Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Die Ursache der Bewegung der Muskeln ist uns zwar gänzlich unbekannt; dennoch wird es nicht ganz überflüßig seyn, einige Meinungen über diesen so dunkeln und doch so wichtigen Gegenstand anzuführen. Daß im Körper allein gar kein Principium der Bewegung liege, und alle Bewegungen, sowohl die willkührlichen, als auch die automatischen, von der Einwirkung der Seele herrühren, ist zwar eine alte Meinung, die man schon beym Galen findet, und der auch Swammerdam, Botelli (P. II. prop. 80) Perrault u. a. zugethan waren, die aber erst durch Georg Ernst Stahl (De motu tonico. Halae 1685. p. 37. sq.) und seine Schüler mehr Ansehen erlangt hat, und vorzüglich durch Cheyne, Tabor, Mead und Whytt in England, so wie durch Sauvages in Frankreich, weiter ausgebreitet worden ist. Nach diesem stahlischen oder animastischen System, welches die unmittelbare Einwirkung des Geistes auf den Körper (influxum physicum) annimmt, ist es die Seele selbst, welche sich den Körper baut, bewegt und bey erfolgten Verletzungen heilet. Sie ist es, die den Schlag des Herzens und die Bewegungen der Eingeweide regieret, ob sie gleich durch die lang gewohnte Wiederholung selbst das Bewußtseyn hievon verliert. Sie ist es, die bey den Leidenschaften und Gemüthsbewegungen das Herz stärker schlagen läßt, bey der Furcht die Kräfte der Muskeln abspannt, und die Uebel, die dem Bau der Maschine drohen, durch heftigere Bewegung des Bluts im Fieber, abzuwenden strebt, u. s. w. Man beruft sich hiebey darauf, daß keine Maschine gedenkbar sey, die einem vermehrten Widerstande mit verstärkter Krast entgegenstrebe. Die Krisen in den Krankheiten, die vermehrten Secretionen, selbst der Schlaf und die Lähmungen sind nach diesem System Wirkungen der Seele, die auf Erhaltung des Körpers und Ersparung der Lebenskräfte abzwecken. Jede Empfindung eines schädlichen Reizes, sagt man erwecke den Trieb, diesen Reiz zu entfernen, wie beym Husten, Niesen, dem Thränen der Augen und der
Die Urſache der Bewegung der Muſkeln iſt uns zwar gaͤnzlich unbekannt; dennoch wird es nicht ganz uͤberfluͤßig ſeyn, einige Meinungen uͤber dieſen ſo dunkeln und doch ſo wichtigen Gegenſtand anzufuͤhren. Daß im Koͤrper allein gar kein Principium der Bewegung liege, und alle Bewegungen, ſowohl die willkuͤhrlichen, als auch die automatiſchen, von der Einwirkung der Seele herruͤhren, iſt zwar eine alte Meinung, die man ſchon beym Galen findet, und der auch Swammerdam, Botelli (P. II. prop. 80) Perrault u. a. zugethan waren, die aber erſt durch Georg Ernſt Stahl (De motu tonico. Halae 1685. p. 37. ſq.) und ſeine Schuͤler mehr Anſehen erlangt hat, und vorzuͤglich durch Cheyne, Tabor, Mead und Whytt in England, ſo wie durch Sauvages in Frankreich, weiter ausgebreitet worden iſt. Nach dieſem ſtahliſchen oder animaſtiſchen Syſtem, welches die unmittelbare Einwirkung des Geiſtes auf den Koͤrper (influxum phyſicum) annimmt, iſt es die Seele ſelbſt, welche ſich den Koͤrper baut, bewegt und bey erfolgten Verletzungen heilet. Sie iſt es, die den Schlag des Herzens und die Bewegungen der Eingeweide regieret, ob ſie gleich durch die lang gewohnte Wiederholung ſelbſt das Bewußtſeyn hievon verliert. Sie iſt es, die bey den Leidenſchaften und Gemuͤthsbewegungen das Herz ſtaͤrker ſchlagen laͤßt, bey der Furcht die Kraͤfte der Muſkeln abſpannt, und die Uebel, die dem Bau der Maſchine drohen, durch heftigere Bewegung des Bluts im Fieber, abzuwenden ſtrebt, u. ſ. w. Man beruft ſich hiebey darauf, daß keine Maſchine gedenkbar ſey, die einem vermehrten Widerſtande mit verſtaͤrkter Kraſt entgegenſtrebe. Die Kriſen in den Krankheiten, die vermehrten Secretionen, ſelbſt der Schlaf und die Laͤhmungen ſind nach dieſem Syſtem Wirkungen der Seele, die auf Erhaltung des Koͤrpers und Erſparung der Lebenskraͤfte abzwecken. Jede Empfindung eines ſchaͤdlichen Reizes, ſagt man erwecke den Trieb, dieſen Reiz zu entfernen, wie beym Huſten, Nieſen, dem Thraͤnen der Augen und der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0307" xml:id="P.3.301" n="301"/><lb/> einen engen Raum gedraͤngt werden ſollte, konnte auf keine andere, als auf dieſe Art, erreicht werden.</p> <p>Die Urſache der Bewegung der Muſkeln iſt uns zwar gaͤnzlich unbekannt; dennoch wird es nicht ganz uͤberfluͤßig ſeyn, einige Meinungen uͤber dieſen ſo dunkeln und doch ſo wichtigen Gegenſtand anzufuͤhren.