Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Man hat die Bewegung, in welcher das Wesen des Schalles besteht, mit Unrecht für ein Zittern (tremorem) aller kleinsten Theile des schallenden Körpers ausgeben wollen. Diese Meinung war sonst allgemein, und ist von Perrault, Carre und de la Hire (Experiences sur le son in den Mem. de Paris 1709. 1716.) mit vielen Gründen und Versuchen unterstützt worden, die auch Musschenbroek (Introd. ad philos. nat. To. II. §. 2191 sq.) anführt. Man suchte z. B. den Schall nicht in dem Schwingen der ganzen Saite, sondern in den dadurch veranlaßten Zittern ihrer kleinsten Theile (in motu tremulo partium minimarum), und Musschenbroek (l. c. Tab. LVII. Fig. 10 et 11.) zeigt sogar in einer Figur, wie sich die Theile der Saite bey ihren Schwingungen an einander hin und her schieben müssen. Aber neuere Versuche, die ich beym Worte Klang angeführt habe, beweisen deutlich, daß diese Erzitterung der kleinsten Theile zum Schalle nicht nothwendig, und bey klingenden Körpern gar nicht vorhanden sey. Vielmehr bleiben gewisse Stellen solcher Körper ganz unbewegt, und um diese herum oscilliren oder schwingen die übrigen Theile so, daß sie auf beyden Seiten der festen Stellen oder Schwingungsknoten nach entgegengesetzten Richtungen gehen. De la Hire beruft sich, um das Zittern der kleinsten Theile zu erweisen, unter andern auf folgenden Versuch. Wenn man die elastischen Schenkel einer Feuerzange zusammendrückt, und schnell fahren läßt, so oscilliren sie, ohne zu schallen. Wenn sie aber von außen her an einen harten Körper stoßen, so klingen sie augenblicklich. Also, schließt er, entsteht der Schall nicht durch das Oscilliren der ganzen Schenkel, welches der Stoß an den harten Körper eher vermindern müßte, sondern aus dem Zittern der Theile, das der Stoß hervorbringt. Eben so schwingt eine stählerne Gabel, die man locker zwischen zween Fingern hält, und damit auf den Teller schlägt, ohne Klang; wenn man aber gleich darauf ihr Heft gegen den Teller stößt, klingt
Man hat die Bewegung, in welcher das Weſen des Schalles beſteht, mit Unrecht fuͤr ein Zittern (tremorem) aller kleinſten Theile des ſchallenden Koͤrpers ausgeben wollen. Dieſe Meinung war ſonſt allgemein, und iſt von Perrault, Carre und de la Hire (Experiences ſur le ſon in den Mém. de Paris 1709. 1716.) mit vielen Gruͤnden und Verſuchen unterſtuͤtzt worden, die auch Muſſchenbroek (Introd. ad philoſ. nat. To. II. §. 2191 ſq.) anfuͤhrt. Man ſuchte z. B. den Schall nicht in dem Schwingen der ganzen Saite, ſondern in den dadurch veranlaßten Zittern ihrer kleinſten Theile (in motu tremulo partium minimarum), und Muſſchenbroek (l. c. Tab. LVII. Fig. 10 et 11.) zeigt ſogar in einer Figur, wie ſich die Theile der Saite bey ihren Schwingungen an einander hin und her ſchieben muͤſſen. Aber neuere Verſuche, die ich beym Worte Klang angefuͤhrt habe, beweiſen deutlich, daß dieſe Erzitterung der kleinſten Theile zum Schalle nicht nothwendig, und bey klingenden Koͤrpern gar nicht vorhanden ſey. Vielmehr bleiben gewiſſe Stellen ſolcher Koͤrper ganz unbewegt, und um dieſe herum oſcilliren oder ſchwingen die uͤbrigen Theile ſo, daß ſie auf beyden Seiten der feſten Stellen oder Schwingungsknoten nach entgegengeſetzten Richtungen gehen. De la Hire beruft ſich, um das Zittern der kleinſten Theile zu erweiſen, unter andern auf folgenden Verſuch. Wenn man die elaſtiſchen Schenkel einer Feuerzange zuſammendruͤckt, und ſchnell fahren laͤßt, ſo oſcilliren ſie, ohne zu ſchallen. Wenn ſie aber von außen her an einen harten Koͤrper ſtoßen, ſo klingen ſie augenblicklich. Alſo, ſchließt er, entſteht der Schall nicht durch das Oſcilliren der ganzen Schenkel, welches der Stoß an den harten Koͤrper eher vermindern muͤßte, ſondern aus dem Zittern der Theile, das der Stoß hervorbringt. Eben ſo ſchwingt eine ſtaͤhlerne Gabel, die man locker zwiſchen zween Fingern haͤlt, und damit auf den Teller ſchlaͤgt, ohne Klang; wenn man aber gleich darauf ihr Heft gegen den Teller ſtoͤßt, klingt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0807" xml:id="P.3.801" n="801"/><lb/> eines elaſtiſchen faſt gaͤnzlich; und eine Saite hoͤrt auf zu klingen, ſo bald ſie von einem Daͤmpfer beruͤhrt wird.</p> <p>Man hat die Bewegung, in welcher das Weſen des Schalles beſteht, mit Unrecht fuͤr ein <hi rendition="#b">Zittern</hi> <hi rendition="#aq">(tremorem)</hi> aller kleinſten Theile des ſchallenden Koͤrpers ausgeben wollen. Dieſe Meinung war ſonſt allgemein, und iſt von <hi rendition="#b">Perrault, Carre</hi> und <hi rendition="#b">de la Hire</hi> <hi rendition="#aq">(Experiences ſur le ſon</hi> in den <hi rendition="#aq">Mém. de Paris 1709. 1716.)</hi> mit vielen Gruͤnden und Verſuchen unterſtuͤtzt worden, die auch <hi rendition="#b">Muſſchenbroek</hi> <hi rendition="#aq">(Introd. ad philoſ. nat. To. II. §. 2191 ſq.)</hi> anfuͤhrt. Man ſuchte z. B. den Schall nicht in dem Schwingen der ganzen Saite, ſondern in den dadurch veranlaßten Zittern ihrer kleinſten Theile <hi rendition="#aq">(in motu tremulo partium minimarum),</hi> und Muſſchenbroek <hi rendition="#aq">(l. c. Tab. LVII. Fig. 10 et 11.)</hi> zeigt ſogar in einer Figur, wie ſich die Theile der Saite bey ihren Schwingungen an einander hin und her ſchieben muͤſſen. Aber neuere Verſuche, die ich beym Worte <hi rendition="#b">Klang</hi> angefuͤhrt habe, beweiſen deutlich, daß dieſe Erzitterung der kleinſten Theile zum Schalle nicht nothwendig, und bey klingenden Koͤrpern gar nicht vorhanden ſey. Vielmehr bleiben gewiſſe Stellen ſolcher Koͤrper ganz unbewegt, und um dieſe herum <hi rendition="#b">oſcilliren</hi> oder ſchwingen die uͤbrigen Theile ſo, daß ſie auf beyden Seiten der feſten Stellen oder <hi rendition="#b">Schwingungsknoten</hi> nach entgegengeſetzten Richtungen gehen.</p> <p><hi rendition="#b">De la Hire</hi> beruft ſich, um das Zittern der kleinſten Theile zu erweiſen, unter andern auf folgenden Verſuch. Wenn man die elaſtiſchen Schenkel einer Feuerzange zuſammendruͤckt, und ſchnell fahren laͤßt, ſo oſcilliren ſie, ohne zu ſchallen. Wenn ſie aber von außen her an einen harten Koͤrper ſtoßen, ſo klingen ſie augenblicklich. Alſo, ſchließt er, entſteht der Schall nicht durch das Oſcilliren der ganzen Schenkel, welches der Stoß an den harten Koͤrper eher vermindern muͤßte, ſondern aus dem Zittern der Theile, das der Stoß hervorbringt. Eben ſo ſchwingt eine ſtaͤhlerne Gabel, die man locker zwiſchen zween Fingern haͤlt, und damit auf den Teller ſchlaͤgt, ohne Klang; wenn man aber gleich darauf ihr Heft gegen den Teller ſtoͤßt, klingt<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [801/0807]
eines elaſtiſchen faſt gaͤnzlich; und eine Saite hoͤrt auf zu klingen, ſo bald ſie von einem Daͤmpfer beruͤhrt wird.
Man hat die Bewegung, in welcher das Weſen des Schalles beſteht, mit Unrecht fuͤr ein Zittern (tremorem) aller kleinſten Theile des ſchallenden Koͤrpers ausgeben wollen. Dieſe Meinung war ſonſt allgemein, und iſt von Perrault, Carre und de la Hire (Experiences ſur le ſon in den Mém. de Paris 1709. 1716.) mit vielen Gruͤnden und Verſuchen unterſtuͤtzt worden, die auch Muſſchenbroek (Introd. ad philoſ. nat. To. II. §. 2191 ſq.) anfuͤhrt. Man ſuchte z. B. den Schall nicht in dem Schwingen der ganzen Saite, ſondern in den dadurch veranlaßten Zittern ihrer kleinſten Theile (in motu tremulo partium minimarum), und Muſſchenbroek (l. c. Tab. LVII. Fig. 10 et 11.) zeigt ſogar in einer Figur, wie ſich die Theile der Saite bey ihren Schwingungen an einander hin und her ſchieben muͤſſen. Aber neuere Verſuche, die ich beym Worte Klang angefuͤhrt habe, beweiſen deutlich, daß dieſe Erzitterung der kleinſten Theile zum Schalle nicht nothwendig, und bey klingenden Koͤrpern gar nicht vorhanden ſey. Vielmehr bleiben gewiſſe Stellen ſolcher Koͤrper ganz unbewegt, und um dieſe herum oſcilliren oder ſchwingen die uͤbrigen Theile ſo, daß ſie auf beyden Seiten der feſten Stellen oder Schwingungsknoten nach entgegengeſetzten Richtungen gehen.
De la Hire beruft ſich, um das Zittern der kleinſten Theile zu erweiſen, unter andern auf folgenden Verſuch. Wenn man die elaſtiſchen Schenkel einer Feuerzange zuſammendruͤckt, und ſchnell fahren laͤßt, ſo oſcilliren ſie, ohne zu ſchallen. Wenn ſie aber von außen her an einen harten Koͤrper ſtoßen, ſo klingen ſie augenblicklich. Alſo, ſchließt er, entſteht der Schall nicht durch das Oſcilliren der ganzen Schenkel, welches der Stoß an den harten Koͤrper eher vermindern muͤßte, ſondern aus dem Zittern der Theile, das der Stoß hervorbringt. Eben ſo ſchwingt eine ſtaͤhlerne Gabel, die man locker zwiſchen zween Fingern haͤlt, und damit auf den Teller ſchlaͤgt, ohne Klang; wenn man aber gleich darauf ihr Heft gegen den Teller ſtoͤßt, klingt
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