Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Hiedurch gelangte man nun zu einer Menge von Kenntnissen, die durch fortgesetzte Beobachtung fast mit jedem Tage anwuchsen, und mit dem leeren Wortgepränge der Schulphysik einen sehr auffallenden Contrast machten. Man nahm nunmehr auch die Versuche zu Hülfe. Durch diese entdeckte Galilei's Schüler Torricelli im Jahre 1643 das Barometer, wodurch der Druck des Luftkreises bekannt und der aristotelische Begrif von Abneigung der Natur gegen den leeren Raum völlig widerlegt ward. Um diese Zeit erwachte der Geist der Erperimentaluntersuchung und der mathematischen Physik auf einmal in mehrern Ländern. In Deutschland erfand Otto von Guericke die Luftpumpe und die elektrische Schwefelkugel, Kircher und Schott trugen eine große Anzahl von Versuchen und Beobachtungen zusammen, in Frankreich erklärte Pascal die Lehre vom Drucke der Luft aus Erfahrungen, der P. Mersenne untersuchte die Schwingungen gespannter Saiten, und brachte durch seinen Briefwechsel die Gelehrten in nähere Verbindung, Gassendi und in Italien Riccioli bestätigten die erfundenen Wahrheiten durch neue Versuche. Das hiedurch schon untergrabne Gebäude der scholastisch - aristotelischen Physik ward endlich durch Descartes völlig umgestürzt. Dieser Weltweise, dessen Verdienste bey allen seinen Fehlern immer sehr groß bleiben, benützte die bis auf seine Zeit gemachten Entdeckungen gegen die Aristoteliker mit einer unwiderstehlichen Stärke der Gründe, und lehrte bey seinen großen Einsichten in die Mathematik sehr viel Wahres und Nützliches. Er suchte besonders alle Anhänglichkeit an fremde Meinungen zu vertilgen, und durch einen heilsamen Skepticismus zum Selbstdenken anzuführen. Allein auch er ward durch die Begierde, alles zu erklären und ein vollständiges Gebäude aufzuführen, ganz von dem sichern Wege der Erfahrung abgezogen. Er behandelte die Erklärung der ganzen Welt, wie ein mathematisches Problem, zu dem Materie und Bewegung die einzigen Data waren. Und doch hatte er weder von Materie,
Hiedurch gelangte man nun zu einer Menge von Kenntniſſen, die durch fortgeſetzte Beobachtung faſt mit jedem Tage anwuchſen, und mit dem leeren Wortgepraͤnge der Schulphyſik einen ſehr auffallenden Contraſt machten. Man nahm nunmehr auch die Verſuche zu Huͤlfe. Durch dieſe entdeckte Galilei's Schuͤler Torricelli im Jahre 1643 das Barometer, wodurch der Druck des Luftkreiſes bekannt und der ariſtoteliſche Begrif von Abneigung der Natur gegen den leeren Raum voͤllig widerlegt ward. Um dieſe Zeit erwachte der Geiſt der Erperimentalunterſuchung und der mathematiſchen Phyſik auf einmal in mehrern Laͤndern. In Deutſchland erfand Otto von Guericke die Luftpumpe und die elektriſche Schwefelkugel, Kircher und Schott trugen eine große Anzahl von Verſuchen und Beobachtungen zuſammen, in Frankreich erklaͤrte Paſcal die Lehre vom Drucke der Luft aus Erfahrungen, der P. Merſenne unterſuchte die Schwingungen geſpannter Saiten, und brachte durch ſeinen Briefwechſel die Gelehrten in naͤhere Verbindung, Gaſſendi und in Italien Riccioli beſtaͤtigten die erfundenen Wahrheiten durch neue Verſuche. Das hiedurch ſchon untergrabne Gebaͤude der ſcholaſtiſch - ariſtoteliſchen Phyſik ward endlich durch Descartes voͤllig umgeſtuͤrzt. Dieſer Weltweiſe, deſſen Verdienſte bey allen ſeinen Fehlern immer ſehr groß bleiben, benuͤtzte die bis auf ſeine Zeit gemachten Entdeckungen gegen die Ariſtoteliker mit einer unwiderſtehlichen Staͤrke der Gruͤnde, und lehrte bey ſeinen großen Einſichten in die Mathematik ſehr viel Wahres und Nuͤtzliches. Er ſuchte beſonders alle Anhaͤnglichkeit an fremde Meinungen zu vertilgen, und durch einen heilſamen Skepticiſmus zum Selbſtdenken anzufuͤhren. Allein auch er ward durch die Begierde, alles zu erklaͤren und ein vollſtaͤndiges Gebaͤude aufzufuͤhren, ganz von dem ſichern Wege der Erfahrung abgezogen. Er behandelte die Erklaͤrung der ganzen Welt, wie ein mathematiſches Problem, zu dem Materie und Bewegung die einzigen Data waren. Und doch hatte er weder von Materie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0507" xml:id="P.3.501" n="501"/><lb/> Drucks fluͤßiger Koͤrper, und Snellius das richtige Geſetz der Stralenbrechung.