Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Hiebey fielen ihm die Schwächen des alten Systems lebhaft in die Augen. Die Verwickelung der ptolemäischen Hypothesen, der gänzliche Mangel an Symmetrie und Ordnung, und das Ungeheure der Vorstellung, daß sich eine solche Maschine so schnell um die Axe drehe, als zur täglichen Bewegung erfordert wird; alles dies empörte sich gegen den Gedanken, daß diese Anordnung das wahre Werk der so einfachen Natur darstellen könne. Er beschloß daher, aus den Schriften der Alten alle Meinungen vom Weltbau zu sammeln und zu vergleichen. Hiebey fand er im Plutarch die Behauptungen der Pythagoräer, besonders des Philolaus. Die Idee, daß die tägliche Bewegung blos scheinbar sey, und durch die Umdrehung der Erde um ihre Axe bewirkt werde, fesselte ihn durch ihre Simplicität so unwiderstehlich, daß er sich ihr sogleich ergab, ob er gleich Anfangs noch zu furchtsam war, auch den jährlichen Lauf der Sonne für scheinbar zu erklären. Als er aber in der Folge beym Martianus Capella fand, man habe schon im Alterthum Venus und Merkur um die Sonne gehen lassen, so schien ihm dies gleichsam ein Stral eines ganz neuen Lichts; denn die Folgen dieser Voraussetzung treffen mit den Erscheinungen so auffallend zusammen, daß jeder von Vourtheil freye Verstand das Wahrscheinliche dabey bemerken muß. Copernikus erstreckte dies bald weiter auf Mars, Jupiter und Saturn, und ward mit unbeschreiblichem Vergnügen gewahr, daß, wenn diese Planeten um die Sonne giengen, sich ihre Stillstände, Rückgänge, verschiedenen scheinbaren Größen rc. von selbst, und ohne alle Epicykel, erklärten. Da nun so schon die meisten kleinern Körper um den größten und glänzendsten bewegt wurden,
Hiebey fielen ihm die Schwaͤchen des alten Syſtems lebhaft in die Augen. Die Verwickelung der ptolemaͤiſchen Hypotheſen, der gaͤnzliche Mangel an Symmetrie und Ordnung, und das Ungeheure der Vorſtellung, daß ſich eine ſolche Maſchine ſo ſchnell um die Axe drehe, als zur taͤglichen Bewegung erfordert wird; alles dies empoͤrte ſich gegen den Gedanken, daß dieſe Anordnung das wahre Werk der ſo einfachen Natur darſtellen koͤnne. Er beſchloß daher, aus den Schriften der Alten alle Meinungen vom Weltbau zu ſammeln und zu vergleichen. Hiebey fand er im Plutarch die Behauptungen der Pythagoraͤer, beſonders des Philolaus. Die Idee, daß die taͤgliche Bewegung blos ſcheinbar ſey, und durch die Umdrehung der Erde um ihre Axe bewirkt werde, feſſelte ihn durch ihre Simplicitaͤt ſo unwiderſtehlich, daß er ſich ihr ſogleich ergab, ob er gleich Anfangs noch zu furchtſam war, auch den jaͤhrlichen Lauf der Sonne fuͤr ſcheinbar zu erklaͤren. Als er aber in der Folge beym Martianus Capella fand, man habe ſchon im Alterthum Venus und Merkur um die Sonne gehen laſſen, ſo ſchien ihm dies gleichſam ein Stral eines ganz neuen Lichts; denn die Folgen dieſer Vorausſetzung treffen mit den Erſcheinungen ſo auffallend zuſammen, daß jeder von Vourtheil freye Verſtand das Wahrſcheinliche dabey bemerken muß. Copernikus erſtreckte dies bald weiter auf Mars, Jupiter und Saturn, und ward mit unbeſchreiblichem Vergnuͤgen gewahr, daß, wenn dieſe Planeten um die Sonne giengen, ſich ihre Stillſtaͤnde, Ruͤckgaͤnge, verſchiedenen ſcheinbaren Groͤßen rc. von ſelbſt, und ohne alle Epicykel, erklaͤrten. Da nun ſo ſchon die meiſten kleinern Koͤrper um den groͤßten und glaͤnzendſten bewegt wurden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0720" xml:id="P.4.710" n="710"/><lb/> trieb ihn an, ſich eben dieſem Studium zu widmen, das er in Krakau, vorzuͤglich aber in Bologna unter dem <hi rendition="#b">Dominikus Maria</hi> von Ferrara erlernte. Er hatte einige Zeit in Rom als Profeſſor der Mathematik gelehrt, als ihm ſeiner Mutter Bruder, damaliger Biſchof von Wermeland, ein Canonicat im Domſtifte Frauenburg verſchafte, wodurch er hinreichende Muße erhielt, ſich der Sternkunde ganz zu widmen.</p> <p>Hiebey fielen ihm die Schwaͤchen des alten Syſtems lebhaft in die Augen. Die Verwickelung der ptolemaͤiſchen Hypotheſen, der gaͤnzliche Mangel an Symmetrie und Ordnung, und das Ungeheure der Vorſtellung, daß ſich eine ſolche Maſchine ſo ſchnell um die Axe drehe, als zur taͤglichen Bewegung erfordert wird; alles dies empoͤrte ſich gegen den Gedanken, daß dieſe Anordnung das wahre Werk der ſo einfachen Natur darſtellen koͤnne. Er beſchloß daher, aus den Schriften der Alten alle Meinungen vom Weltbau zu ſammeln und zu vergleichen. Hiebey fand er im Plutarch die Behauptungen der Pythagoraͤer, beſonders des <hi rendition="#b">Philolaus.</hi> Die Idee, daß die taͤgliche Bewegung blos ſcheinbar ſey, und durch die Umdrehung der Erde um ihre Axe bewirkt werde, feſſelte ihn durch ihre Simplicitaͤt ſo unwiderſtehlich, daß er ſich ihr ſogleich ergab, ob er gleich Anfangs noch zu furchtſam war, auch den jaͤhrlichen Lauf der Sonne fuͤr ſcheinbar zu erklaͤren. Als er aber in der Folge beym Martianus Capella fand, man habe ſchon im Alterthum Venus und Merkur um die Sonne gehen laſſen, ſo ſchien ihm dies gleichſam ein Stral eines ganz neuen Lichts; denn die Folgen dieſer Vorausſetzung treffen mit den Erſcheinungen ſo auffallend zuſammen, daß jeder von Vourtheil freye Verſtand das Wahrſcheinliche dabey bemerken muß. Copernikus erſtreckte dies bald weiter auf Mars, Jupiter und Saturn, und ward mit unbeſchreiblichem Vergnuͤgen gewahr, daß, wenn dieſe Planeten um die Sonne giengen, ſich ihre Stillſtaͤnde, Ruͤckgaͤnge, verſchiedenen ſcheinbaren Groͤßen rc. von ſelbſt, und ohne alle Epicykel, erklaͤrten. Da nun ſo ſchon die meiſten kleinern Koͤrper um den groͤßten und glaͤnzendſten bewegt wurden,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [710/0720]
trieb ihn an, ſich eben dieſem Studium zu widmen, das er in Krakau, vorzuͤglich aber in Bologna unter dem Dominikus Maria von Ferrara erlernte. Er hatte einige Zeit in Rom als Profeſſor der Mathematik gelehrt, als ihm ſeiner Mutter Bruder, damaliger Biſchof von Wermeland, ein Canonicat im Domſtifte Frauenburg verſchafte, wodurch er hinreichende Muße erhielt, ſich der Sternkunde ganz zu widmen.
Hiebey fielen ihm die Schwaͤchen des alten Syſtems lebhaft in die Augen. Die Verwickelung der ptolemaͤiſchen Hypotheſen, der gaͤnzliche Mangel an Symmetrie und Ordnung, und das Ungeheure der Vorſtellung, daß ſich eine ſolche Maſchine ſo ſchnell um die Axe drehe, als zur taͤglichen Bewegung erfordert wird; alles dies empoͤrte ſich gegen den Gedanken, daß dieſe Anordnung das wahre Werk der ſo einfachen Natur darſtellen koͤnne. Er beſchloß daher, aus den Schriften der Alten alle Meinungen vom Weltbau zu ſammeln und zu vergleichen. Hiebey fand er im Plutarch die Behauptungen der Pythagoraͤer, beſonders des Philolaus. Die Idee, daß die taͤgliche Bewegung blos ſcheinbar ſey, und durch die Umdrehung der Erde um ihre Axe bewirkt werde, feſſelte ihn durch ihre Simplicitaͤt ſo unwiderſtehlich, daß er ſich ihr ſogleich ergab, ob er gleich Anfangs noch zu furchtſam war, auch den jaͤhrlichen Lauf der Sonne fuͤr ſcheinbar zu erklaͤren. Als er aber in der Folge beym Martianus Capella fand, man habe ſchon im Alterthum Venus und Merkur um die Sonne gehen laſſen, ſo ſchien ihm dies gleichſam ein Stral eines ganz neuen Lichts; denn die Folgen dieſer Vorausſetzung treffen mit den Erſcheinungen ſo auffallend zuſammen, daß jeder von Vourtheil freye Verſtand das Wahrſcheinliche dabey bemerken muß. Copernikus erſtreckte dies bald weiter auf Mars, Jupiter und Saturn, und ward mit unbeſchreiblichem Vergnuͤgen gewahr, daß, wenn dieſe Planeten um die Sonne giengen, ſich ihre Stillſtaͤnde, Ruͤckgaͤnge, verſchiedenen ſcheinbaren Groͤßen rc. von ſelbſt, und ohne alle Epicykel, erklaͤrten. Da nun ſo ſchon die meiſten kleinern Koͤrper um den groͤßten und glaͤnzendſten bewegt wurden,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |