Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Die Nerven entspringen aus dem Gehirn und Rückenmark, und haben außer ihrem Einflusse auf die Muskelbewegung auch das Geschäft, die äußern Eindrücke dem Sitze der Empfindung durch die Sinne mitzutheilen, s. Sinne. Die Beschaffenheit der sinnlichen Empfindungen sowohl, als der Werkzeuge, ist bey den Thieren sehr verschieden. So scheinen die Fühlhörner der Insekten nach Linne Werkzeuge eines eignen Sinnes zu seyn, und die Polypen haben bey gänzlichem Mangel der Augen dennoch das feinste Gefühl vom Licht. Die Ermüdung der Nerven und Muskeln macht den Thieren von Zeit zu Zeit eine eigne Art der Ruhe, den Schlaf, nöthig. Außer diesem täglichen Erholungsschlaf haben noch viele Thiere in der rauhern Jahrszeit einen besondern tiefen Winterschlaf, der in einer Art von Erstarrung besteht, in welcher die warmblütigen Thiere nur unmerkliche Wärme übrig behalten, und die Puppen der Insekten dem Leben des darinn schlafenden Thieres unbeschadet oft so durchfroren sind, daß sie beym Herabfallen auf die Erde wie Eiszapfen oder Glas klingen. Zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung hat die Natur den Thieren unter andern Mitteln auch die Instincte oder thierischen Triebe gegeben, vermöge deren sie aus einem angebohrnen unwillkührlichen Drange ohne Unterricht mancherley zweckmäßige Handlungen vornehmen. Dahin gehören außer dem Nahrungs-Vertheidigungs-und Begattungstriebe, der Trieb zum geselligen Leben, zum Einsammlen der Vorräthe, zum Zuge in wärmere Länder, zur Wahl des Orts für die Eyer, zur Vorsorge für die Jungen, und vorzüglich die bewunderswürdigen Kunsttriebe, von welchen allen Reimarus (Betrachtungen über die Triebe der Thiere. 3te Ausg. Hamburg, 1773. 8.) so vortreflich geschrieben hat. Der Mensch, dem diese Instinkte größentheils fehlen, wird für diesen Mangel sehr reichlich durch den Gebrauch der Vernunft entschädiget. Diese erhebt ihn weit
Die Nerven entſpringen aus dem Gehirn und Ruͤckenmark, und haben außer ihrem Einfluſſe auf die Muſkelbewegung auch das Geſchaͤft, die aͤußern Eindruͤcke dem Sitze der Empfindung durch die Sinne mitzutheilen, ſ. Sinne. Die Beſchaffenheit der ſinnlichen Empfindungen ſowohl, als der Werkzeuge, iſt bey den Thieren ſehr verſchieden. So ſcheinen die Fuͤhlhoͤrner der Inſekten nach Linné Werkzeuge eines eignen Sinnes zu ſeyn, und die Polypen haben bey gaͤnzlichem Mangel der Augen dennoch das feinſte Gefuͤhl vom Licht. Die Ermuͤdung der Nerven und Muſkeln macht den Thieren von Zeit zu Zeit eine eigne Art der Ruhe, den Schlaf, noͤthig. Außer dieſem taͤglichen Erholungsſchlaf haben noch viele Thiere in der rauhern Jahrszeit einen beſondern tiefen Winterſchlaf, der in einer Art von Erſtarrung beſteht, in welcher die warmbluͤtigen Thiere nur unmerkliche Waͤrme uͤbrig behalten, und die Puppen der Inſekten dem Leben des darinn ſchlafenden Thieres unbeſchadet oft ſo durchfroren ſind, daß ſie beym Herabfallen auf die Erde wie Eiszapfen oder Glas klingen. Zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung hat die Natur den Thieren unter andern Mitteln auch die Inſtincte oder thieriſchen Triebe gegeben, vermoͤge deren ſie aus einem angebohrnen unwillkuͤhrlichen Drange ohne Unterricht mancherley zweckmaͤßige Handlungen vornehmen. Dahin gehoͤren außer dem Nahrungs-Vertheidigungs-und Begattungstriebe, der Trieb zum geſelligen Leben, zum Einſammlen der Vorraͤthe, zum Zuge in waͤrmere Laͤnder, zur Wahl des Orts fuͤr die Eyer, zur Vorſorge fuͤr die Jungen, und vorzuͤglich die bewunderswuͤrdigen Kunſttriebe, von welchen allen Reimarus (Betrachtungen uͤber die Triebe der Thiere. 3te Ausg. Hamburg, 1773. 8.) ſo vortreflich geſchrieben hat. Der Menſch, dem dieſe Inſtinkte groͤßentheils fehlen, wird fuͤr dieſen Mangel ſehr reichlich durch den Gebrauch der Vernunft entſchaͤdiget. Dieſe erhebt ihn weit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0376" xml:id="P.4.366" n="366"/><lb/> und ohne Ermuͤdung, <hi rendition="#b">ſ. Avtomatiſche Bewegungen.</hi></p> <p>Die <hi rendition="#b">Nerven</hi> entſpringen aus dem Gehirn und Ruͤckenmark, und haben außer ihrem Einfluſſe auf die Muſkelbewegung auch das Geſchaͤft, die aͤußern Eindruͤcke dem Sitze der Empfindung durch die <hi rendition="#b">Sinne</hi> mitzutheilen, <hi rendition="#b">ſ. Sinne.