den Einwurf, daß von Gegenſtaͤnden, durch erhabne Glaͤſer betrachtet, doch Bilder geſehen werden, wenn gleich die Vereinigungspunkte der Stralen oder die Spitzen der aufs Auge fallenden Stralenkegel, d. i. die Orte der Bilder, gar nicht vor dem Auge, ſondern vielmehr erſt hinter demſelben liegen.
Dieſen Einwurf beantwortete Berkley (Eſſay towards a new theory of viſion, Dublin 1709. 8.). Die Seele, ſagt er, urtheilt von der Entfernung des Bildes und alſo von der Stelle deſſelben aus dem Grade ſeiner Deutlichkeit. Nun iſt die Undeutlichkeit eben ſo groß, wenn ſich die aus einem Punkte gekommenen Stralen vor der Netzhaut, als wenn ſie ſich erſt eben ſo weit hinter derſelben
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