Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


stören, aber sich doch durch die ganze Masse verbreiten. Zuletzt tritt das Feuer in größerer Menge unter der Gestalt von flockichten Fäden (sub forma filorum, speciem lingularum exhibentium) ein, die aber ungleichförmig aufsteigen und aus kleinen Bläschen bestehen. Es durchdringt das Wasser, erhebt es und bildet dadurch auf der Obersläche hin und wieder Wellen oder kleine Säulen, bis endlich die ganze Masse in Bewegung gesetzt wird, und ihre Durchsichtigkeit großentheils verliert." Hier sind die äußern Erscheinungen des Siedens sehr richtig beschrieben, nur der Gedanke, daß das, was in Gestalt von Fäden aufsteigt, Feuer sey, ist hypothetisch. Musschenbroek erklärt sich darüber noch umständlicher. "Die Blasen," sagt er, "die am Boden entstehen, sind durchsichtig, und bestehen aus Feuer und der Art von Dampf, in welche die Wassertheilchen durch Berührung des Feuers verwandelt werden. Das Wasser kan nur eine gewisse Menge Feuer auflösen; daher verbreitet sich das überflüßige Feuer durch die ganze Masse, strebt durch alle Seiten, besonders aber durch die Oberfläche, auszugehen, und reißt aus dem Wasser eine Menge Theile in Gestalt des Dampfs mit sich fort. Dieser Dampf steigt in sehr ungleichförmiger Menge und Stärke auf, theils weil das Feuer ungleichförmig ausgeht, theils weil jedes Dampftheilchen von Elektricität umhüllt seyn muß." Man sieht in dieser Stelle alle die mechanischen Ursachen vereiniget, denen man damals das Aufsteigen der Dünste und Dämpfe zuschrieb, Stoß des Feuers, Verwandlung in hohle Bläschen, umdrehende Bewegung der Wassertheilchen, Elektricität (s. Ausdünstung, Th. I. S. 209). Statt dessen erklärt man jetzt die Verdampfung weit wahrscheinlicher aus einer chymischen Verbindung der tropfbaren Flüßigkeiten mit dem Feuer.

Das Sieden ist mit einem Geräusch begleitet, dessen Ton anfänglich höher und schwächer ist, beym völligen Kochen aber tiefer und stärker wird, übrigens sich nach der Größe, Gestalt, Materie und Dicke des Gefäßes richtet. Ohne Zweifel entsteht dieses Geräusch vom Zerplatzen der Blasen, die anfänglich kleiner sind und sich schneller folgen


ſtoͤren, aber ſich doch durch die ganze Maſſe verbreiten. Zuletzt tritt das Feuer in groͤßerer Menge unter der Geſtalt von flockichten Faͤden (ſub forma filorum, ſpeciem lingularum exhibentium) ein, die aber ungleichfoͤrmig aufſteigen und aus kleinen Blaͤschen beſtehen. Es durchdringt das Waſſer, erhebt es und bildet dadurch auf der Oberſlaͤche hin und wieder Wellen oder kleine Saͤulen, bis endlich die ganze Maſſe in Bewegung geſetzt wird, und ihre Durchſichtigkeit großentheils verliert.“ Hier ſind die aͤußern Erſcheinungen des Siedens ſehr richtig beſchrieben, nur der Gedanke, daß das, was in Geſtalt von Faͤden aufſteigt, Feuer ſey, iſt hypothetiſch. Muſſchenbroek erklaͤrt ſich daruͤber noch umſtaͤndlicher. ”Die Blaſen,“ ſagt er, ”die am Boden entſtehen, ſind durchſichtig, und beſtehen aus Feuer und der Art von Dampf, in welche die Waſſertheilchen durch Beruͤhrung des Feuers verwandelt werden. Das Waſſer kan nur eine gewiſſe Menge Feuer aufloͤſen; daher verbreitet ſich das uͤberfluͤßige Feuer durch die ganze Maſſe, ſtrebt durch alle Seiten, beſonders aber durch die Oberflaͤche, auszugehen, und reißt aus dem Waſſer eine Menge Theile in Geſtalt des Dampfs mit ſich fort. Dieſer Dampf ſteigt in ſehr ungleichfoͤrmiger Menge und Staͤrke auf, theils weil das Feuer ungleichfoͤrmig ausgeht, theils weil jedes Dampftheilchen von Elektricitaͤt umhuͤllt ſeyn muß.“ Man ſieht in dieſer Stelle alle die mechaniſchen Urſachen vereiniget, denen man damals das Aufſteigen der Duͤnſte und Daͤmpfe zuſchrieb, Stoß des Feuers, Verwandlung in hohle Blaͤschen, umdrehende Bewegung der Waſſertheilchen, Elektricitaͤt (ſ. Ausduͤnſtung, Th. I. S. 209). Statt deſſen erklaͤrt man jetzt die Verdampfung weit wahrſcheinlicher aus einer chymiſchen Verbindung der tropfbaren Fluͤßigkeiten mit dem Feuer.

Das Sieden iſt mit einem Geraͤuſch begleitet, deſſen Ton anfaͤnglich hoͤher und ſchwaͤcher iſt, beym voͤlligen Kochen aber tiefer und ſtaͤrker wird, uͤbrigens ſich nach der Groͤße, Geſtalt, Materie und Dicke des Gefaͤßes richtet. Ohne Zweifel entſteht dieſes Geraͤuſch vom Zerplatzen der Blaſen, die anfaͤnglich kleiner ſind und ſich ſchneller folgen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0055" xml:id="P.4.45" n="45"/><lb/>
&#x017F;to&#x0364;ren, aber &#x017F;ich doch durch die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e verbreiten. Zuletzt tritt das Feuer in gro&#x0364;ßerer Menge unter der Ge&#x017F;talt von flockichten Fa&#x0364;den (<hi rendition="#aq">&#x017F;ub forma filorum, &#x017F;peciem lingularum exhibentium</hi>) ein, die aber ungleichfo&#x0364;rmig auf&#x017F;teigen und aus kleinen Bla&#x0364;schen be&#x017F;tehen. Es durchdringt das Wa&#x017F;&#x017F;er, erhebt es und bildet dadurch auf der Ober&#x017F;la&#x0364;che hin und wieder Wellen oder kleine Sa&#x0364;ulen, bis endlich die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e in Bewegung ge&#x017F;etzt wird, und ihre Durch&#x017F;ichtigkeit großentheils verliert.&#x201C; Hier &#x017F;ind die a&#x0364;ußern Er&#x017F;cheinungen des Siedens &#x017F;ehr richtig be&#x017F;chrieben, nur der Gedanke, daß das, was in Ge&#x017F;talt von Fa&#x0364;den auf&#x017F;teigt, Feuer &#x017F;ey, i&#x017F;t hypotheti&#x017F;ch. Mu&#x017F;&#x017F;chenbroek erkla&#x0364;rt &#x017F;ich daru&#x0364;ber noch um&#x017F;ta&#x0364;ndlicher. &#x201D;Die Bla&#x017F;en,&#x201C; &#x017F;agt er, &#x201D;die am Boden ent&#x017F;tehen, &#x017F;ind durch&#x017F;ichtig, und be&#x017F;tehen aus Feuer und der Art von <hi rendition="#b">Dampf,</hi> in welche die Wa&#x017F;&#x017F;ertheilchen durch Beru&#x0364;hrung des Feuers verwandelt werden. Das Wa&#x017F;&#x017F;er kan nur eine gewi&#x017F;&#x017F;e Menge Feuer auflo&#x0364;&#x017F;en; daher verbreitet &#x017F;ich das u&#x0364;berflu&#x0364;ßige Feuer durch die ganze Ma&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;trebt durch alle Seiten, be&#x017F;onders aber durch die Oberfla&#x0364;che, auszugehen, und reißt aus dem Wa&#x017F;&#x017F;er eine Menge Theile in Ge&#x017F;talt des <hi rendition="#b">Dampfs</hi> mit &#x017F;ich fort. Die&#x017F;er Dampf &#x017F;teigt in &#x017F;ehr ungleichfo&#x0364;rmiger Menge und Sta&#x0364;rke auf, theils weil das Feuer ungleichfo&#x0364;rmig ausgeht, theils weil jedes Dampftheilchen von Elektricita&#x0364;t umhu&#x0364;llt &#x017F;eyn muß.&#x201C; Man &#x017F;ieht in die&#x017F;er Stelle alle die mechani&#x017F;chen Ur&#x017F;achen vereiniget, denen man damals das Auf&#x017F;teigen der Du&#x0364;n&#x017F;te und Da&#x0364;mpfe zu&#x017F;chrieb, Stoß des Feuers, Verwandlung in hohle Bla&#x0364;schen, umdrehende Bewegung der Wa&#x017F;&#x017F;ertheilchen, Elektricita&#x0364;t (<hi rendition="#b">&#x017F;. Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung,</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 209). Statt de&#x017F;&#x017F;en erkla&#x0364;rt man jetzt die Verdampfung weit wahr&#x017F;cheinlicher aus einer chymi&#x017F;chen Verbindung der tropfbaren Flu&#x0364;ßigkeiten mit dem Feuer.</p>
            <p>Das Sieden i&#x017F;t mit einem Gera&#x0364;u&#x017F;ch begleitet, de&#x017F;&#x017F;en Ton anfa&#x0364;nglich ho&#x0364;her und &#x017F;chwa&#x0364;cher i&#x017F;t, beym vo&#x0364;lligen Kochen aber tiefer und &#x017F;ta&#x0364;rker wird, u&#x0364;brigens &#x017F;ich nach der Gro&#x0364;ße, Ge&#x017F;talt, Materie und Dicke des Gefa&#x0364;ßes richtet. Ohne Zweifel ent&#x017F;teht die&#x017F;es Gera&#x0364;u&#x017F;ch vom Zerplatzen der Bla&#x017F;en, die anfa&#x0364;nglich kleiner &#x017F;ind und &#x017F;ich &#x017F;chneller folgen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0055] ſtoͤren, aber ſich doch durch die ganze Maſſe verbreiten. Zuletzt tritt das Feuer in groͤßerer Menge unter der Geſtalt von flockichten Faͤden (ſub forma filorum, ſpeciem lingularum exhibentium) ein, die aber ungleichfoͤrmig aufſteigen und aus kleinen Blaͤschen beſtehen. Es durchdringt das Waſſer, erhebt es und bildet dadurch auf der Oberſlaͤche hin und wieder Wellen oder kleine Saͤulen, bis endlich die ganze Maſſe in Bewegung geſetzt wird, und ihre Durchſichtigkeit großentheils verliert.“ Hier ſind die aͤußern Erſcheinungen des Siedens ſehr richtig beſchrieben, nur der Gedanke, daß das, was in Geſtalt von Faͤden aufſteigt, Feuer ſey, iſt hypothetiſch. Muſſchenbroek erklaͤrt ſich daruͤber noch umſtaͤndlicher. ”Die Blaſen,“ ſagt er, ”die am Boden entſtehen, ſind durchſichtig, und beſtehen aus Feuer und der Art von Dampf, in welche die Waſſertheilchen durch Beruͤhrung des Feuers verwandelt werden. Das Waſſer kan nur eine gewiſſe Menge Feuer aufloͤſen; daher verbreitet ſich das uͤberfluͤßige Feuer durch die ganze Maſſe, ſtrebt durch alle Seiten, beſonders aber durch die Oberflaͤche, auszugehen, und reißt aus dem Waſſer eine Menge Theile in Geſtalt des Dampfs mit ſich fort. Dieſer Dampf ſteigt in ſehr ungleichfoͤrmiger Menge und Staͤrke auf, theils weil das Feuer ungleichfoͤrmig ausgeht, theils weil jedes Dampftheilchen von Elektricitaͤt umhuͤllt ſeyn muß.“ Man ſieht in dieſer Stelle alle die mechaniſchen Urſachen vereiniget, denen man damals das Aufſteigen der Duͤnſte und Daͤmpfe zuſchrieb, Stoß des Feuers, Verwandlung in hohle Blaͤschen, umdrehende Bewegung der Waſſertheilchen, Elektricitaͤt (ſ. Ausduͤnſtung, Th. I. S. 209). Statt deſſen erklaͤrt man jetzt die Verdampfung weit wahrſcheinlicher aus einer chymiſchen Verbindung der tropfbaren Fluͤßigkeiten mit dem Feuer. Das Sieden iſt mit einem Geraͤuſch begleitet, deſſen Ton anfaͤnglich hoͤher und ſchwaͤcher iſt, beym voͤlligen Kochen aber tiefer und ſtaͤrker wird, uͤbrigens ſich nach der Groͤße, Geſtalt, Materie und Dicke des Gefaͤßes richtet. Ohne Zweifel entſteht dieſes Geraͤuſch vom Zerplatzen der Blaſen, die anfaͤnglich kleiner ſind und ſich ſchneller folgen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/55
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/55>, abgerufen am 17.05.2024.