Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Man hat die Fragen aufgeworfen, ob die Bewegung der Luft beym Winde gerade fortgehend (motus progressivus), oder wellenförmig sey, oder ob sie sich, wie der Schall, von einem Orte nach allen Seiten zu ausbreite? Auf der Erdfläche, wo die Winde gegen allerley Hindernisse stoßen, können ohne Zweifel alle diese Arten der Bewegung statt finden; in der Höhe aber giebt der Gang der Wolken Anlaß, einen geradlinichten Fortgang des Windes zu vermuthen. Die meisten Winde sind horizontal, oder weichen doch nicht viel von der wagrechten Richtung ab. Bisweilen giebt es jedoch in der Luft Ströme, die nach allerley Winkeln abwärts oder aufwärts geneigt, oder wohl gar lothrecht sind. Eine erwärmte oder sonst leichter gewordene Luft rückt in die Höhe; dagegen sinkt die kälter oder schwerer gewordene nieder, bis das Gleichgewicht erhalten ist. Auf solche Art können Luftströme nach unzählbar verschiedenen Richtungen entstehen. An einigen Orten sind die Winde das ganze Jahr hindurch beständig; an andern verändern sie sich periodisch nach gewissen Gesetzen; an sehr vielen findet man lauter veränderliche Winde mit unaufhörlichem Wechsel und Ungleichheit. Auf dem Weltmeere wehet zwischen den Wendekreisen und noch einige Grade über dieselben hinaus ein beständiger Ostwind, der sich jedoch nordwärts der Linie mehr nach Nordost, und südwärts derselben nach Südost zieht, und sich bey dieser Abweichung nach dem Stande der Sonne richtet. Wenn nemlich die Sonne in den nördlichen Zeichen stehet, so zieht sich dieser Wind auf der Nordseite weniger nach Norden, dagegen aber auf der Südseite mehr nach Süden; und beym Stande der Sonne in den südlichen Zeichen geschieht gerade das Gegentheil. Die Beschaffenheit dieser Winde (Vents alizes, engl. Trade- winds)
Man hat die Fragen aufgeworfen, ob die Bewegung der Luft beym Winde gerade fortgehend (motus progreſſivus), oder wellenfoͤrmig ſey, oder ob ſie ſich, wie der Schall, von einem Orte nach allen Seiten zu ausbreite? Auf der Erdflaͤche, wo die Winde gegen allerley Hinderniſſe ſtoßen, koͤnnen ohne Zweifel alle dieſe Arten der Bewegung ſtatt finden; in der Hoͤhe aber giebt der Gang der Wolken Anlaß, einen geradlinichten Fortgang des Windes zu vermuthen. Die meiſten Winde ſind horizontal, oder weichen doch nicht viel von der wagrechten Richtung ab. Bisweilen giebt es jedoch in der Luft Stroͤme, die nach allerley Winkeln abwaͤrts oder aufwaͤrts geneigt, oder wohl gar lothrecht ſind. Eine erwaͤrmte oder ſonſt leichter gewordene Luft ruͤckt in die Hoͤhe; dagegen ſinkt die kaͤlter oder ſchwerer gewordene nieder, bis das Gleichgewicht erhalten iſt. Auf ſolche Art koͤnnen Luftſtroͤme nach unzaͤhlbar verſchiedenen Richtungen entſtehen. An einigen Orten ſind die Winde das ganze Jahr hindurch beſtaͤndig; an andern veraͤndern ſie ſich periodiſch nach gewiſſen Geſetzen; an ſehr vielen findet man lauter veraͤnderliche Winde mit unaufhoͤrlichem Wechſel und Ungleichheit. Auf dem Weltmeere wehet zwiſchen den Wendekreiſen und noch einige Grade uͤber dieſelben hinaus ein beſtaͤndiger Oſtwind, der ſich jedoch nordwaͤrts der Linie mehr nach Nordoſt, und ſuͤdwaͤrts derſelben nach Suͤdoſt zieht, und ſich bey dieſer Abweichung nach dem Stande der Sonne richtet. Wenn nemlich die Sonne in den noͤrdlichen Zeichen ſtehet, ſo zieht ſich dieſer Wind auf der Nordſeite weniger nach Norden, dagegen aber auf der Suͤdſeite mehr nach Suͤden; und beym Stande der Sonne in den ſuͤdlichen Zeichen geſchieht gerade das Gegentheil. Die Beſchaffenheit dieſer Winde (Vents alizés, engl. Trade- winds) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0767" xml:id="P.4.757" n="757"/><lb/> Winde unterſchieden, <hi rendition="#b">ſ. Weltgegenden,</hi> welches zum praktiſchen Gebrauch fuͤr Schiffahrt und Meteorologie mehr als hinreichend iſt, da ohnedem die Natur der Sache keine vollkommne Genauigkeit verſtattet.