Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


In diesem dem Worte Wirkung untergelegten Sinne ist, nach der Entdeckung des Herrn von Maupertuis, bey den Gesetzen des Gleichgewichts, des Stoßes, ingleichen der Zurückwerfung und Brechung rc. die Größe der Wirkung allemal ein Kleinstes. Herr von M. sahe es daher als ein allgemeines Naturgesetz an, daß bey allen in der Natur geschehenden Veränderungen die dazu erforderte Größe der Wirkung die kleinste mögliche sey. Diesen Satz sucht er in den oben angeführten Schriften unter dem Namen des Gesetzes oder Satzes der kleinsten Wirkung (lex s. principium minimae actionis, Principe de la moindre action) allgemein zu bestätigen. Er versucht sogar in der Kosmologie, ihn als eine unmittelbare Folge aus den Eigenschaften des göttlichen Wesens vorauszusetzen, und nun als eine fruchtbare Grundregel der ganzen Mechanik und Optik zu betrachten, welche selbst der Erhaltung der lebendigen Kräfte vorzuziehen sey, und aus welcher sich die Gesetze des Stoßes, des Gleichgewichts, der Brechung, Zurückwerfung u. s. w. als nothwendige Folgen herleiten ließen. Wie dieses geschehen könne, ist bey den Worten Stoß (Th. IV. S. 237.), Brechung (Th. I. S. 421.), Zurückwerfung, umständlich gezeigt worden. Maupertuis selbst macht noch mehrere Anwendungen von diesem Satze, und Euler (Methodus inveniendi curvas maximi minimive proprietate gaudentes. Genevae, 1744. 4. Additam. II.) zeigt, daß man daraus die Krümmung federharter Bleche (curva clastica) bestimmen könne, und daß bey den Centralbewegungen das Product der Geschwindigkeit in das Element der Bahn gleichfalls ein Kleinstes sey, welches eine der schönsten Anwendungen dieses Gesetzes auf die Bewegung der Planeten und der geworfenen Körper, denen nichts widersteht, ausmacht. Den Satz selbst hat man sonst auch das Gesetz der Sparsamkeit (lex parsimoniae, loi de l'epargne) genannt, weil vermöge desselben in der Natur so viel als möglich, durch so wenig als möglich ausgerichtet wird.

Die Entdeckung eines so allgemeinen und schönen Satzes, der dem menschlichen Verstande gleichsam einen


In dieſem dem Worte Wirkung untergelegten Sinne iſt, nach der Entdeckung des Herrn von Maupertuis, bey den Geſetzen des Gleichgewichts, des Stoßes, ingleichen der Zuruͤckwerfung und Brechung rc. die Groͤße der Wirkung allemal ein Kleinſtes. Herr von M. ſahe es daher als ein allgemeines Naturgeſetz an, daß bey allen in der Natur geſchehenden Veraͤnderungen die dazu erforderte Groͤße der Wirkung die kleinſte moͤgliche ſey. Dieſen Satz ſucht er in den oben angefuͤhrten Schriften unter dem Namen des Geſetzes oder Satzes der kleinſten Wirkung (lex ſ. principium minimae actionis, Principe de la moindre action) allgemein zu beſtaͤtigen. Er verſucht ſogar in der Koſmologie, ihn als eine unmittelbare Folge aus den Eigenſchaften des goͤttlichen Weſens vorauszuſetzen, und nun als eine fruchtbare Grundregel der ganzen Mechanik und Optik zu betrachten, welche ſelbſt der Erhaltung der lebendigen Kraͤfte vorzuziehen ſey, und aus welcher ſich die Geſetze des Stoßes, des Gleichgewichts, der Brechung, Zuruͤckwerfung u. ſ. w. als nothwendige Folgen herleiten ließen. Wie dieſes geſchehen koͤnne, iſt bey den Worten Stoß (Th. IV. S. 237.), Brechung (Th. I. S. 421.), Zuruͤckwerfung, umſtaͤndlich gezeigt worden. Maupertuis ſelbſt macht noch mehrere Anwendungen von dieſem Satze, und Euler (Methodus inveniendi curvas maximi minimive proprietate gaudentes. Genevae, 1744. 4. Additam. II.) zeigt, daß man daraus die Kruͤmmung federharter Bleche (curva claſtica) beſtimmen koͤnne, und daß bey den Centralbewegungen das Product der Geſchwindigkeit in das Element der Bahn gleichfalls ein Kleinſtes ſey, welches eine der ſchoͤnſten Anwendungen dieſes Geſetzes auf die Bewegung der Planeten und der geworfenen Koͤrper, denen nichts widerſteht, ausmacht. Den Satz ſelbſt hat man ſonſt auch das Geſetz der Sparſamkeit (lex parſimoniae, loi de l'épargne) genannt, weil vermoͤge deſſelben in der Natur ſo viel als moͤglich, durch ſo wenig als moͤglich ausgerichtet wird.

Die Entdeckung eines ſo allgemeinen und ſchoͤnen Satzes, der dem menſchlichen Verſtande gleichſam einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0804" xml:id="P.4.794" n="794"/><lb/>
            </p>
            <p>In die&#x017F;em dem Worte Wirkung untergelegten Sinne i&#x017F;t, nach der Entdeckung des Herrn <hi rendition="#b">von Maupertuis,</hi> bey den Ge&#x017F;etzen des Gleichgewichts, des Stoßes, ingleichen der Zuru&#x0364;ckwerfung und Brechung rc. die Gro&#x0364;ße der Wirkung allemal ein <hi rendition="#b">Klein&#x017F;tes.</hi> Herr von M. &#x017F;ahe es daher als ein allgemeines Naturge&#x017F;etz an, <hi rendition="#b">daß bey allen in der Natur ge&#x017F;chehenden Vera&#x0364;nderungen die dazu erforderte Gro&#x0364;ße der Wirkung die klein&#x017F;te mo&#x0364;gliche &#x017F;ey.</hi> Die&#x017F;en Satz &#x017F;ucht er in den oben angefu&#x0364;hrten Schriften unter dem Namen des Ge&#x017F;etzes oder <hi rendition="#b">Satzes der klein&#x017F;ten Wirkung</hi> <hi rendition="#aq">(lex &#x017F;. principium minimae actionis, <hi rendition="#i">Principe de la moindre action)</hi></hi> allgemein zu be&#x017F;ta&#x0364;tigen. Er ver&#x017F;ucht &#x017F;ogar in der Ko&#x017F;mologie, ihn als eine unmittelbare Folge aus den Eigen&#x017F;chaften des go&#x0364;ttlichen We&#x017F;ens vorauszu&#x017F;etzen, und nun als eine fruchtbare Grundregel der ganzen Mechanik und Optik zu betrachten, welche &#x017F;elb&#x017F;t der Erhaltung der lebendigen Kra&#x0364;fte vorzuziehen &#x017F;ey, und aus welcher &#x017F;ich die Ge&#x017F;etze des Stoßes, des Gleichgewichts, der Brechung, Zuru&#x0364;ckwerfung u. &#x017F;. w. als nothwendige Folgen herleiten ließen. Wie die&#x017F;es ge&#x017F;chehen ko&#x0364;nne, i&#x017F;t bey den Worten <hi rendition="#b">Stoß</hi> (Th. <hi rendition="#aq">IV.</hi> S. 237.), <hi rendition="#b">Brechung</hi> (Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 421.), <hi rendition="#b">Zuru&#x0364;ckwerfung,</hi> um&#x017F;ta&#x0364;ndlich gezeigt worden. Maupertuis &#x017F;elb&#x017F;t macht noch mehrere Anwendungen von die&#x017F;em Satze, und <hi rendition="#b">Euler</hi> (<hi rendition="#aq">Methodus inveniendi curvas maximi minimive proprietate gaudentes. Genevae, 1744. 4. Additam. II.</hi>) zeigt, daß man daraus die Kru&#x0364;mmung federharter Bleche (<hi rendition="#aq">curva cla&#x017F;tica</hi>) be&#x017F;timmen ko&#x0364;nne, und daß bey den Centralbewegungen das Product der Ge&#x017F;chwindigkeit in das Element der Bahn gleichfalls ein Klein&#x017F;tes &#x017F;ey, welches eine der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Anwendungen die&#x017F;es Ge&#x017F;etzes auf die Bewegung der Planeten und der geworfenen Ko&#x0364;rper, denen nichts wider&#x017F;teht, ausmacht. Den Satz &#x017F;elb&#x017F;t hat man &#x017F;on&#x017F;t auch das <hi rendition="#b">Ge&#x017F;etz der Spar&#x017F;amkeit</hi> (<hi rendition="#aq">lex par&#x017F;imoniae, <hi rendition="#i">loi de l'épargne</hi></hi>) genannt, weil vermo&#x0364;ge de&#x017F;&#x017F;elben in der Natur &#x017F;o viel als mo&#x0364;glich, durch &#x017F;o wenig als mo&#x0364;glich ausgerichtet wird.</p>
