Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Sideraque alta trahit celerique volumine torquet.

Nitor in adversum, nec me (qui caetera) vincit

Impetus, et rapido contrarius evehor orbi. wiewohl er sehr fehlerhaft die tägliche Bewegung so vorstellt, als ob sie im Zodiakus geschähe. Indem die Sonne von I nach C zu fortrückt, befindet sie sich am Ende jeder täglichen Umwälzung nicht mehr da, wo sie am Anfange derselben war; sie tritt also bey der folgenden Umdrehung nicht wieder in den vorigen Kreis ein, sondern scheint in Spiralen oder Schraubengängen um den Himmel zu laufen, in welchen sie sich nach und nach von IK bis nach FG, und von FG wieder herab bis nach IK, windet.

Die alten Astronomen, welche die Unbeweglichkeit der Erde behaupteten, mußten diese beyden Bewegungen zugleich für wirklich annehmen, und die Sonne in der That in solchen Spiralgängen um die Erde laufen lassen; das copernikanische System aber nimmt die Sonne für ruhend an, erklärt beyde Bewegungen nur für scheinbar, und läßt die tägliche aus der Umwälzung der Erde um ihre Axe, die jährliche aber aus ihrem Umlaufe um die Sonne entspringen, s. Erdkugel (Th. II. S. 43. u. f.), welche Erklärung weit einfacher, wahrscheinlicher und den Gesetzen der Mechanik so angemessen ist, daß uns h. z. t. über die Richtigkeit derselben kein Zweifel mehr übrig bleibt, s. Weltsystem.

Daß die Sonne von uns viel weiter, als der Mond, abstehe, lehren schon die Sonnenfinsternisse. Wie groß aber ihre Entfernung in der That sey, muß durch Abmessungen ihrer Parallaxe gefunden werden, s. Parallaxe. Da nun die Sonnenparallaxe sehr klein ist, so gehören diese Abmessungen unter die feinsten der Astronomie, und man hat nur erst seit 30 Jahren hierüber zu mehrerer Zuverläßigkeit gelangen können.

Wie schwankend die Begriffe der Alten von der Entfernung der Sonne waren, findet man beym Plinius (H. N. II. 21. 23.). Pythagoras soll von der Erde bis zum Monde 126000 Stadien, von diesem aber bis zur Sonne eine doppelt so große Weite angenommen haben. Eben so willkührlich sind die Angaben des Posidonius und des


Sideraque alta trahit celerique volumine torquet.

Nitor in adverſum, nec me (qui caetera) vincit

Impetus, et rapido contrarius evehor orbi. wiewohl er ſehr fehlerhaft die taͤgliche Bewegung ſo vorſtellt, als ob ſie im Zodiakus geſchaͤhe. Indem die Sonne von I nach C zu fortruͤckt, befindet ſie ſich am Ende jeder taͤglichen Umwaͤlzung nicht mehr da, wo ſie am Anfange derſelben war; ſie tritt alſo bey der folgenden Umdrehung nicht wieder in den vorigen Kreis ein, ſondern ſcheint in Spiralen oder Schraubengaͤngen um den Himmel zu laufen, in welchen ſie ſich nach und nach von IK bis nach FG, und von FG wieder herab bis nach IK, windet.

Die alten Aſtronomen, welche die Unbeweglichkeit der Erde behaupteten, mußten dieſe beyden Bewegungen zugleich fuͤr wirklich annehmen, und die Sonne in der That in ſolchen Spiralgaͤngen um die Erde laufen laſſen; das copernikaniſche Syſtem aber nimmt die Sonne fuͤr ruhend an, erklaͤrt beyde Bewegungen nur fuͤr ſcheinbar, und laͤßt die taͤgliche aus der Umwaͤlzung der Erde um ihre Axe, die jaͤhrliche aber aus ihrem Umlaufe um die Sonne entſpringen, ſ. Erdkugel (Th. II. S. 43. u. f.), welche Erklaͤrung weit einfacher, wahrſcheinlicher und den Geſetzen der Mechanik ſo angemeſſen iſt, daß uns h. z. t. uͤber die Richtigkeit derſelben kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt, ſ. Weltſyſtem.