</p> <p>Man hat die Fragen aufgeworfen, ob die Bewegung der Luft beym Winde gerade fortgehend (<hi rendition="#aq">motus progreſſivus</hi>), oder wellenfoͤrmig ſey, oder ob ſie ſich, wie der Schall, von einem Orte nach allen Seiten zu ausbreite? Auf der Erdflaͤche, wo die Winde gegen allerley Hinderniſſe ſtoßen, koͤnnen ohne Zweifel alle dieſe Arten der Bewegung ſtatt finden; in der Hoͤhe aber giebt der Gang der Wolken Anlaß, einen geradlinichten Fortgang des Windes zu vermuthen.</p> <p>Die meiſten Winde ſind horizontal, oder weichen doch nicht viel von der wagrechten Richtung ab. Bisweilen giebt es jedoch in der Luft Stroͤme, die nach allerley Winkeln abwaͤrts oder aufwaͤrts geneigt, oder wohl gar lothrecht ſind. Eine erwaͤrmte oder ſonſt leichter gewordene Luft ruͤckt in die Hoͤhe; dagegen ſinkt die kaͤlter oder ſchwerer gewordene nieder, bis das Gleichgewicht erhalten iſt. Auf ſolche Art koͤnnen Luftſtroͤme nach unzaͤhlbar verſchiedenen Richtungen entſtehen.</p> <p>An einigen Orten ſind die Winde das ganze Jahr hindurch <hi rendition="#b">beſtaͤndig;</hi> an andern veraͤndern ſie ſich <hi rendition="#b">periodiſch</hi> nach gewiſſen Geſetzen; an ſehr vielen findet man lauter <hi rendition="#b">veraͤnderliche</hi> Winde mit unaufhoͤrlichem Wechſel und Ungleichheit.</p> <p>Auf dem Weltmeere wehet zwiſchen den Wendekreiſen und noch einige Grade uͤber dieſelben hinaus ein <hi rendition="#b">beſtaͤndiger Oſtwind,</hi> der ſich jedoch nordwaͤrts der Linie mehr nach Nordoſt, und ſuͤdwaͤrts derſelben nach Suͤdoſt zieht, und ſich bey dieſer Abweichung nach dem Stande der Sonne richtet. Wenn nemlich die Sonne in den noͤrdlichen Zeichen ſtehet, ſo zieht ſich dieſer Wind auf der Nordſeite weniger nach Norden, dagegen aber auf der Suͤdſeite mehr nach Suͤden; und beym Stande der Sonne in den ſuͤdlichen Zeichen geſchieht gerade das Gegentheil. Die Beſchaffenheit dieſer Winde (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Vents alizés,</hi></hi> engl. <hi rendition="#aq">Trade- winds</hi>)<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [757/0767]
Winde unterſchieden, ſ. Weltgegenden, welches zum praktiſchen Gebrauch fuͤr Schiffahrt und Meteorologie mehr als hinreichend iſt, da ohnedem die Natur der Sache keine vollkommne Genauigkeit verſtattet.
Man hat die Fragen aufgeworfen, ob die Bewegung der Luft beym Winde gerade fortgehend (motus progreſſivus), oder wellenfoͤrmig ſey, oder ob ſie ſich, wie der Schall, von einem Orte nach allen Seiten zu ausbreite? Auf der Erdflaͤche, wo die Winde gegen allerley Hinderniſſe ſtoßen, koͤnnen ohne Zweifel alle dieſe Arten der Bewegung ſtatt finden; in der Hoͤhe aber giebt der Gang der Wolken Anlaß, einen geradlinichten Fortgang des Windes zu vermuthen.
Die meiſten Winde ſind horizontal, oder weichen doch nicht viel von der wagrechten Richtung ab. Bisweilen giebt es jedoch in der Luft Stroͤme, die nach allerley Winkeln abwaͤrts oder aufwaͤrts geneigt, oder wohl gar lothrecht ſind. Eine erwaͤrmte oder ſonſt leichter gewordene Luft ruͤckt in die Hoͤhe; dagegen ſinkt die kaͤlter oder ſchwerer gewordene nieder, bis das Gleichgewicht erhalten iſt. Auf ſolche Art koͤnnen Luftſtroͤme nach unzaͤhlbar verſchiedenen Richtungen entſtehen.
An einigen Orten ſind die Winde das ganze Jahr hindurch beſtaͤndig; an andern veraͤndern ſie ſich periodiſch nach gewiſſen Geſetzen; an ſehr vielen findet man lauter veraͤnderliche Winde mit unaufhoͤrlichem Wechſel und Ungleichheit.
Auf dem Weltmeere wehet zwiſchen den Wendekreiſen und noch einige Grade uͤber dieſelben hinaus ein beſtaͤndiger Oſtwind, der ſich jedoch nordwaͤrts der Linie mehr nach Nordoſt, und ſuͤdwaͤrts derſelben nach Suͤdoſt zieht, und ſich bey dieſer Abweichung nach dem Stande der Sonne richtet. Wenn nemlich die Sonne in den noͤrdlichen Zeichen ſtehet, ſo zieht ſich dieſer Wind auf der Nordſeite weniger nach Norden, dagegen aber auf der Suͤdſeite mehr nach Suͤden; und beym Stande der Sonne in den ſuͤdlichen Zeichen geſchieht gerade das Gegentheil. Die Beſchaffenheit dieſer Winde (Vents alizés, engl. Trade- winds)
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