Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Mir wenigstens scheint diese Vorstellungsart die Sache ganz deutlich zu machen. Dennoch will ich sie Niemand als ausgemachte Wahrheit aufdringen, noch weniger mir anmaßen, eine Erklärung über die Art und Weise zu geben, wie die Empfindungen des Lichts durch die Nerven der Seele mitgetheilt werden, worüber es wohl am besten ist, ganz zu schweigen, so lang wir noch nicht wissen, wie das Materielle überhaupt auf den Geist wirken kan. Diese Empsindungen aber, die in Absicht auf Ordnung, Gestalt, Größe und Deutlichkeit der Theile mit dem Bilde im Auge übereinstimmen, sind doch für sich allein noch nicht hinreichend, uns alle die Vortheile zu gewähren, die wir durch den unaussprechlich wohlthätigen Sinn des Gesichts in der That erhalten. Sie sind an sich nur Zeichen, welche die Seele erst mit andern Begriffen verbinden, und worüber sie Urtheile fällen muß. Erst diese Urtheile belehren uns über die Beschaffenheit der außer unserm Auge befindlichen Körper. Die Fähigkeit, solche Urtheile zu fällen, erlangt der Mensch durch Vergleichung des Gesehenen mit dem, was ihn die andern Sinne lehren, und vorzüglich mit den Empfindungen des Gefühls. Schon in der frühsten Kindheit fängt diese erste Bildung und Uebung der Urtheilskraft an, weit eher, als die Seele sich dessen, was in ihr vorgeht, nur einigermassen deutlich bewußt ist. Hieher gehört der fast unwiderstehliche Trieb der Kinder, alles, was sie sehen, zu befühlen. Endlich bildet sich durch solche Uebungen ein Vermögen, über Dinge, die dem Auge täglich vorkommen, und oft mit dem Gefühl verglichen worden sind, schnell und richtig zu urtheilen. Dies wird endlich zur Fertigkeit, und verwebt sich so innig mit dem Sehen selbst, daß wir zuletzt nichts mehr sehen, ohne zugleich ein schnelles Urtheil über Entfernung, Größe und übrige Beschaffenheit des Gesehenen zu fällen. Man gewöhnt sich so sehr an dieses Urtheilen,
Mir wenigſtens ſcheint dieſe Vorſtellungsart die Sache ganz deutlich zu machen. Dennoch will ich ſie Niemand als ausgemachte Wahrheit aufdringen, noch weniger mir anmaßen, eine Erklaͤrung uͤber die Art und Weiſe zu geben, wie die Empfindungen des Lichts durch die Nerven der Seele mitgetheilt werden, woruͤber es wohl am beſten iſt, ganz zu ſchweigen, ſo lang wir noch nicht wiſſen, wie das Materielle uͤberhaupt auf den Geiſt wirken kan. Dieſe Empſindungen aber, die in Abſicht auf Ordnung, Geſtalt, Groͤße und Deutlichkeit der Theile mit dem Bilde im Auge uͤbereinſtimmen, ſind doch fuͤr ſich allein noch nicht hinreichend, uns alle die Vortheile zu gewaͤhren, die wir durch den unausſprechlich wohlthaͤtigen Sinn des Geſichts in der That erhalten. Sie ſind an ſich nur Zeichen, welche die Seele erſt mit andern Begriffen verbinden, und woruͤber ſie Urtheile faͤllen muß. Erſt dieſe Urtheile belehren uns uͤber die Beſchaffenheit der außer unſerm Auge befindlichen Koͤrper. Die Faͤhigkeit, ſolche Urtheile zu faͤllen, erlangt der Menſch durch Vergleichung des Geſehenen mit dem, was ihn die andern Sinne lehren, und vorzuͤglich mit den Empfindungen des Gefuͤhls. Schon in der fruͤhſten Kindheit faͤngt dieſe erſte Bildung und Uebung der Urtheilskraft an, weit eher, als die Seele ſich deſſen, was in ihr vorgeht, nur einigermaſſen deutlich bewußt iſt. Hieher gehoͤrt der faſt unwiderſtehliche Trieb der Kinder, alles, was ſie ſehen, zu befuͤhlen. Endlich bildet ſich durch ſolche Uebungen ein Vermoͤgen, uͤber Dinge, die dem Auge taͤglich vorkommen, und oft mit dem Gefuͤhl verglichen worden ſind, ſchnell und richtig zu urtheilen. Dies wird endlich zur Fertigkeit, und verwebt ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir zuletzt nichts mehr ſehen, ohne zugleich ein ſchnelles Urtheil uͤber Entfernung, Groͤße und uͤbrige Beſchaffenheit des Geſehenen zu faͤllen. Man gewoͤhnt ſich ſo ſehr an dieſes Urtheilen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0023" xml:id="P.4.13" n="13"/><lb/> Stelle. Hieraus entſteht undeutliche Empfindung der Grenzen, welche in einander zu laufen ſcheinen, und ſo iſt das undeutliche Bild im Auge nothwendig mit Undeutlichkeit des Sehens ſelbſt begleitet.