Daß die Sonne von uns viel weiter, als der Mond, abſtehe, lehren ſchon die Sonnenfinſterniſſe. Wie groß aber ihre Entfernung in der That ſey, muß durch Abmeſſungen ihrer Parallaxe gefunden werden, ſ. Parallaxe. Da nun die Sonnenparallaxe ſehr klein iſt, ſo gehoͤren dieſe Abmeſſungen unter die feinſten der Aſtronomie, und man hat nur erſt ſeit 30 Jahren hieruͤber zu mehrerer Zuverlaͤßigkeit gelangen koͤnnen.

Wie ſchwankend die Begriffe der Alten von der Entfernung der Sonne waren, findet man beym Plinius (H. N. II. 21. 23.). Pythagoras ſoll von der Erde bis zum Monde 126000 Stadien, von dieſem aber bis zur Sonne eine doppelt ſo große Weite angenommen haben. Eben ſo willkuͤhrlich ſind die Angaben des Poſidonius und des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0076" xml:id="P.4.66" n="66"/><lb/>
            </p>
            <p> <hi rendition="#aq">Sideraque alta trahit celerique volumine torquet.</hi> </p>
            <p> <hi rendition="#aq">Nitor in adver&#x017F;um, nec me (qui caetera) vincit</hi> </p>
            <p><hi rendition="#aq">Impetus, et rapido contrarius evehor orbi.</hi> wiewohl er &#x017F;ehr fehlerhaft die ta&#x0364;gliche Bewegung &#x017F;o vor&#x017F;tellt, als ob &#x017F;ie im Zodiakus ge&#x017F;cha&#x0364;he. Indem die Sonne von <hi rendition="#aq">I</hi> nach <hi rendition="#aq">C</hi> zu fortru&#x0364;ckt, befindet &#x017F;ie &#x017F;ich am Ende jeder ta&#x0364;glichen Umwa&#x0364;lzung nicht mehr da, wo &#x017F;ie am Anfange der&#x017F;elben war; &#x017F;ie tritt al&#x017F;o bey der folgenden Umdrehung nicht wieder in den vorigen Kreis ein, &#x017F;ondern &#x017F;cheint in <hi rendition="#b">Spiralen</hi> oder <hi rendition="#b">Schraubenga&#x0364;ngen</hi> um den Himmel zu laufen, in welchen &#x017F;ie &#x017F;ich nach und nach von <hi rendition="#aq">IK</hi> bis nach <hi rendition="#aq">FG,</hi> und von <hi rendition="#aq">FG</hi> wieder herab bis nach <hi rendition="#aq">IK,</hi> windet.</p>
            <p>Die alten A&#x017F;tronomen, welche die Unbeweglichkeit der Erde behaupteten, mußten die&#x017F;e beyden Bewegungen zugleich fu&#x0364;r <hi rendition="#b">wirklich</hi> annehmen, und die Sonne in der That in &#x017F;olchen Spiralga&#x0364;ngen um die Erde laufen la&#x017F;&#x017F;en; das copernikani&#x017F;che Sy&#x017F;tem aber nimmt die Sonne fu&#x0364;r ruhend an, erkla&#x0364;rt beyde Bewegungen nur fu&#x0364;r &#x017F;cheinbar, und la&#x0364;ßt die ta&#x0364;gliche aus der Umwa&#x0364;lzung der Erde um ihre Axe, die ja&#x0364;hrliche aber aus ihrem Umlaufe um die Sonne ent&#x017F;pringen, <hi rendition="#b">&#x017F;. Erdkugel</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 43. u. f.), welche Erkla&#x0364;rung weit einfacher, wahr&#x017F;cheinlicher und den Ge&#x017F;etzen der Mechanik &#x017F;o angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, daß uns h. z. t. u&#x0364;ber die Richtigkeit der&#x017F;elben kein Zweifel mehr u&#x0364;brig bleibt, <hi rendition="#b">&#x017F;. Welt&#x017F;y&#x017F;tem.</hi></p>
            <p>Daß die Sonne von uns viel weiter, als der Mond, ab&#x017F;tehe, lehren &#x017F;chon die Sonnenfin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;e. Wie groß aber ihre Entfernung in der That &#x017F;ey, muß durch Abme&#x017F;&#x017F;ungen ihrer Parallaxe gefunden werden, <hi rendition="#b">&#x017F;. Parallaxe.</hi> Da nun die Sonnenparallaxe &#x017F;ehr klein i&#x017F;t, &#x017F;o geho&#x0364;ren die&#x017F;e Abme&#x017F;&#x017F;ungen unter die fein&#x017F;ten der A&#x017F;tronomie, und man hat nur er&#x017F;t &#x017F;eit 30 Jahren hieru&#x0364;ber zu mehrerer Zuverla&#x0364;ßigkeit gelangen ko&#x0364;nnen.</p>
            <p>Wie &#x017F;chwankend die Begriffe der Alten von der Entfernung der Sonne waren, findet man beym <hi rendition="#b">Plinius</hi> (<hi rendition="#aq">H. N. II. 21. 23.</hi>). <hi rendition="#b">Pythagoras</hi> &#x017F;oll von der Erde bis zum Monde 126000 Stadien, von die&#x017F;em aber bis zur Sonne eine doppelt &#x017F;o große Weite angenommen haben. Eben &#x017F;o willku&#x0364;hrlich &#x017F;ind die Angaben des <hi rendition="#b">Po&#x017F;idonius</hi> und des<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0076] Sideraque alta trahit celerique volumine torquet. Nitor in adverſum, nec me (qui caetera) vincit Impetus, et rapido contrarius evehor orbi. wiewohl er ſehr fehlerhaft die taͤgliche Bewegung ſo vorſtellt, als ob ſie im Zodiakus geſchaͤhe. Indem die Sonne von I nach C zu fortruͤckt, befindet ſie ſich am Ende jeder taͤglichen Umwaͤlzung nicht mehr da, wo ſie am Anfange derſelben war; ſie tritt alſo bey der folgenden Umdrehung nicht wieder in den vorigen Kreis ein, ſondern ſcheint in Spiralen oder Schraubengaͤngen um den Himmel zu laufen, in welchen ſie ſich nach und nach von IK bis nach FG, und von FG wieder herab bis nach IK, windet. Die alten Aſtronomen, welche die Unbeweglichkeit der Erde behaupteten, mußten dieſe beyden Bewegungen zugleich fuͤr wirklich annehmen, und die Sonne in der That in ſolchen Spiralgaͤngen um die Erde laufen laſſen; das copernikaniſche Syſtem aber nimmt die Sonne fuͤr ruhend an, erklaͤrt beyde Bewegungen nur fuͤr ſcheinbar, und laͤßt die taͤgliche aus der Umwaͤlzung der Erde um ihre Axe, die jaͤhrliche aber aus ihrem Umlaufe um die Sonne entſpringen, ſ. Erdkugel (Th. II. S. 43. u. f.), welche Erklaͤrung weit einfacher, wahrſcheinlicher und den Geſetzen der Mechanik ſo angemeſſen iſt, daß uns h. z. t. uͤber die Richtigkeit derſelben kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt, ſ. Weltſyſtem. Daß die Sonne von uns viel weiter, als der Mond, abſtehe, lehren ſchon die Sonnenfinſterniſſe. Wie groß aber ihre Entfernung in der That ſey, muß durch Abmeſſungen ihrer Parallaxe gefunden werden, ſ. Parallaxe. Da nun die Sonnenparallaxe ſehr klein iſt, ſo gehoͤren dieſe Abmeſſungen unter die feinſten der Aſtronomie, und man hat nur erſt ſeit 30 Jahren hieruͤber zu mehrerer Zuverlaͤßigkeit gelangen koͤnnen. Wie ſchwankend die Begriffe der Alten von der Entfernung der Sonne waren, findet man beym Plinius (H. N. II. 21. 23.). Pythagoras ſoll von der Erde bis zum Monde 126000 Stadien, von dieſem aber bis zur Sonne eine doppelt ſo große Weite angenommen haben. Eben ſo willkuͤhrlich ſind die Angaben des Poſidonius und des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/76
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/76>, abgerufen am 18.05.2024.