</hi> Die Beſchaffenheit der ſinnlichen Empfindungen ſowohl, als der Werkzeuge, iſt bey den Thieren ſehr verſchieden. So ſcheinen die Fuͤhlhoͤrner der Inſekten nach <hi rendition="#b">Linn</hi><hi rendition="#aq">é</hi> Werkzeuge eines eignen Sinnes zu ſeyn, und die Polypen haben bey gaͤnzlichem Mangel der Augen dennoch das feinſte Gefuͤhl vom Licht.</p> <p>Die Ermuͤdung der Nerven und Muſkeln macht den Thieren von Zeit zu Zeit eine eigne Art der Ruhe, den <hi rendition="#b">Schlaf,</hi> noͤthig. Außer dieſem taͤglichen Erholungsſchlaf haben noch viele Thiere in der rauhern Jahrszeit einen beſondern tiefen <hi rendition="#b">Winterſchlaf,</hi> der in einer Art von Erſtarrung beſteht, in welcher die warmbluͤtigen Thiere nur unmerkliche Waͤrme uͤbrig behalten, und die Puppen der Inſekten dem Leben des darinn ſchlafenden Thieres unbeſchadet oft ſo durchfroren ſind, daß ſie beym Herabfallen auf die Erde wie Eiszapfen oder Glas klingen.</p> <p>Zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung hat die Natur den Thieren unter andern Mitteln auch die <hi rendition="#b">Inſtincte</hi> oder <hi rendition="#b">thieriſchen Triebe</hi> gegeben, vermoͤge deren ſie aus einem angebohrnen unwillkuͤhrlichen Drange ohne Unterricht mancherley zweckmaͤßige Handlungen vornehmen. Dahin gehoͤren außer dem Nahrungs-Vertheidigungs-und Begattungstriebe, der Trieb zum geſelligen Leben, zum Einſammlen der Vorraͤthe, zum Zuge in waͤrmere Laͤnder, zur Wahl des Orts fuͤr die Eyer, zur Vorſorge fuͤr die Jungen, und vorzuͤglich die bewunderswuͤrdigen <hi rendition="#b">Kunſttriebe,</hi> von welchen allen <hi rendition="#b">Reimarus</hi> (Betrachtungen uͤber die Triebe der Thiere. 3te Ausg. Hamburg, 1773. 8.) ſo vortreflich geſchrieben hat.</p> <p>Der <hi rendition="#b">Menſch,</hi> dem dieſe Inſtinkte groͤßentheils fehlen, wird fuͤr dieſen Mangel ſehr reichlich durch den Gebrauch der <hi rendition="#b">Vernunft</hi> entſchaͤdiget. Dieſe erhebt ihn weit<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [366/0376]
und ohne Ermuͤdung, ſ. Avtomatiſche Bewegungen.
Die Nerven entſpringen aus dem Gehirn und Ruͤckenmark, und haben außer ihrem Einfluſſe auf die Muſkelbewegung auch das Geſchaͤft, die aͤußern Eindruͤcke dem Sitze der Empfindung durch die Sinne mitzutheilen, ſ. Sinne. Die Beſchaffenheit der ſinnlichen Empfindungen ſowohl, als der Werkzeuge, iſt bey den Thieren ſehr verſchieden. So ſcheinen die Fuͤhlhoͤrner der Inſekten nach Linné Werkzeuge eines eignen Sinnes zu ſeyn, und die Polypen haben bey gaͤnzlichem Mangel der Augen dennoch das feinſte Gefuͤhl vom Licht.
Die Ermuͤdung der Nerven und Muſkeln macht den Thieren von Zeit zu Zeit eine eigne Art der Ruhe, den Schlaf, noͤthig. Außer dieſem taͤglichen Erholungsſchlaf haben noch viele Thiere in der rauhern Jahrszeit einen beſondern tiefen Winterſchlaf, der in einer Art von Erſtarrung beſteht, in welcher die warmbluͤtigen Thiere nur unmerkliche Waͤrme uͤbrig behalten, und die Puppen der Inſekten dem Leben des darinn ſchlafenden Thieres unbeſchadet oft ſo durchfroren ſind, daß ſie beym Herabfallen auf die Erde wie Eiszapfen oder Glas klingen.
Zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung hat die Natur den Thieren unter andern Mitteln auch die Inſtincte oder thieriſchen Triebe gegeben, vermoͤge deren ſie aus einem angebohrnen unwillkuͤhrlichen Drange ohne Unterricht mancherley zweckmaͤßige Handlungen vornehmen. Dahin gehoͤren außer dem Nahrungs-Vertheidigungs-und Begattungstriebe, der Trieb zum geſelligen Leben, zum Einſammlen der Vorraͤthe, zum Zuge in waͤrmere Laͤnder, zur Wahl des Orts fuͤr die Eyer, zur Vorſorge fuͤr die Jungen, und vorzuͤglich die bewunderswuͤrdigen Kunſttriebe, von welchen allen Reimarus (Betrachtungen uͤber die Triebe der Thiere. 3te Ausg. Hamburg, 1773. 8.) ſo vortreflich geſchrieben hat.
Der Menſch, dem dieſe Inſtinkte groͤßentheils fehlen, wird fuͤr dieſen Mangel ſehr reichlich durch den Gebrauch der Vernunft entſchaͤdiget. Dieſe erhebt ihn weit
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