</p> <p>Daß im Koͤrper allein gar kein Principium der Bewegung liege, und alle Bewegungen, ſowohl die willkuͤhrlichen, als auch die automatiſchen, von der Einwirkung der Seele herruͤhren, iſt zwar eine alte Meinung, die man ſchon beym Galen findet, und der auch <hi rendition="#b">Swammerdam, Botelli</hi> <hi rendition="#aq">(P. II. prop. 80)</hi> <hi rendition="#b">Perrault</hi> u. a. zugethan waren, die aber erſt durch <hi rendition="#b">Georg Ernſt Stahl</hi> <hi rendition="#aq">(De motu tonico. Halae 1685. p. 37. ſq.)</hi> und ſeine Schuͤler mehr Anſehen erlangt hat, und vorzuͤglich durch <hi rendition="#b">Cheyne, Tabor, Mead</hi> und <hi rendition="#b">Whytt</hi> in England, ſo wie durch <hi rendition="#b">Sauvages</hi> in Frankreich, weiter ausgebreitet worden iſt. Nach dieſem ſtahliſchen oder animaſtiſchen Syſtem, welches die unmittelbare Einwirkung des Geiſtes auf den Koͤrper <hi rendition="#aq">(influxum phyſicum)</hi> annimmt, iſt es die Seele ſelbſt, welche ſich den Koͤrper baut, bewegt und bey erfolgten Verletzungen heilet. Sie iſt es, die den Schlag des Herzens und die Bewegungen der Eingeweide regieret, ob ſie gleich durch die lang gewohnte Wiederholung ſelbſt das Bewußtſeyn hievon verliert. Sie iſt es, die bey den Leidenſchaften und Gemuͤthsbewegungen das Herz ſtaͤrker ſchlagen laͤßt, bey der Furcht die Kraͤfte der Muſkeln abſpannt, und die Uebel, die dem Bau der Maſchine drohen, durch heftigere Bewegung des Bluts im Fieber, abzuwenden ſtrebt, u. ſ. w. Man beruft ſich hiebey darauf, daß keine Maſchine gedenkbar ſey, die einem vermehrten Widerſtande mit verſtaͤrkter Kraſt entgegenſtrebe. Die Kriſen in den Krankheiten, die vermehrten Secretionen, ſelbſt der Schlaf und die Laͤhmungen ſind nach dieſem Syſtem Wirkungen der Seele, die auf Erhaltung des Koͤrpers und Erſparung der Lebenskraͤfte abzwecken. Jede Empfindung eines ſchaͤdlichen Reizes, ſagt man erwecke den Trieb, dieſen Reiz zu entfernen, wie beym Huſten, Nieſen, dem Thraͤnen der Augen und der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0307]
einen engen Raum gedraͤngt werden ſollte, konnte auf keine andere, als auf dieſe Art, erreicht werden.
Die Urſache der Bewegung der Muſkeln iſt uns zwar gaͤnzlich unbekannt; dennoch wird es nicht ganz uͤberfluͤßig ſeyn, einige Meinungen uͤber dieſen ſo dunkeln und doch ſo wichtigen Gegenſtand anzufuͤhren.
Daß im Koͤrper allein gar kein Principium der Bewegung liege, und alle Bewegungen, ſowohl die willkuͤhrlichen, als auch die automatiſchen, von der Einwirkung der Seele herruͤhren, iſt zwar eine alte Meinung, die man ſchon beym Galen findet, und der auch Swammerdam, Botelli (P. II. prop. 80) Perrault u. a. zugethan waren, die aber erſt durch Georg Ernſt Stahl (De motu tonico. Halae 1685. p. 37. ſq.) und ſeine Schuͤler mehr Anſehen erlangt hat, und vorzuͤglich durch Cheyne, Tabor, Mead und Whytt in England, ſo wie durch Sauvages in Frankreich, weiter ausgebreitet worden iſt. Nach dieſem ſtahliſchen oder animaſtiſchen Syſtem, welches die unmittelbare Einwirkung des Geiſtes auf den Koͤrper (influxum phyſicum) annimmt, iſt es die Seele ſelbſt, welche ſich den Koͤrper baut, bewegt und bey erfolgten Verletzungen heilet. Sie iſt es, die den Schlag des Herzens und die Bewegungen der Eingeweide regieret, ob ſie gleich durch die lang gewohnte Wiederholung ſelbſt das Bewußtſeyn hievon verliert. Sie iſt es, die bey den Leidenſchaften und Gemuͤthsbewegungen das Herz ſtaͤrker ſchlagen laͤßt, bey der Furcht die Kraͤfte der Muſkeln abſpannt, und die Uebel, die dem Bau der Maſchine drohen, durch heftigere Bewegung des Bluts im Fieber, abzuwenden ſtrebt, u. ſ. w. Man beruft ſich hiebey darauf, daß keine Maſchine gedenkbar ſey, die einem vermehrten Widerſtande mit verſtaͤrkter Kraſt entgegenſtrebe. Die Kriſen in den Krankheiten, die vermehrten Secretionen, ſelbſt der Schlaf und die Laͤhmungen ſind nach dieſem Syſtem Wirkungen der Seele, die auf Erhaltung des Koͤrpers und Erſparung der Lebenskraͤfte abzwecken. Jede Empfindung eines ſchaͤdlichen Reizes, ſagt man erwecke den Trieb, dieſen Reiz zu entfernen, wie beym Huſten, Nieſen, dem Thraͤnen der Augen und der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |