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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

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gedacht, wobey man die Stellung der Weltpole der Zeit gemäß verändern könnte. Cassini (Hist. de l'acad. des sc. 1708. p. 97.) hatte ein Modell hiezu verfertiget, auch Lowitz eines, welches letztere Herr Kästner besitzt, und Herr von Segner (Astronomische Vorlesungen. Erster Theil. Halle, 1775. 4. §. 357. S. 188.) hat noch einen andern Vorschlag hiezu gethan.

Die alten Systeme, welche die Fixsterne sehr nahe annahmen, und in eine hohle Sphäre einschlossen, sahen das Vorrücken der Nachtgleichen als eine wirkliche Bewegung dieser Sphäre an. Copernikus hob die alte Vorstellung gänzlich auf, und betrachtete die Erscheinung als eine Bewegung der Aequinoctialpunkte (Anticipatio aequinoctiorum). Man war lange Zeit vergeblich bemüht, ihre Ursache durch mancherley Hypothesen zu erklären. So viel sahe man ein, daß die Erscheinung eine ähnliche Ursache mit dem Rückgange der Knotenlinien haben müsse. Nemlich so, wie man die Durchschnitte der Planetenbahnen mit der Ebene der Ekliptik Knoten dieser Bahnen nennt, s. Knoten, so kan man sich die Durchschnittspunkte des Aequators mit der Ekliptik, oder die Punkte der Nachtgleichen, als Knoten des Aequators vorstellen. Da nun der Aequator nichts anders ist, als die Ebene, in welcher die tägliche Umdrehung der Erde geschieht, so sind die Nachtgleichen in der That die Knoten der täglichen Erdumdrehung.

Newton (Princip. L. III. Prop. 39.) löste endlich durch seine vortrefliche Mechanik der himmlischen Bewegungen auch dieses Räthsel auf. Er zeigte, daß die Gravitation der nicht vollkommen sphärischen, sondern um die Pole abgeplatteten, Erde gegen Sonne und Mond, die Knotenlinie der täglichen Umdrehung beständig zurücktreiben müsse. Gesetzt, man stelle sich die um den Aequator der Erde angehäuften Theile als einen Ring vor, der sich aller 24 Stunden um die völlig kugelrunde Erde drehe, so wird zwar dieser Ring eine bey weitem größere Schwere gegen die Erdkugel, als gegen Mond und Sonne, haben. Beyde Himmelskörper werden aber doch gegen den Ring eine etwas stärkere Anziehung, als gegen die übrigen Theile


gedacht, wobey man die Stellung der Weltpole der Zeit gemaͤß veraͤndern koͤnnte. Caſſini (Hiſt. de l'acad. des ſc. 1708. p. 97.) hatte ein Modell hiezu verfertiget, auch Lowitz eines, welches letztere Herr Kaͤſtner beſitzt, und Herr von Segner (Aſtronomiſche Vorleſungen. Erſter Theil. Halle, 1775. 4. §. 357. S. 188.) hat noch einen andern Vorſchlag hiezu gethan.

Die alten Syſteme, welche die Fixſterne ſehr nahe annahmen, und in eine hohle Sphaͤre einſchloſſen, ſahen das Vorruͤcken der Nachtgleichen als eine wirkliche Bewegung dieſer Sphaͤre an. Copernikus hob die alte Vorſtellung gaͤnzlich auf, und betrachtete die Erſcheinung als eine Bewegung der Aequinoctialpunkte (Anticipatio aequinoctiorum). Man war lange Zeit vergeblich bemuͤht, ihre Urſache durch mancherley Hypotheſen zu erklaͤren. So viel ſahe man ein, daß die Erſcheinung eine aͤhnliche Urſache mit dem Ruͤckgange der Knotenlinien haben muͤſſe. Nemlich ſo, wie man die Durchſchnitte der Planetenbahnen mit der Ebene der Ekliptik Knoten dieſer Bahnen nennt, ſ. Knoten, ſo kan man ſich die Durchſchnittspunkte des Aequators mit der Ekliptik, oder die Punkte der Nachtgleichen, als Knoten des Aequators vorſtellen. Da nun der Aequator nichts anders iſt, als die Ebene, in welcher die taͤgliche Umdrehung der Erde geſchieht, ſo ſind die Nachtgleichen in der That die Knoten der taͤglichen Erdumdrehung.

Newton (Princip. L. III. Prop. 39.) loͤſte endlich durch ſeine vortrefliche Mechanik der himmliſchen Bewegungen auch dieſes Raͤthſel auf. Er zeigte, daß die Gravitation der nicht vollkommen ſphaͤriſchen, ſondern um die Pole abgeplatteten, Erde gegen Sonne und Mond, die Knotenlinie der taͤglichen Umdrehung beſtaͤndig zuruͤcktreiben muͤſſe. Geſetzt, man ſtelle ſich die um den Aequator der Erde angehaͤuften Theile als einen Ring vor, der ſich aller 24 Stunden um die voͤllig kugelrunde Erde drehe, ſo wird zwar dieſer Ring eine bey weitem groͤßere Schwere gegen die Erdkugel, als gegen Mond und Sonne, haben. Beyde Himmelskoͤrper werden aber doch gegen den Ring eine etwas ſtaͤrkere Anziehung, als gegen die uͤbrigen Theile

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[500/0510] gedacht, wobey man die Stellung der Weltpole der Zeit gemaͤß veraͤndern koͤnnte. Caſſini (Hiſt. de l'acad. des ſc. 1708. p. 97.) hatte ein Modell hiezu verfertiget, auch Lowitz eines, welches letztere Herr Kaͤſtner beſitzt, und Herr von Segner (Aſtronomiſche Vorleſungen. Erſter Theil. Halle, 1775. 4. §. 357. S. 188.) hat noch einen andern Vorſchlag hiezu gethan. Die alten Syſteme, welche die Fixſterne ſehr nahe annahmen, und in eine hohle Sphaͤre einſchloſſen, ſahen das Vorruͤcken der Nachtgleichen als eine wirkliche Bewegung dieſer Sphaͤre an. Copernikus hob die alte Vorſtellung gaͤnzlich auf, und betrachtete die Erſcheinung als eine Bewegung der Aequinoctialpunkte (Anticipatio aequinoctiorum). Man war lange Zeit vergeblich bemuͤht, ihre Urſache durch mancherley Hypotheſen zu erklaͤren. So viel ſahe man ein, daß die Erſcheinung eine aͤhnliche Urſache mit dem Ruͤckgange der Knotenlinien haben muͤſſe. Nemlich ſo, wie man die Durchſchnitte der Planetenbahnen mit der Ebene der Ekliptik Knoten dieſer Bahnen nennt, ſ. Knoten, ſo kan man ſich die Durchſchnittspunkte des Aequators mit der Ekliptik, oder die Punkte der Nachtgleichen, als Knoten des Aequators vorſtellen. Da nun der Aequator nichts anders iſt, als die Ebene, in welcher die taͤgliche Umdrehung der Erde geſchieht, ſo ſind die Nachtgleichen in der That die Knoten der taͤglichen Erdumdrehung. Newton (Princip. L. III. Prop. 39.) loͤſte endlich durch ſeine vortrefliche Mechanik der himmliſchen Bewegungen auch dieſes Raͤthſel auf. Er zeigte, daß die Gravitation der nicht vollkommen ſphaͤriſchen, ſondern um die Pole abgeplatteten, Erde gegen Sonne und Mond, die Knotenlinie der taͤglichen Umdrehung beſtaͤndig zuruͤcktreiben muͤſſe. Geſetzt, man ſtelle ſich die um den Aequator der Erde angehaͤuften Theile als einen Ring vor, der ſich aller 24 Stunden um die voͤllig kugelrunde Erde drehe, ſo wird zwar dieſer Ring eine bey weitem groͤßere Schwere gegen die Erdkugel, als gegen Mond und Sonne, haben. Beyde Himmelskoͤrper werden aber doch gegen den Ring eine etwas ſtaͤrkere Anziehung, als gegen die uͤbrigen Theile

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/510>, abgerufen am 22.11.2024.