Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Da die Siedhitze durch den Druck vergrößert wird, so müssen in einem Gefäße voll Wasser, wenn es vollkommen siedet, die untern Schichten heißer, als die obern, werden, weil sie das Gewicht der obern mit tragen, und also stärker, als diese, gedrückt werden. Würde die ganze Masse gleichförmig erhitzt, so müßten die obern Schichten auch eher zum völligen Kochen gelangen, als die untern, bey welchen der stärkere Druck die Verdampfung mehr hindert. Da man aber eine gleichförmige Erhitzung fast nie bewirken kan, so fangen diejenigen Theile zuerst an zu kochen, die dem Feuer am nächsten sind, und daher am schnellsten erhitzt werden, welches gewöhnlich die untern Theile sind. Aristoteles (Problemat. Sect. XXIII. §. 5.) bemerkt schon, daß man ein dünnes Gefäß mit kochendem Wasser vom Feuer wegnehmen und am Boden mit der Hand angreifen könne, ohne sich zu verbrennen. Die Beobachtung ist richtig, und wird in den Schriften der pariser Akademie (Hist. de l'acad. roy. 1703. p. 30.) wieder angeführt, mit dem Zusatze, daß das Gefäß groß und der Boden sehr dünn seyn müsse, auch daß die Hand nur so lang unbeschädigt bleibe, als das Kochen des Wassers noch anhält. Unmittelbar nach dem Aufhören des Kochens wird der Boden unerträglich heiß. Homberg erklärt dieses Phänomen sehr cartesianisch aus der Richtung der Feuertheile, die wie spitzige Pfeile durch Gefäß und Wasser blos von unten hinauf gehen, also die Hand nicht eher verletzen können, als bis das Kochen aufhört und die Wege verstopft werden, welches die Pfeile nöthigt, sich wieder nach allen Seiten, also auch herunter und gegen die Hand zu wenden. Eben das sagen auch Nollet, Musschenbroek, Brisson u. a. Wahrscheinlicher möchte folgende Erklärung seyn. Die einmal thätig gewordene Anziehung des Wassers gegen den
Da die Siedhitze durch den Druck vergroͤßert wird, ſo muͤſſen in einem Gefaͤße voll Waſſer, wenn es vollkommen ſiedet, die untern Schichten heißer, als die obern, werden, weil ſie das Gewicht der obern mit tragen, und alſo ſtaͤrker, als dieſe, gedruͤckt werden. Wuͤrde die ganze Maſſe gleichfoͤrmig erhitzt, ſo muͤßten die obern Schichten auch eher zum voͤlligen Kochen gelangen, als die untern, bey welchen der ſtaͤrkere Druck die Verdampfung mehr hindert. Da man aber eine gleichfoͤrmige Erhitzung faſt nie bewirken kan, ſo fangen diejenigen Theile zuerſt an zu kochen, die dem Feuer am naͤchſten ſind, und daher am ſchnellſten erhitzt werden, welches gewoͤhnlich die untern Theile ſind. Ariſtoteles (Problemat. Sect. XXIII. §. 5.) bemerkt ſchon, daß man ein duͤnnes Gefaͤß mit kochendem Waſſer vom Feuer wegnehmen und am Boden mit der Hand angreifen koͤnne, ohne ſich zu verbrennen. Die Beobachtung iſt richtig, und wird in den Schriften der pariſer Akademie (Hiſt. de l'acad. roy. 1703. p. 30.) wieder angefuͤhrt, mit dem Zuſatze, daß das Gefaͤß groß und der Boden ſehr duͤnn ſeyn muͤſſe, auch daß die Hand nur ſo lang unbeſchaͤdigt bleibe, als das Kochen des Waſſers noch anhaͤlt. Unmittelbar nach dem Aufhoͤren des Kochens wird der Boden unertraͤglich heiß. Homberg erklaͤrt dieſes Phaͤnomen ſehr carteſianiſch aus der Richtung der Feuertheile, die wie ſpitzige Pfeile durch Gefaͤß und Waſſer blos von unten hinauf gehen, alſo die Hand nicht eher verletzen koͤnnen, als bis das Kochen aufhoͤrt und die Wege verſtopft werden, welches die Pfeile noͤthigt, ſich wieder nach allen Seiten, alſo auch herunter und gegen die Hand zu wenden. Eben das ſagen auch Nollet, Muſſchenbroek, Briſſon u. a. Wahrſcheinlicher moͤchte folgende Erklaͤrung ſeyn. Die einmal thaͤtig gewordene Anziehung des Waſſers gegen den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0066" xml:id="P.4.56" n="56"/><lb/> ſchenbroek</hi> erzaͤhlt (<hi rendition="#aq">Introduct. To. II. §. 1473.</hi>), er habe in einem ſtarken papiniſchen Digeſtor das Waſſer dergeſtalt erhitzt, daß Zinn und Bley an kupfernen Draͤthen befeſtiget darinn geſchmolzen ſey, wozu eine Hitze von 400 bis 540 fahrenheitiſchen Graden erfordert wird.