            <p>Die Entdeckung eines &#x017F;o allgemeinen und &#x017F;cho&#x0364;nen Satzes, der dem men&#x017F;chlichen Ver&#x017F;tande gleich&#x017F;am einen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[794/0804] In dieſem dem Worte Wirkung untergelegten Sinne iſt, nach der Entdeckung des Herrn von Maupertuis, bey den Geſetzen des Gleichgewichts, des Stoßes, ingleichen der Zuruͤckwerfung und Brechung rc. die Groͤße der Wirkung allemal ein Kleinſtes. Herr von M. ſahe es daher als ein allgemeines Naturgeſetz an, daß bey allen in der Natur geſchehenden Veraͤnderungen die dazu erforderte Groͤße der Wirkung die kleinſte moͤgliche ſey. Dieſen Satz ſucht er in den oben angefuͤhrten Schriften unter dem Namen des Geſetzes oder Satzes der kleinſten Wirkung (lex ſ. principium minimae actionis, Principe de la moindre action) allgemein zu beſtaͤtigen. Er verſucht ſogar in der Koſmologie, ihn als eine unmittelbare Folge aus den Eigenſchaften des goͤttlichen Weſens vorauszuſetzen, und nun als eine fruchtbare Grundregel der ganzen Mechanik und Optik zu betrachten, welche ſelbſt der Erhaltung der lebendigen Kraͤfte vorzuziehen ſey, und aus welcher ſich die Geſetze des Stoßes, des Gleichgewichts, der Brechung, Zuruͤckwerfung u. ſ. w. als nothwendige Folgen herleiten ließen. Wie dieſes geſchehen koͤnne, iſt bey den Worten Stoß (Th. IV. S. 237.), Brechung (Th. I. S. 421.), Zuruͤckwerfung, umſtaͤndlich gezeigt worden. Maupertuis ſelbſt macht noch mehrere Anwendungen von dieſem Satze, und Euler (Methodus inveniendi curvas maximi minimive proprietate gaudentes. Genevae, 1744. 4. Additam. II.) zeigt, daß man daraus die Kruͤmmung federharter Bleche (curva claſtica) beſtimmen koͤnne, und daß bey den Centralbewegungen das Product der Geſchwindigkeit in das Element der Bahn gleichfalls ein Kleinſtes ſey, welches eine der ſchoͤnſten Anwendungen dieſes Geſetzes auf die Bewegung der Planeten und der geworfenen Koͤrper, denen nichts widerſteht, ausmacht. Den Satz ſelbſt hat man ſonſt auch das Geſetz der Sparſamkeit (lex parſimoniae, loi de l'épargne) genannt, weil vermoͤge deſſelben in der Natur ſo viel als moͤglich, durch ſo wenig als moͤglich ausgerichtet wird. Die Entdeckung eines ſo allgemeinen und ſchoͤnen Satzes, der dem menſchlichen Verſtande gleichſam einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/804
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798, S. 794. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch04_1798/804>, abgerufen am 22.11.2024.