</p> <p>Mir wenigſtens ſcheint dieſe Vorſtellungsart die Sache ganz deutlich zu machen. Dennoch will ich ſie Niemand als ausgemachte Wahrheit aufdringen, noch weniger mir anmaßen, eine Erklaͤrung uͤber die Art und Weiſe zu geben, wie die Empfindungen des Lichts durch die Nerven der Seele mitgetheilt werden, woruͤber es wohl am beſten iſt, ganz zu ſchweigen, ſo lang wir noch nicht wiſſen, wie das Materielle uͤberhaupt auf den Geiſt wirken kan.</p> <p>Dieſe Empſindungen aber, die in Abſicht auf Ordnung, Geſtalt, Groͤße und Deutlichkeit der Theile mit dem Bilde im Auge uͤbereinſtimmen, ſind doch fuͤr ſich allein noch nicht hinreichend, uns alle die Vortheile zu gewaͤhren, die wir durch den unausſprechlich wohlthaͤtigen Sinn des Geſichts in der That erhalten. Sie ſind an ſich nur Zeichen, welche die Seele erſt mit andern Begriffen verbinden, und woruͤber ſie <hi rendition="#b">Urtheile</hi> faͤllen muß. Erſt dieſe Urtheile belehren uns uͤber die Beſchaffenheit der außer unſerm Auge befindlichen Koͤrper. Die Faͤhigkeit, ſolche Urtheile zu faͤllen, erlangt der Menſch durch Vergleichung des Geſehenen mit dem, was ihn die andern Sinne lehren, und vorzuͤglich mit den Empfindungen des Gefuͤhls. Schon in der fruͤhſten Kindheit faͤngt dieſe erſte Bildung und Uebung der Urtheilskraft an, weit eher, als die Seele ſich deſſen, was in ihr vorgeht, nur einigermaſſen deutlich bewußt iſt. Hieher gehoͤrt der faſt unwiderſtehliche Trieb der Kinder, alles, was ſie ſehen, zu befuͤhlen. Endlich bildet ſich durch ſolche Uebungen ein Vermoͤgen, uͤber Dinge, die dem Auge taͤglich vorkommen, und oft mit dem Gefuͤhl verglichen worden ſind, <hi rendition="#b">ſchnell</hi> und <hi rendition="#b">richtig zu urtheilen.</hi> Dies wird endlich zur Fertigkeit, und verwebt ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir zuletzt nichts mehr ſehen, ohne zugleich ein ſchnelles Urtheil uͤber Entfernung, Groͤße und uͤbrige Beſchaffenheit des Geſehenen zu faͤllen. Man gewoͤhnt ſich ſo ſehr an dieſes Urtheilen,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0023]
Stelle. Hieraus entſteht undeutliche Empfindung der Grenzen, welche in einander zu laufen ſcheinen, und ſo iſt das undeutliche Bild im Auge nothwendig mit Undeutlichkeit des Sehens ſelbſt begleitet.
Mir wenigſtens ſcheint dieſe Vorſtellungsart die Sache ganz deutlich zu machen. Dennoch will ich ſie Niemand als ausgemachte Wahrheit aufdringen, noch weniger mir anmaßen, eine Erklaͤrung uͤber die Art und Weiſe zu geben, wie die Empfindungen des Lichts durch die Nerven der Seele mitgetheilt werden, woruͤber es wohl am beſten iſt, ganz zu ſchweigen, ſo lang wir noch nicht wiſſen, wie das Materielle uͤberhaupt auf den Geiſt wirken kan.
Dieſe Empſindungen aber, die in Abſicht auf Ordnung, Geſtalt, Groͤße und Deutlichkeit der Theile mit dem Bilde im Auge uͤbereinſtimmen, ſind doch fuͤr ſich allein noch nicht hinreichend, uns alle die Vortheile zu gewaͤhren, die wir durch den unausſprechlich wohlthaͤtigen Sinn des Geſichts in der That erhalten. Sie ſind an ſich nur Zeichen, welche die Seele erſt mit andern Begriffen verbinden, und woruͤber ſie Urtheile faͤllen muß. Erſt dieſe Urtheile belehren uns uͤber die Beſchaffenheit der außer unſerm Auge befindlichen Koͤrper. Die Faͤhigkeit, ſolche Urtheile zu faͤllen, erlangt der Menſch durch Vergleichung des Geſehenen mit dem, was ihn die andern Sinne lehren, und vorzuͤglich mit den Empfindungen des Gefuͤhls. Schon in der fruͤhſten Kindheit faͤngt dieſe erſte Bildung und Uebung der Urtheilskraft an, weit eher, als die Seele ſich deſſen, was in ihr vorgeht, nur einigermaſſen deutlich bewußt iſt. Hieher gehoͤrt der faſt unwiderſtehliche Trieb der Kinder, alles, was ſie ſehen, zu befuͤhlen. Endlich bildet ſich durch ſolche Uebungen ein Vermoͤgen, uͤber Dinge, die dem Auge taͤglich vorkommen, und oft mit dem Gefuͤhl verglichen worden ſind, ſchnell und richtig zu urtheilen. Dies wird endlich zur Fertigkeit, und verwebt ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir zuletzt nichts mehr ſehen, ohne zugleich ein ſchnelles Urtheil uͤber Entfernung, Groͤße und uͤbrige Beſchaffenheit des Geſehenen zu faͤllen. Man gewoͤhnt ſich ſo ſehr an dieſes Urtheilen,
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