Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Um zu erklären, wie ein so feines und in geringer Menge vorhandenes Fluidum große Wirkungen thun könne, verglich Astruc die Muskelsiber mit einer Röhre, die sich in eine Blase endiget, welche aufgeblasen sich erweitert und durch ihre Verkürzung große Lasten erhebt. Da eine Reihe von mehreren Blasen in dieser Absicht noch mehr leistet, als eine einzelne, worüber Sturm (Colleg. curiosum, To. II.) Versuche angestellt hat, so ließen Borelli, Senac u. a. den Muskel aus lauter Blasen oder Zellen bestehen, welche durch die Lebensgeister oder den Nerdensaft aufgetrieben würden, und dadurch eine Verkürzung mit so viel Gewalt verursachten. Die Mikroskope aber zeigen diesen zellenförmigen Bau der Muskelfaser nicht, und die Verkürzungen sind oft so beträchtlich, daß bey diesem Mechanismus eine ungeheure Auftreibung des Volumens würde erfordert werden, dergleichen man doch bey den Versuchen nicht gewahr wird. Weil Thiere sich noch eine Zeit bewegen, wenn man ihnen schon das Gehirn genommen hat, so haben Andere die Ansüllung und Verkürzung der Muskelfaser nicht dem Nervensafte, sondern dem Blute zugeschrieben. Dahin gehört nächst Daniel Bernoulli vorzüglich der Abt Bertier (Physique des corps animes), welcher die Muskelsaser vom Blute, wie eine gewundne Schnur von der Feuchtigkeit kürzer werden läßt und dabey die Geschwindigkeit und Wärme des Bluts zu Hülse nimmt. Er beruft sich darauf, daß der Muskel bey der Zusammenziehung bleich werde, weil sich das Blut aus den kleinen Arterien ins Innere der Fibern ergieße. Aber dieses Bleichwerden ist in der Erfahrung
Um zu erklaͤren, wie ein ſo feines und in geringer Menge vorhandenes Fluidum große Wirkungen thun koͤnne, verglich Aſtruc die Muſkelſiber mit einer Roͤhre, die ſich in eine Blaſe endiget, welche aufgeblaſen ſich erweitert und durch ihre Verkuͤrzung große Laſten erhebt. Da eine Reihe von mehreren Blaſen in dieſer Abſicht noch mehr leiſtet, als eine einzelne, woruͤber Sturm (Colleg. curioſum, To. II.) Verſuche angeſtellt hat, ſo ließen Borelli, Senac u. a. den Muſkel aus lauter Blaſen oder Zellen beſtehen, welche durch die Lebensgeiſter oder den Nerdenſaft aufgetrieben wuͤrden, und dadurch eine Verkuͤrzung mit ſo viel Gewalt verurſachten. Die Mikroſkope aber zeigen dieſen zellenfoͤrmigen Bau der Muſkelfaſer nicht, und die Verkuͤrzungen ſind oft ſo betraͤchtlich, daß bey dieſem Mechaniſmus eine ungeheure Auftreibung des Volumens wuͤrde erfordert werden, dergleichen man doch bey den Verſuchen nicht gewahr wird. Weil Thiere ſich noch eine Zeit bewegen, wenn man ihnen ſchon das Gehirn genommen hat, ſo haben Andere die Anſuͤllung und Verkuͤrzung der Muſkelfaſer nicht dem Nervenſafte, ſondern dem Blute zugeſchrieben. Dahin gehoͤrt naͤchſt Daniel Bernoulli vorzuͤglich der Abt Bertier (Phyſique des corps animés), welcher die Muſkelſaſer vom Blute, wie eine gewundne Schnur von der Feuchtigkeit kuͤrzer werden laͤßt und dabey die Geſchwindigkeit und Waͤrme des Bluts zu Huͤlſe nimmt. Er beruft ſich darauf, daß der Muſkel bey der Zuſammenziehung bleich werde, weil ſich das Blut aus den kleinen Arterien ins Innere der Fibern ergieße. Aber dieſes Bleichwerden iſt in der Erfahrung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0309" xml:id="P.3.303" n="303"/><lb/> ſind die Hypotheſen unzaͤhlbar. Die aͤltern Aerzte ſagten mit <hi rendition="#b">Galen,</hi> es ergoͤſſen ſich die Lebensgeiſter aus dem Gehirne durch die Nerven in die Muſkeln, um dieſe zu bewegen. <hi rendition="#b">Descartes</hi> leitete die Bewegung von einem ſchnellern Einfließen des Nervenſaſts, <hi rendition="#b">Newton</hi> <hi rendition="#aq">(Optic. L. III. puaeſt. 24.)</hi> von dem Aether her, der durch den Willen der Seele in die Nervencanaͤle getrieben werde: <hi rendition="#b">Santorini, Tabor</hi> und <hi rendition="#b">Willis</hi> ließen die cylindriſche Nervenfiber von dem eindringenden Lebensgeiſte aufſchwellen.