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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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nach der Richtung des Halbmessers. An jeder Stelle hebt dieser Zusammenhang denjenigen Theil der Bewegung auf, der dieser Richtung entgegengesetztist. Es ist also das, was den Faden spannt, wiederum ein Theil der Bewegung, den zu verhindern, die Kraft des Zusammenhangs ganz oder zum Theil aufgewendet werden muß. Ist diese Kraft an irgend einer Stelle zu schwach, so wird nach ihrer völligen Verwendung doch noch etwas von jenem Theile der Bewegung übrig bleiben, der Körper wird sich wirklich vom Stifte entfernen, und den Theil des Fadens, dessen Zusammenhang mit dem nebenliegenden ganz verwendet oder aufgehoben war, mit sich nehmen, d. h. der Faden wird zerreißen. Also ist auch hier nur Kraft, in sofern man der Bewegung Kraft zuschreibt.

Wenn also ein großer Lehrer der Mechanik (Kästner höhere Mechan. 2 Abschn. §. 4.) erinnert, daß wir nicht wissen, ob Bewegung aus Kraft, oder Kraft aus Bewegung folge, so heißt dies so viel: Wir nennen die Ursache der Bewegung Kraft; in sofern aber eine Bewegung wieder Ursache einer folgenden Bewegung ist, liegt auch in der Bewegung selbst eine Kraft. Mir scheint doch hiebey das Wort Kraft in zweyerley Sinne genommen zu seyn, einmal für die Ursache neuer Bewegung, das anderemal für Folge der Trägheit, oder der Beharrlichkeit in voriger Bewegung; einmal für Ursache der Aenderung, das anderemal für Folge der Nicht-änderung des Zustandes.

Der Körper sucht im folgenden Augenblicke seine vorige Bewegung fortzusetzen. Dies ist Trägheit, und die besten Lehrer der Mechanik (Kästner höh. Mech. Abschn. I. §. 23.) wollen nicht zulassen, es Kraft zu nennen. Es wird hier in zween Theile zerlegt. Der eine davon liegt in der geänderten Richtung des gekrümmten Wegs, und trägt bey, die Geschwindigkeiten im folgenden Augenblicke zu bestimmen. Der andere steht darauf senkrecht. Warum nennt man diesen andern Theil Kraft, da man doch dem Ganzen, wovon er ein Theil ist, mit dem er also homogen seyn muß, diesen Namen abspricht?


nach der Richtung des Halbmeſſers. An jeder Stelle hebt dieſer Zuſammenhang denjenigen Theil der Bewegung auf, der dieſer Richtung entgegengeſetztiſt. Es iſt alſo das, was den Faden ſpannt, wiederum ein Theil der Bewegung, den zu verhindern, die Kraft des Zuſammenhangs ganz oder zum Theil aufgewendet werden muß. Iſt dieſe Kraft an irgend einer Stelle zu ſchwach, ſo wird nach ihrer voͤlligen Verwendung doch noch etwas von jenem Theile der Bewegung uͤbrig bleiben, der Koͤrper wird ſich wirklich vom Stifte entfernen, und den Theil des Fadens, deſſen Zuſammenhang mit dem nebenliegenden ganz verwendet oder aufgehoben war, mit ſich nehmen, d. h. der Faden wird zerreißen. Alſo iſt auch hier nur Kraft, in ſofern man der Bewegung Kraft zuſchreibt.

Wenn alſo ein großer Lehrer der Mechanik (Kaͤſtner hoͤhere Mechan. 2 Abſchn. §. 4.) erinnert, daß wir nicht wiſſen, ob Bewegung aus Kraft, oder Kraft aus Bewegung folge, ſo heißt dies ſo viel: Wir nennen die Urſache der Bewegung Kraft; in ſofern aber eine Bewegung wieder Urſache einer folgenden Bewegung iſt, liegt auch in der Bewegung ſelbſt eine Kraft. Mir ſcheint doch hiebey das Wort Kraft in zweyerley Sinne genommen zu ſeyn, einmal fuͤr die Urſache neuer Bewegung, das anderemal fuͤr Folge der Traͤgheit, oder der Beharrlichkeit in voriger Bewegung; einmal fuͤr Urſache der Aenderung, das anderemal fuͤr Folge der Nicht-aͤnderung des Zuſtandes.

Der Koͤrper ſucht im folgenden Augenblicke ſeine vorige Bewegung fortzuſetzen. Dies iſt Traͤgheit, und die beſten Lehrer der Mechanik (Kaͤſtner hoͤh. Mech. Abſchn. I. §. 23.) wollen nicht zulaſſen, es Kraft zu nennen. Es wird hier in zween Theile zerlegt. Der eine davon liegt in der geaͤnderten Richtung des gekruͤmmten Wegs, und traͤgt bey, die Geſchwindigkeiten im folgenden Augenblicke zu beſtimmen. Der andere ſteht darauf ſenkrecht. Warum nennt man dieſen andern Theil Kraft, da man doch dem Ganzen, wovon er ein Theil iſt, mit dem er alſo homogen ſeyn muß, dieſen Namen abſpricht?

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[494/0508] nach der Richtung des Halbmeſſers. An jeder Stelle hebt dieſer Zuſammenhang denjenigen Theil der Bewegung auf, der dieſer Richtung entgegengeſetztiſt. Es iſt alſo das, was den Faden ſpannt, wiederum ein Theil der Bewegung, den zu verhindern, die Kraft des Zuſammenhangs ganz oder zum Theil aufgewendet werden muß. Iſt dieſe Kraft an irgend einer Stelle zu ſchwach, ſo wird nach ihrer voͤlligen Verwendung doch noch etwas von jenem Theile der Bewegung uͤbrig bleiben, der Koͤrper wird ſich wirklich vom Stifte entfernen, und den Theil des Fadens, deſſen Zuſammenhang mit dem nebenliegenden ganz verwendet oder aufgehoben war, mit ſich nehmen, d. h. der Faden wird zerreißen. Alſo iſt auch hier nur Kraft, in ſofern man der Bewegung Kraft zuſchreibt. Wenn alſo ein großer Lehrer der Mechanik (Kaͤſtner hoͤhere Mechan. 2 Abſchn. §. 4.) erinnert, daß wir nicht wiſſen, ob Bewegung aus Kraft, oder Kraft aus Bewegung folge, ſo heißt dies ſo viel: Wir nennen die Urſache der Bewegung Kraft; in ſofern aber eine Bewegung wieder Urſache einer folgenden Bewegung iſt, liegt auch in der Bewegung ſelbſt eine Kraft. Mir ſcheint doch hiebey das Wort Kraft in zweyerley Sinne genommen zu ſeyn, einmal fuͤr die Urſache neuer Bewegung, das anderemal fuͤr Folge der Traͤgheit, oder der Beharrlichkeit in voriger Bewegung; einmal fuͤr Urſache der Aenderung, das anderemal fuͤr Folge der Nicht-aͤnderung des Zuſtandes. Der Koͤrper ſucht im folgenden Augenblicke ſeine vorige Bewegung fortzuſetzen. Dies iſt Traͤgheit, und die beſten Lehrer der Mechanik (Kaͤſtner hoͤh. Mech. Abſchn. I. §. 23.) wollen nicht zulaſſen, es Kraft zu nennen. Es wird hier in zween Theile zerlegt. Der eine davon liegt in der geaͤnderten Richtung des gekruͤmmten Wegs, und traͤgt bey, die Geſchwindigkeiten im folgenden Augenblicke zu beſtimmen. Der andere ſteht darauf ſenkrecht. Warum nennt man dieſen andern Theil Kraft, da man doch dem Ganzen, wovon er ein Theil iſt, mit dem er alſo homogen ſeyn muß, dieſen Namen abſpricht?

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/508>, abgerufen am 29.06.2024.