Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Cheselden meldet, er habe noch mehrern Personen die zuvor nie gesehen hätten, zum Gesicht verholfen, und alle hätten die Art, wie sie sehen lernten, eben so beschrieben (s. Smith's Lehrbegrif. S. 41). Ein neueres Beyspiel, von dem Oculisten Grant in England beschrieben, das hiemit ebenfalls übereinstimmt, findet man in dem von Herrn Voigt fortgesetzten lichtenbergischen Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (IV. B. 1. St. S. 21. u. f.). Berkeley (Essay on vision, p. 172.) entwickelt sehr deutlich, wie es mit dieser Erlernung des Sehens zugehen möge. Eins von den ersten, was ein Kind unterscheiden lernt, ist die Bewegung seiner eignen Hände und Finger. Diese ist mit einer Bewegung des Bilds im Auge und einer übereinstimmenden Empfindung davon begleitet. Nach dem bekannten Gesetze der Gleichzeitigkeit vergesellschaften sich die Begriffe, die Gefühl und Gesicht von dieser Bewegung geben, gar bald mit einander. Das Kind erinnert sich der Gesichtsempfindung, die es hatte, wenn sein Finger in einer gewissen bestimmten Stelle war, und schließt, wenn ein anderer Körper diese Empfindung auf eben der Stelle der Netzhaut erregt, der Körper befinde sich eben da, wo es vorhin seinen Finger hielt. So lernt es Stellen der Körper, nach und nach auch Bewegungen derselben und deren Richtungen kennen, und erhält endlich Begriffe von Ausdehnung, Lage und Gestalt, indem es die Finger an den Grenzen der Körper herumführt, und die Wendungen der Bewegung beobachtet, oder indem es selbst in einem Zimmer herumgeht, kurz indem es Begriffe des Gesichts und Gefühls mit einander vergesellschaftet und verbindet,
Cheſelden meldet, er habe noch mehrern Perſonen die zuvor nie geſehen haͤtten, zum Geſicht verholfen, und alle haͤtten die Art, wie ſie ſehen lernten, eben ſo beſchrieben (ſ. Smith's Lehrbegrif. S. 41). Ein neueres Beyſpiel, von dem Oculiſten Grant in England beſchrieben, das hiemit ebenfalls uͤbereinſtimmt, findet man in dem von Herrn Voigt fortgeſetzten lichtenbergiſchen Magazin fuͤr das Neueſte aus der Phyſik und Naturgeſchichte (IV. B. 1. St. S. 21. u. f.). Berkeley (Eſſay on viſion, p. 172.) entwickelt ſehr deutlich, wie es mit dieſer Erlernung des Sehens zugehen moͤge. Eins von den erſten, was ein Kind unterſcheiden lernt, iſt die Bewegung ſeiner eignen Haͤnde und Finger. Dieſe iſt mit einer Bewegung des Bilds im Auge und einer uͤbereinſtimmenden Empfindung davon begleitet. Nach dem bekannten Geſetze der Gleichzeitigkeit vergeſellſchaften ſich die Begriffe, die Gefuͤhl und Geſicht von dieſer Bewegung geben, gar bald mit einander. Das Kind erinnert ſich der Geſichtsempfindung, die es hatte, wenn ſein Finger in einer gewiſſen beſtimmten Stelle war, und ſchließt, wenn ein anderer Koͤrper dieſe Empfindung auf eben der Stelle der Netzhaut erregt, der Koͤrper befinde ſich eben da, wo es vorhin ſeinen Finger hielt. So lernt es Stellen der Koͤrper, nach und nach auch Bewegungen derſelben und deren Richtungen kennen, und erhaͤlt endlich Begriffe von Ausdehnung, Lage und Geſtalt, indem es die Finger an den Grenzen der Koͤrper herumfuͤhrt, und die Wendungen der Bewegung beobachtet, oder indem es ſelbſt in einem Zimmer herumgeht, kurz indem es Begriffe des Geſichts und Gefuͤhls mit einander vergeſellſchaftet und verbindet, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0026" xml:id="P.4.16" n="16"/><lb/> ward jeder neue Begrif eine neue Ergoͤtzung fuͤr ihn, ſein Vergnuͤgen ſtieg ſo hoch, daß er es nicht auszudruͤcken vermochte, und er konnte den Wundarzt, der ihm das Geſicht verſchaft hatte, nie ohne Freudenthraͤnen und andere Merkmale eines dankbaren Wohlwollens ſehen. Ein Jahr nach ſeinem erſten Sehen brachte man ihn in die Duͤnen von Epſom, wo er eine weite Ausſicht hatte. Dieſe ergoͤtzte ihn ſehr, und er nannte dies eine ganz neue Art von Sehen, u. ſ. w.