</p> <p>Um zu erklaͤren, wie ein ſo feines und in geringer Menge vorhandenes Fluidum große Wirkungen thun koͤnne, verglich Aſtruc die Muſkelſiber mit einer Roͤhre, die ſich in eine Blaſe endiget, welche aufgeblaſen ſich erweitert und durch ihre Verkuͤrzung große Laſten erhebt. Da eine Reihe von mehreren Blaſen in dieſer Abſicht noch mehr leiſtet, als eine einzelne, woruͤber <hi rendition="#b">Sturm</hi> <hi rendition="#aq">(Colleg. curioſum, To. II.)</hi> Verſuche angeſtellt hat, ſo ließen <hi rendition="#b">Borelli, Senac</hi> u. a. den Muſkel aus lauter Blaſen oder Zellen beſtehen, welche durch die Lebensgeiſter oder den Nerdenſaft aufgetrieben wuͤrden, und dadurch eine Verkuͤrzung mit ſo viel Gewalt verurſachten. Die Mikroſkope aber zeigen dieſen zellenfoͤrmigen Bau der Muſkelfaſer nicht, und die Verkuͤrzungen ſind oft ſo betraͤchtlich, daß bey dieſem Mechaniſmus eine ungeheure Auftreibung des Volumens wuͤrde erfordert werden, dergleichen man doch bey den Verſuchen nicht gewahr wird.</p> <p>Weil Thiere ſich noch eine Zeit bewegen, wenn man ihnen ſchon das Gehirn genommen hat, ſo haben Andere die Anſuͤllung und Verkuͤrzung der Muſkelfaſer nicht dem Nervenſafte, ſondern dem <hi rendition="#b">Blute</hi> zugeſchrieben. Dahin gehoͤrt naͤchſt <hi rendition="#b">Daniel Bernoulli</hi> vorzuͤglich der Abt <hi rendition="#b">Bertier</hi> <hi rendition="#aq">(Phyſique des corps animés),</hi> welcher die Muſkelſaſer vom Blute, wie eine gewundne Schnur von der Feuchtigkeit kuͤrzer werden laͤßt und dabey die Geſchwindigkeit und Waͤrme des Bluts zu Huͤlſe nimmt. Er beruft ſich darauf, daß der Muſkel bey der Zuſammenziehung bleich werde, weil ſich das Blut aus den kleinen Arterien ins Innere der Fibern ergieße. Aber dieſes Bleichwerden iſt in der Erfahrung<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [303/0309]
ſind die Hypotheſen unzaͤhlbar. Die aͤltern Aerzte ſagten mit Galen, es ergoͤſſen ſich die Lebensgeiſter aus dem Gehirne durch die Nerven in die Muſkeln, um dieſe zu bewegen. Descartes leitete die Bewegung von einem ſchnellern Einfließen des Nervenſaſts, Newton (Optic. L. III. puaeſt. 24.) von dem Aether her, der durch den Willen der Seele in die Nervencanaͤle getrieben werde: Santorini, Tabor und Willis ließen die cylindriſche Nervenfiber von dem eindringenden Lebensgeiſte aufſchwellen.
Um zu erklaͤren, wie ein ſo feines und in geringer Menge vorhandenes Fluidum große Wirkungen thun koͤnne, verglich Aſtruc die Muſkelſiber mit einer Roͤhre, die ſich in eine Blaſe endiget, welche aufgeblaſen ſich erweitert und durch ihre Verkuͤrzung große Laſten erhebt. Da eine Reihe von mehreren Blaſen in dieſer Abſicht noch mehr leiſtet, als eine einzelne, woruͤber Sturm (Colleg. curioſum, To. II.) Verſuche angeſtellt hat, ſo ließen Borelli, Senac u. a. den Muſkel aus lauter Blaſen oder Zellen beſtehen, welche durch die Lebensgeiſter oder den Nerdenſaft aufgetrieben wuͤrden, und dadurch eine Verkuͤrzung mit ſo viel Gewalt verurſachten. Die Mikroſkope aber zeigen dieſen zellenfoͤrmigen Bau der Muſkelfaſer nicht, und die Verkuͤrzungen ſind oft ſo betraͤchtlich, daß bey dieſem Mechaniſmus eine ungeheure Auftreibung des Volumens wuͤrde erfordert werden, dergleichen man doch bey den Verſuchen nicht gewahr wird.
Weil Thiere ſich noch eine Zeit bewegen, wenn man ihnen ſchon das Gehirn genommen hat, ſo haben Andere die Anſuͤllung und Verkuͤrzung der Muſkelfaſer nicht dem Nervenſafte, ſondern dem Blute zugeſchrieben. Dahin gehoͤrt naͤchſt Daniel Bernoulli vorzuͤglich der Abt Bertier (Phyſique des corps animés), welcher die Muſkelſaſer vom Blute, wie eine gewundne Schnur von der Feuchtigkeit kuͤrzer werden laͤßt und dabey die Geſchwindigkeit und Waͤrme des Bluts zu Huͤlſe nimmt. Er beruft ſich darauf, daß der Muſkel bey der Zuſammenziehung bleich werde, weil ſich das Blut aus den kleinen Arterien ins Innere der Fibern ergieße. Aber dieſes Bleichwerden iſt in der Erfahrung
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