</p> <p>Hiedurch gelangte man nun zu einer Menge von Kenntniſſen, die durch fortgeſetzte Beobachtung faſt mit jedem Tage anwuchſen, und mit dem leeren Wortgepraͤnge der Schulphyſik einen ſehr auffallenden Contraſt machten. Man nahm nunmehr auch die Verſuche zu Huͤlfe. Durch dieſe entdeckte Galilei's Schuͤler <hi rendition="#b">Torricelli</hi> im Jahre 1643 das Barometer, wodurch der Druck des Luftkreiſes bekannt und der ariſtoteliſche Begrif von Abneigung der Natur gegen den leeren Raum voͤllig widerlegt ward. Um dieſe Zeit erwachte der Geiſt der Erperimentalunterſuchung und der mathematiſchen Phyſik auf einmal in mehrern Laͤndern. In Deutſchland erfand <hi rendition="#b">Otto von Guericke</hi> die Luftpumpe und die elektriſche Schwefelkugel, <hi rendition="#b">Kircher</hi> und <hi rendition="#b">Schott</hi> trugen eine große Anzahl von Verſuchen und Beobachtungen zuſammen, in Frankreich erklaͤrte <hi rendition="#b">Paſcal</hi> die Lehre vom Drucke der Luft aus Erfahrungen, der P. <hi rendition="#b">Merſenne</hi> unterſuchte die Schwingungen geſpannter Saiten, und brachte durch ſeinen Briefwechſel die Gelehrten in naͤhere Verbindung, Gaſſendi und in Italien <hi rendition="#b">Riccioli</hi> beſtaͤtigten die erfundenen Wahrheiten durch neue Verſuche.</p> <p>Das hiedurch ſchon untergrabne Gebaͤude der ſcholaſtiſch - ariſtoteliſchen Phyſik ward endlich durch <hi rendition="#b">Descartes</hi> voͤllig umgeſtuͤrzt. Dieſer Weltweiſe, deſſen Verdienſte bey allen ſeinen Fehlern immer ſehr groß bleiben, benuͤtzte die bis auf ſeine Zeit gemachten Entdeckungen gegen die Ariſtoteliker mit einer unwiderſtehlichen Staͤrke der Gruͤnde, und lehrte bey ſeinen großen Einſichten in die Mathematik ſehr viel Wahres und Nuͤtzliches. Er ſuchte beſonders alle Anhaͤnglichkeit an fremde Meinungen zu vertilgen, und durch einen heilſamen Skepticiſmus zum Selbſtdenken anzufuͤhren. Allein auch er ward durch die Begierde, alles zu erklaͤren und ein vollſtaͤndiges Gebaͤude aufzufuͤhren, ganz von dem ſichern Wege der Erfahrung abgezogen. Er behandelte die Erklaͤrung der ganzen Welt, wie ein mathematiſches Problem, zu dem Materie und Bewegung die einzigen Data waren. Und doch hatte er weder von Materie,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [501/0507]
Drucks fluͤßiger Koͤrper, und Snellius das richtige Geſetz der Stralenbrechung.
Hiedurch gelangte man nun zu einer Menge von Kenntniſſen, die durch fortgeſetzte Beobachtung faſt mit jedem Tage anwuchſen, und mit dem leeren Wortgepraͤnge der Schulphyſik einen ſehr auffallenden Contraſt machten. Man nahm nunmehr auch die Verſuche zu Huͤlfe. Durch dieſe entdeckte Galilei's Schuͤler Torricelli im Jahre 1643 das Barometer, wodurch der Druck des Luftkreiſes bekannt und der ariſtoteliſche Begrif von Abneigung der Natur gegen den leeren Raum voͤllig widerlegt ward. Um dieſe Zeit erwachte der Geiſt der Erperimentalunterſuchung und der mathematiſchen Phyſik auf einmal in mehrern Laͤndern. In Deutſchland erfand Otto von Guericke die Luftpumpe und die elektriſche Schwefelkugel, Kircher und Schott trugen eine große Anzahl von Verſuchen und Beobachtungen zuſammen, in Frankreich erklaͤrte Paſcal die Lehre vom Drucke der Luft aus Erfahrungen, der P. Merſenne unterſuchte die Schwingungen geſpannter Saiten, und brachte durch ſeinen Briefwechſel die Gelehrten in naͤhere Verbindung, Gaſſendi und in Italien Riccioli beſtaͤtigten die erfundenen Wahrheiten durch neue Verſuche.
Das hiedurch ſchon untergrabne Gebaͤude der ſcholaſtiſch - ariſtoteliſchen Phyſik ward endlich durch Descartes voͤllig umgeſtuͤrzt. Dieſer Weltweiſe, deſſen Verdienſte bey allen ſeinen Fehlern immer ſehr groß bleiben, benuͤtzte die bis auf ſeine Zeit gemachten Entdeckungen gegen die Ariſtoteliker mit einer unwiderſtehlichen Staͤrke der Gruͤnde, und lehrte bey ſeinen großen Einſichten in die Mathematik ſehr viel Wahres und Nuͤtzliches. Er ſuchte beſonders alle Anhaͤnglichkeit an fremde Meinungen zu vertilgen, und durch einen heilſamen Skepticiſmus zum Selbſtdenken anzufuͤhren. Allein auch er ward durch die Begierde, alles zu erklaͤren und ein vollſtaͤndiges Gebaͤude aufzufuͤhren, ganz von dem ſichern Wege der Erfahrung abgezogen. Er behandelte die Erklaͤrung der ganzen Welt, wie ein mathematiſches Problem, zu dem Materie und Bewegung die einzigen Data waren. Und doch hatte er weder von Materie,
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