</p> <p>Da die Siedhitze durch den Druck vergroͤßert wird, ſo muͤſſen in einem Gefaͤße voll Waſſer, wenn es vollkommen ſiedet, die untern Schichten heißer, als die obern, werden, weil ſie das Gewicht der obern mit tragen, und alſo ſtaͤrker, als dieſe, gedruͤckt werden. Wuͤrde die ganze Maſſe gleichfoͤrmig erhitzt, ſo muͤßten die obern Schichten auch eher zum voͤlligen Kochen gelangen, als die untern, bey welchen der ſtaͤrkere Druck die Verdampfung mehr hindert. Da man aber eine gleichfoͤrmige Erhitzung faſt nie bewirken kan, ſo fangen diejenigen Theile zuerſt an zu kochen, die dem Feuer am naͤchſten ſind, und daher am ſchnellſten erhitzt werden, welches gewoͤhnlich die untern Theile ſind.</p> <p><hi rendition="#b">Ariſtoteles</hi> (<hi rendition="#aq">Problemat. Sect. XXIII. §. 5.</hi>) bemerkt ſchon, daß man ein duͤnnes Gefaͤß mit kochendem Waſſer vom Feuer wegnehmen und am Boden mit der Hand angreifen koͤnne, ohne ſich zu verbrennen. Die Beobachtung iſt richtig, und wird in den Schriften der pariſer Akademie (<hi rendition="#aq">Hiſt. de l'acad. roy. 1703. p. 30.</hi>) wieder angefuͤhrt, mit dem Zuſatze, daß das Gefaͤß groß und der Boden ſehr duͤnn ſeyn muͤſſe, auch daß die Hand nur ſo lang unbeſchaͤdigt bleibe, als das Kochen des Waſſers noch anhaͤlt. Unmittelbar nach dem Aufhoͤren des Kochens wird der Boden unertraͤglich heiß. <hi rendition="#b">Homberg</hi> erklaͤrt dieſes Phaͤnomen ſehr carteſianiſch aus der Richtung der Feuertheile, die wie ſpitzige Pfeile durch Gefaͤß und Waſſer blos von unten hinauf gehen, alſo die Hand nicht eher verletzen koͤnnen, als bis das Kochen aufhoͤrt und die Wege verſtopft werden, welches die Pfeile noͤthigt, ſich wieder nach allen Seiten, alſo auch herunter und gegen die Hand zu wenden. Eben das ſagen auch <hi rendition="#b">Nollet, Muſſchenbroek, Briſſon</hi> u. a. Wahrſcheinlicher moͤchte folgende Erklaͤrung ſeyn. Die einmal thaͤtig gewordene Anziehung des Waſſers gegen den<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0066]
ſchenbroek erzaͤhlt (Introduct. To. II. §. 1473.), er habe in einem ſtarken papiniſchen Digeſtor das Waſſer dergeſtalt erhitzt, daß Zinn und Bley an kupfernen Draͤthen befeſtiget darinn geſchmolzen ſey, wozu eine Hitze von 400 bis 540 fahrenheitiſchen Graden erfordert wird.
Da die Siedhitze durch den Druck vergroͤßert wird, ſo muͤſſen in einem Gefaͤße voll Waſſer, wenn es vollkommen ſiedet, die untern Schichten heißer, als die obern, werden, weil ſie das Gewicht der obern mit tragen, und alſo ſtaͤrker, als dieſe, gedruͤckt werden. Wuͤrde die ganze Maſſe gleichfoͤrmig erhitzt, ſo muͤßten die obern Schichten auch eher zum voͤlligen Kochen gelangen, als die untern, bey welchen der ſtaͤrkere Druck die Verdampfung mehr hindert. Da man aber eine gleichfoͤrmige Erhitzung faſt nie bewirken kan, ſo fangen diejenigen Theile zuerſt an zu kochen, die dem Feuer am naͤchſten ſind, und daher am ſchnellſten erhitzt werden, welches gewoͤhnlich die untern Theile ſind.
Ariſtoteles (Problemat. Sect. XXIII. §. 5.) bemerkt ſchon, daß man ein duͤnnes Gefaͤß mit kochendem Waſſer vom Feuer wegnehmen und am Boden mit der Hand angreifen koͤnne, ohne ſich zu verbrennen. Die Beobachtung iſt richtig, und wird in den Schriften der pariſer Akademie (Hiſt. de l'acad. roy. 1703. p. 30.) wieder angefuͤhrt, mit dem Zuſatze, daß das Gefaͤß groß und der Boden ſehr duͤnn ſeyn muͤſſe, auch daß die Hand nur ſo lang unbeſchaͤdigt bleibe, als das Kochen des Waſſers noch anhaͤlt. Unmittelbar nach dem Aufhoͤren des Kochens wird der Boden unertraͤglich heiß. Homberg erklaͤrt dieſes Phaͤnomen ſehr carteſianiſch aus der Richtung der Feuertheile, die wie ſpitzige Pfeile durch Gefaͤß und Waſſer blos von unten hinauf gehen, alſo die Hand nicht eher verletzen koͤnnen, als bis das Kochen aufhoͤrt und die Wege verſtopft werden, welches die Pfeile noͤthigt, ſich wieder nach allen Seiten, alſo auch herunter und gegen die Hand zu wenden. Eben das ſagen auch Nollet, Muſſchenbroek, Briſſon u. a. Wahrſcheinlicher moͤchte folgende Erklaͤrung ſeyn. Die einmal thaͤtig gewordene Anziehung des Waſſers gegen den
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