</p> <p><hi rendition="#b">Cheſelden</hi> meldet, er habe noch mehrern Perſonen die zuvor nie geſehen haͤtten, zum Geſicht verholfen, und alle haͤtten die Art, wie ſie ſehen lernten, eben ſo beſchrieben (<hi rendition="#b">ſ. Smith's</hi> Lehrbegrif. S. 41). Ein neueres Beyſpiel, von dem Oculiſten <hi rendition="#b">Grant</hi> in England beſchrieben, das hiemit ebenfalls uͤbereinſtimmt, findet man in dem von Herrn <hi rendition="#b">Voigt</hi> fortgeſetzten lichtenbergiſchen Magazin fuͤr das Neueſte aus der Phyſik und Naturgeſchichte (<hi rendition="#aq">IV.</hi> B. 1. St. S. 21. u. f.).</p> <p><hi rendition="#b">Berkeley</hi> (<hi rendition="#aq">Eſſay on viſion, p. 172.</hi>) entwickelt ſehr deutlich, wie es mit dieſer Erlernung des Sehens zugehen moͤge. Eins von den erſten, was ein Kind unterſcheiden lernt, iſt die Bewegung ſeiner eignen Haͤnde und Finger. Dieſe iſt mit einer Bewegung des Bilds im Auge und einer uͤbereinſtimmenden Empfindung davon begleitet. Nach dem bekannten Geſetze der Gleichzeitigkeit vergeſellſchaften ſich die Begriffe, die Gefuͤhl und Geſicht von dieſer Bewegung geben, gar bald mit einander. Das Kind erinnert ſich der Geſichtsempfindung, die es hatte, wenn ſein Finger in einer gewiſſen beſtimmten Stelle war, und ſchließt, wenn ein anderer Koͤrper dieſe Empfindung auf eben der Stelle der Netzhaut erregt, der Koͤrper befinde ſich eben da, wo es vorhin ſeinen Finger hielt. So lernt es Stellen der Koͤrper, nach und nach auch Bewegungen derſelben und deren Richtungen kennen, und erhaͤlt endlich Begriffe von Ausdehnung, Lage und Geſtalt, indem es die Finger an den Grenzen der Koͤrper herumfuͤhrt, und die Wendungen der Bewegung beobachtet, oder indem es ſelbſt in einem Zimmer herumgeht, kurz indem es Begriffe des Geſichts und Gefuͤhls mit einander vergeſellſchaftet und verbindet,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0026]
ward jeder neue Begrif eine neue Ergoͤtzung fuͤr ihn, ſein Vergnuͤgen ſtieg ſo hoch, daß er es nicht auszudruͤcken vermochte, und er konnte den Wundarzt, der ihm das Geſicht verſchaft hatte, nie ohne Freudenthraͤnen und andere Merkmale eines dankbaren Wohlwollens ſehen. Ein Jahr nach ſeinem erſten Sehen brachte man ihn in die Duͤnen von Epſom, wo er eine weite Ausſicht hatte. Dieſe ergoͤtzte ihn ſehr, und er nannte dies eine ganz neue Art von Sehen, u. ſ. w.
Cheſelden meldet, er habe noch mehrern Perſonen die zuvor nie geſehen haͤtten, zum Geſicht verholfen, und alle haͤtten die Art, wie ſie ſehen lernten, eben ſo beſchrieben (ſ. Smith's Lehrbegrif. S. 41). Ein neueres Beyſpiel, von dem Oculiſten Grant in England beſchrieben, das hiemit ebenfalls uͤbereinſtimmt, findet man in dem von Herrn Voigt fortgeſetzten lichtenbergiſchen Magazin fuͤr das Neueſte aus der Phyſik und Naturgeſchichte (IV. B. 1. St. S. 21. u. f.).
Berkeley (Eſſay on viſion, p. 172.) entwickelt ſehr deutlich, wie es mit dieſer Erlernung des Sehens zugehen moͤge. Eins von den erſten, was ein Kind unterſcheiden lernt, iſt die Bewegung ſeiner eignen Haͤnde und Finger. Dieſe iſt mit einer Bewegung des Bilds im Auge und einer uͤbereinſtimmenden Empfindung davon begleitet. Nach dem bekannten Geſetze der Gleichzeitigkeit vergeſellſchaften ſich die Begriffe, die Gefuͤhl und Geſicht von dieſer Bewegung geben, gar bald mit einander. Das Kind erinnert ſich der Geſichtsempfindung, die es hatte, wenn ſein Finger in einer gewiſſen beſtimmten Stelle war, und ſchließt, wenn ein anderer Koͤrper dieſe Empfindung auf eben der Stelle der Netzhaut erregt, der Koͤrper befinde ſich eben da, wo es vorhin ſeinen Finger hielt. So lernt es Stellen der Koͤrper, nach und nach auch Bewegungen derſelben und deren Richtungen kennen, und erhaͤlt endlich Begriffe von Ausdehnung, Lage und Geſtalt, indem es die Finger an den Grenzen der Koͤrper herumfuͤhrt, und die Wendungen der Bewegung beobachtet, oder indem es ſelbſt in einem Zimmer herumgeht, kurz indem es Begriffe des Geſichts und Gefuͤhls mit einander vergeſellſchaftet und verbindet,
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