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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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der Kräfte genauer zu bestimmen, s. bewegende Kraft. Er nennt die lebendige Kraft eine solche, die mit wirklicher Bewegung verbunden ist (vim cum motu actuali coniunctam), da hingegen die todte Kraft (sollicitatio ad motum) nur strebe, Bewegung hervorzubringen, ob sie gleich in der That keine erzeuge. Es scheint hiernach, als habe er nur diejenigen Kräfte, welche wirkliche Bewegung hervorbringen, lebendige nennen wollen. In diesem Sinne wird auch das Wort von den meisten Vertheidigern des leibnitzischen Maaßes der Kräfte, unter andern von Wolf genommen, der überall dasjenige, was nur gerade zum Gleichgewichte hinreicht, die todte Kraft nennt, von der lebendigen aber sagt: Vis motrix dicitur viva, si motum actu producit (Wolff Elem. Mechan. Cap. I. Defin. 7.). Johann Bernoulli aber geht in seiner Abhandlung: De vera notione virium vivarum (Act. Erud. 1735. Maj. p. 210 und Opp. To. III. num. 145.), von diesem Begriffe einigermaßen ab. Er sagt daselbst, die lebendige Kraft bestehe nicht in actuali exercitio, sondern nur in facultate agendi: sie bleibe noch immer lebendige Kraft, wenn sie auch nicht wirke, oder nichts habe, worein sie wirken könne. Sie sey also etwas für sich bestehendes (aliquid reale et substantiale, quod per se subsistit, et quantum in se est, non dependet ab alio) und würde schicklicher Fähigkeit zu wirken (facultas agendi, Gallice le pouvoir) genannt werden können.

Um die Verschiedenheit beyder Begriffe besser zu übersehen, stelle man sich eine durch irgend eine Kraft bewegte Kugel vor. Von der Kraft, welche die Kugel in Bewegung gesetzt hat, ist hier die Rede gar nicht, obgleich auch diese nach Leibnitzens Erklärung und in der Sprache der Wolfischen Schriften eine lebendige Kraft heißen würde, weil sie Bewegung erzeugt hat. Vielmehr wird hier der bewegten Kugel selbst eine Kraft zugeschrieben. Nach Herrn von Leibnitz soll diese nur alsdann statt|finden, wenn diese Kugel andere Körper, die sie antrifft, wirklich in Bewegung setzt. Nach Bernoulli aber soll sie auch alsdann in der Kugel liegen, wenn diese auf ihrem Wege


der Kraͤfte genauer zu beſtimmen, ſ. bewegende Kraft. Er nennt die lebendige Kraft eine ſolche, die mit wirklicher Bewegung verbunden iſt (vim cum motu actuali coniunctam), da hingegen die todte Kraft (ſollicitatio ad motum) nur ſtrebe, Bewegung hervorzubringen, ob ſie gleich in der That keine erzeuge. Es ſcheint hiernach, als habe er nur diejenigen Kraͤfte, welche wirkliche Bewegung hervorbringen, lebendige nennen wollen. In dieſem Sinne wird auch das Wort von den meiſten Vertheidigern des leibnitziſchen Maaßes der Kraͤfte, unter andern von Wolf genommen, der uͤberall dasjenige, was nur gerade zum Gleichgewichte hinreicht, die todte Kraft nennt, von der lebendigen aber ſagt: Vis motrix dicitur viva, ſi motum actu producit (Wolff Elem. Mechan. Cap. I. Defin. 7.). Johann Bernoulli aber geht in ſeiner Abhandlung: De vera notione virium vivarum (Act. Erud. 1735. Maj. p. 210 und Opp. To. III. num. 145.), von dieſem Begriffe einigermaßen ab. Er ſagt daſelbſt, die lebendige Kraft beſtehe nicht in actuali exercitio, ſondern nur in facultate agendi: ſie bleibe noch immer lebendige Kraft, wenn ſie auch nicht wirke, oder nichts habe, worein ſie wirken koͤnne. Sie ſey alſo etwas fuͤr ſich beſtehendes (aliquid reale et ſubſtantiale, quod per ſe ſubſiſtit, et quantum in ſe eſt, non dependet ab alio) und wuͤrde ſchicklicher Faͤhigkeit zu wirken (facultas agendi, Gallice le pouvoir) genannt werden koͤnnen.

Um die Verſchiedenheit beyder Begriffe beſſer zu uͤberſehen, ſtelle man ſich eine durch irgend eine Kraft bewegte Kugel vor. Von der Kraft, welche die Kugel in Bewegung geſetzt hat, iſt hier die Rede gar nicht, obgleich auch dieſe nach Leibnitzens Erklaͤrung und in der Sprache der Wolfiſchen Schriften eine lebendige Kraft heißen wuͤrde, weil ſie Bewegung erzeugt hat. Vielmehr wird hier der bewegten Kugel ſelbſt eine Kraft zugeſchrieben. Nach Herrn von Leibnitz ſoll dieſe nur alsdann ſtatt|finden, wenn dieſe Kugel andere Koͤrper, die ſie antrifft, wirklich in Bewegung ſetzt. Nach Bernoulli aber ſoll ſie auch alsdann in der Kugel liegen, wenn dieſe auf ihrem Wege

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[812/0818] der Kraͤfte genauer zu beſtimmen, ſ. bewegende Kraft. Er nennt die lebendige Kraft eine ſolche, die mit wirklicher Bewegung verbunden iſt (vim cum motu actuali coniunctam), da hingegen die todte Kraft (ſollicitatio ad motum) nur ſtrebe, Bewegung hervorzubringen, ob ſie gleich in der That keine erzeuge. Es ſcheint hiernach, als habe er nur diejenigen Kraͤfte, welche wirkliche Bewegung hervorbringen, lebendige nennen wollen. In dieſem Sinne wird auch das Wort von den meiſten Vertheidigern des leibnitziſchen Maaßes der Kraͤfte, unter andern von Wolf genommen, der uͤberall dasjenige, was nur gerade zum Gleichgewichte hinreicht, die todte Kraft nennt, von der lebendigen aber ſagt: Vis motrix dicitur viva, ſi motum actu producit (Wolff Elem. Mechan. Cap. I. Defin. 7.). Johann Bernoulli aber geht in ſeiner Abhandlung: De vera notione virium vivarum (Act. Erud. 1735. Maj. p. 210 und Opp. To. III. num. 145.), von dieſem Begriffe einigermaßen ab. Er ſagt daſelbſt, die lebendige Kraft beſtehe nicht in actuali exercitio, ſondern nur in facultate agendi: ſie bleibe noch immer lebendige Kraft, wenn ſie auch nicht wirke, oder nichts habe, worein ſie wirken koͤnne. Sie ſey alſo etwas fuͤr ſich beſtehendes (aliquid reale et ſubſtantiale, quod per ſe ſubſiſtit, et quantum in ſe eſt, non dependet ab alio) und wuͤrde ſchicklicher Faͤhigkeit zu wirken (facultas agendi, Gallice le pouvoir) genannt werden koͤnnen. Um die Verſchiedenheit beyder Begriffe beſſer zu uͤberſehen, ſtelle man ſich eine durch irgend eine Kraft bewegte Kugel vor. Von der Kraft, welche die Kugel in Bewegung geſetzt hat, iſt hier die Rede gar nicht, obgleich auch dieſe nach Leibnitzens Erklaͤrung und in der Sprache der Wolfiſchen Schriften eine lebendige Kraft heißen wuͤrde, weil ſie Bewegung erzeugt hat. Vielmehr wird hier der bewegten Kugel ſelbſt eine Kraft zugeſchrieben. Nach Herrn von Leibnitz ſoll dieſe nur alsdann ſtatt|finden, wenn dieſe Kugel andere Koͤrper, die ſie antrifft, wirklich in Bewegung ſetzt. Nach Bernoulli aber ſoll ſie auch alsdann in der Kugel liegen, wenn dieſe auf ihrem Wege

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 812. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/818>, abgerufen am 22.11.2024.