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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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für ausgemacht, sondern begnüge sich, sie zu muthmaßen.

Wenn aber auch Descartes die Sache selbst aus des Snellius Handschriften entlehnt haben mag, so muß ihm doch die Dioptrik die erste öffentliche Bekanntmachung derselben verdanken, durch welche die Theorie dieser Wissenschaft seit dem Jahre 1647 ganz neue und weit besser bestimmte Gründe erhalten hat. Hypothesen über die Ursache der Brechung.

Descartes gründet das angegebene Gesetz der Brechung nicht auf Versuche, sondern auf theoretische Betrachtungen, welche zugleich eine Erklärung der Ursache desselben enthalten sollen. Er nimmt hiebey an, daß das Licht die dichtern Mittel leichter, als die dünnern, durchdringe: den Grund hievon sucht er in der Structur dichter Körper, deren Zwischenräume freyer von Hindernissen (minus villosi) seyn sollen, so wie etwa eine Kugel auf einer harten glatten Fläche schneller rolle, als auf einem weichen Teppich. Wenn nun (Taf. IV. Fig. 72.) der Stoß des Lichts SC auf die Oberfläche eines dichtern Mittels AB trift, in welchem er sich z. B. mit doppelt so viel Leichtigkeit fortpflanzen kan, so wird es ihm, wie einer Kugel, ergehen, die an der Fläche AB auf einmal eine doppelte Geschwindigkeit erlangt. Diese Kugel wird nun, um einen mit SC gleichen Raum zu durchlaufen, oder wieder bis an den Umkreis des Cirkels KASB zu gelangen, nur die Hälfte der vorigen Zeit brauchen. Ihre vorige Bewegung durch SC läst sich in die zwo Bewegungen durch RC und EC zerlegen, deren letztere mit der brechenden Fläche parallel läuft, und also durch den Stoß derselben nicht verändert wird. Mit dieser Bewegung wird nun, in der Hälfte der vorigen Zeit durch SC, nur CD=1/2CE zurückgelegt. Daher muß der neue Weg der Kugel CK so beschaffen seyn, daß CD=1/2CE, oder KH=1/2RS, d. i. daß sich die Sinus des Einfalls- und Brechungswinkels, welches eben die Linien RS und KH sind, in umgekehrtem Verhältnisse der Geschwindigkeiten in beyden Mitteln,


fuͤr ausgemacht, ſondern begnuͤge ſich, ſie zu muthmaßen.

Wenn aber auch Descartes die Sache ſelbſt aus des Snellius Handſchriften entlehnt haben mag, ſo muß ihm doch die Dioptrik die erſte oͤffentliche Bekanntmachung derſelben verdanken, durch welche die Theorie dieſer Wiſſenſchaft ſeit dem Jahre 1647 ganz neue und weit beſſer beſtimmte Gruͤnde erhalten hat. Hypotheſen uͤber die Urſache der Brechung.

Descartes gruͤndet das angegebene Geſetz der Brechung nicht auf Verſuche, ſondern auf theoretiſche Betrachtungen, welche zugleich eine Erklaͤrung der Urſache deſſelben enthalten ſollen. Er nimmt hiebey an, daß das Licht die dichtern Mittel leichter, als die duͤnnern, durchdringe: den Grund hievon ſucht er in der Structur dichter Koͤrper, deren Zwiſchenraͤume freyer von Hinderniſſen (minus villoſi) ſeyn ſollen, ſo wie etwa eine Kugel auf einer harten glatten Flaͤche ſchneller rolle, als auf einem weichen Teppich. Wenn nun (Taf. IV. Fig. 72.) der Stoß des Lichts SC auf die Oberflaͤche eines dichtern Mittels AB trift, in welchem er ſich z. B. mit doppelt ſo viel Leichtigkeit fortpflanzen kan, ſo wird es ihm, wie einer Kugel, ergehen, die an der Flaͤche AB auf einmal eine doppelte Geſchwindigkeit erlangt. Dieſe Kugel wird nun, um einen mit SC gleichen Raum zu durchlaufen, oder wieder bis an den Umkreis des Cirkels KASB zu gelangen, nur die Haͤlfte der vorigen Zeit brauchen. Ihre vorige Bewegung durch SC laͤſt ſich in die zwo Bewegungen durch RC und EC zerlegen, deren letztere mit der brechenden Flaͤche parallel laͤuft, und alſo durch den Stoß derſelben nicht veraͤndert wird. Mit dieſer Bewegung wird nun, in der Haͤlfte der vorigen Zeit durch SC, nur CD=1/2CE zuruͤckgelegt. Daher muß der neue Weg der Kugel CK ſo beſchaffen ſeyn, daß CD=1/2CE, oder KH=1/2RS, d. i. daß ſich die Sinus des Einfalls- und Brechungswinkels, welches eben die Linien RS und KH ſind, in umgekehrtem Verhaͤltniſſe der Geſchwindigkeiten in beyden Mitteln,

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[418/0432] fuͤr ausgemacht, ſondern begnuͤge ſich, ſie zu muthmaßen. Wenn aber auch Descartes die Sache ſelbſt aus des Snellius Handſchriften entlehnt haben mag, ſo muß ihm doch die Dioptrik die erſte oͤffentliche Bekanntmachung derſelben verdanken, durch welche die Theorie dieſer Wiſſenſchaft ſeit dem Jahre 1647 ganz neue und weit beſſer beſtimmte Gruͤnde erhalten hat. Hypotheſen uͤber die Urſache der Brechung. Descartes gruͤndet das angegebene Geſetz der Brechung nicht auf Verſuche, ſondern auf theoretiſche Betrachtungen, welche zugleich eine Erklaͤrung der Urſache deſſelben enthalten ſollen. Er nimmt hiebey an, daß das Licht die dichtern Mittel leichter, als die duͤnnern, durchdringe: den Grund hievon ſucht er in der Structur dichter Koͤrper, deren Zwiſchenraͤume freyer von Hinderniſſen (minus villoſi) ſeyn ſollen, ſo wie etwa eine Kugel auf einer harten glatten Flaͤche ſchneller rolle, als auf einem weichen Teppich. Wenn nun (Taf. IV. Fig. 72.) der Stoß des Lichts SC auf die Oberflaͤche eines dichtern Mittels AB trift, in welchem er ſich z. B. mit doppelt ſo viel Leichtigkeit fortpflanzen kan, ſo wird es ihm, wie einer Kugel, ergehen, die an der Flaͤche AB auf einmal eine doppelte Geſchwindigkeit erlangt. Dieſe Kugel wird nun, um einen mit SC gleichen Raum zu durchlaufen, oder wieder bis an den Umkreis des Cirkels KASB zu gelangen, nur die Haͤlfte der vorigen Zeit brauchen. Ihre vorige Bewegung durch SC laͤſt ſich in die zwo Bewegungen durch RC und EC zerlegen, deren letztere mit der brechenden Flaͤche parallel laͤuft, und alſo durch den Stoß derſelben nicht veraͤndert wird. Mit dieſer Bewegung wird nun, in der Haͤlfte der vorigen Zeit durch SC, nur CD=1/2CE zuruͤckgelegt. Daher muß der neue Weg der Kugel CK ſo beſchaffen ſeyn, daß CD=1/2CE, oder KH=1/2RS, d. i. daß ſich die Sinus des Einfalls- und Brechungswinkels, welches eben die Linien RS und KH ſind, in umgekehrtem Verhaͤltniſſe der Geſchwindigkeiten in beyden Mitteln,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/432>, abgerufen am 24.11.2024.