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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

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das sie einschließt, nach allen Seiten hin, zu erkennen geben. Herr Hube wird zwar sagen, wenn die Luft sich auszubreiten strebt, so geschieht dieses darum, weil der Zustand, in dem man sie einschloß, schon ein Zustand der Zusammendrückung war, in welchem sie durch das Gewicht der darüber liegenden Luft comprimirt wurde; sie hat also vor dem Wasser nichts voraus, weil sich dieses durch den Druck des darüber liegenden Wassers auch nach allen Seiten auszubreiten strebet. Allein es bleibt hier noch ein sehr wesentlicher Unterschied. Man befreye das Wasser unter der Glocke der Luftpumpe von allem äußern Drucke, und setze die Verdünstung bey Seite, welche hieher nicht gehört, so wird auf der Oberfläche des Wassers, welche jetzt von allem Drucke frey ist, nicht die mindeste Spur eines Bestrebens nach Ausbreitung merklich seyn; und wäre ja ein solches Bestreben vorhanden, so wird es durch Gewicht und Adhäsion der Theile allein (nicht durch äußern Druck, der jetzt aufgehoben ist) gänzlich überwunden. In einen solchen Zustand lassen sich die elastischen Fluida schlechterdings nicht versetzen. Je mehr man sie von äußerm Drucke befreyt, desto weiter breiten sie sich nach allen Seiten aus, selbst aufwärts, also der Adhäsion ihrer Theile und selbst ihrem Gewichte, gerade entgegen. Und sollte es auch endlich eine Grenze geben, bey der die Ausbreitung der Dämpfe und Luftarten aufhörte, wo sie sich also in einem ähnlichen Zustande mit jenem Wasser im Vacuo befänden; so ist doch diese Grenze allen menschlichen Veranstaltungen unerreichbar, und schon dadurch wird in den Erscheinungen und Wirkungen so viel geändert, daß ohne Unterscheidung des Tropfbaren vom Elastisch-Flüßigen gar kein wohlgeordneter Vortrag der Wissenschaft möglich ist. Ich will damit Hrn. Hubens Vortrag, dessen Vorzüge ich schätze, gar nicht tadeln; man wird aber auch finden, daß er jene Unterscheidung den Worten nach verworfen, aber in der Sache selbst wirklich beybehalten hat.

Zu den expansibeln Flüßigkeiten gehören vorzüglich die Dämpfe und Luftarten, welche man beyde in Gefäße einschließen und ihre Eigenschaften durch unmittelbare Versuche prüfen kann. Außerdem aber werden hiezu noch verschiedene,


das ſie einſchließt, nach allen Seiten hin, zu erkennen geben. Herr Hube wird zwar ſagen, wenn die Luft ſich auszubreiten ſtrebt, ſo geſchieht dieſes darum, weil der Zuſtand, in dem man ſie einſchloß, ſchon ein Zuſtand der Zuſammendruͤckung war, in welchem ſie durch das Gewicht der daruͤber liegenden Luft comprimirt wurde; ſie hat alſo vor dem Waſſer nichts voraus, weil ſich dieſes durch den Druck des daruͤber liegenden Waſſers auch nach allen Seiten auszubreiten ſtrebet. Allein es bleibt hier noch ein ſehr weſentlicher Unterſchied. Man befreye das Waſſer unter der Glocke der Luftpumpe von allem aͤußern Drucke, und ſetze die Verduͤnſtung bey Seite, welche hieher nicht gehoͤrt, ſo wird auf der Oberflaͤche des Waſſers, welche jetzt von allem Drucke frey iſt, nicht die mindeſte Spur eines Beſtrebens nach Ausbreitung merklich ſeyn; und waͤre ja ein ſolches Beſtreben vorhanden, ſo wird es durch Gewicht und Adhaͤſion der Theile allein (nicht durch aͤußern Druck, der jetzt aufgehoben iſt) gaͤnzlich uͤberwunden. In einen ſolchen Zuſtand laſſen ſich die elaſtiſchen Fluida ſchlechterdings nicht verſetzen. Je mehr man ſie von aͤußerm Drucke befreyt, deſto weiter breiten ſie ſich nach allen Seiten aus, ſelbſt aufwaͤrts, alſo der Adhaͤſion ihrer Theile und ſelbſt ihrem Gewichte, gerade entgegen. Und ſollte es auch endlich eine Grenze geben, bey der die Ausbreitung der Daͤmpfe und Luftarten aufhoͤrte, wo ſie ſich alſo in einem aͤhnlichen Zuſtande mit jenem Waſſer im Vacuo befaͤnden; ſo iſt doch dieſe Grenze allen menſchlichen Veranſtaltungen unerreichbar, und ſchon dadurch wird in den Erſcheinungen und Wirkungen ſo viel geaͤndert, daß ohne Unterſcheidung des Tropfbaren vom Elaſtiſch-Fluͤßigen gar kein wohlgeordneter Vortrag der Wiſſenſchaft moͤglich iſt. Ich will damit Hrn. Hubens Vortrag, deſſen Vorzuͤge ich ſchaͤtze, gar nicht tadeln; man wird aber auch finden, daß er jene Unterſcheidung den Worten nach verworfen, aber in der Sache ſelbſt wirklich beybehalten hat.

Zu den expanſibeln Fluͤßigkeiten gehoͤren vorzuͤglich die Daͤmpfe und Luftarten, welche man beyde in Gefaͤße einſchließen und ihre Eigenſchaften durch unmittelbare Verſuche pruͤfen kann. Außerdem aber werden hiezu noch verſchiedene,

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[379/0391] das ſie einſchließt, nach allen Seiten hin, zu erkennen geben. Herr Hube wird zwar ſagen, wenn die Luft ſich auszubreiten ſtrebt, ſo geſchieht dieſes darum, weil der Zuſtand, in dem man ſie einſchloß, ſchon ein Zuſtand der Zuſammendruͤckung war, in welchem ſie durch das Gewicht der daruͤber liegenden Luft comprimirt wurde; ſie hat alſo vor dem Waſſer nichts voraus, weil ſich dieſes durch den Druck des daruͤber liegenden Waſſers auch nach allen Seiten auszubreiten ſtrebet. Allein es bleibt hier noch ein ſehr weſentlicher Unterſchied. Man befreye das Waſſer unter der Glocke der Luftpumpe von allem aͤußern Drucke, und ſetze die Verduͤnſtung bey Seite, welche hieher nicht gehoͤrt, ſo wird auf der Oberflaͤche des Waſſers, welche jetzt von allem Drucke frey iſt, nicht die mindeſte Spur eines Beſtrebens nach Ausbreitung merklich ſeyn; und waͤre ja ein ſolches Beſtreben vorhanden, ſo wird es durch Gewicht und Adhaͤſion der Theile allein (nicht durch aͤußern Druck, der jetzt aufgehoben iſt) gaͤnzlich uͤberwunden. In einen ſolchen Zuſtand laſſen ſich die elaſtiſchen Fluida ſchlechterdings nicht verſetzen. Je mehr man ſie von aͤußerm Drucke befreyt, deſto weiter breiten ſie ſich nach allen Seiten aus, ſelbſt aufwaͤrts, alſo der Adhaͤſion ihrer Theile und ſelbſt ihrem Gewichte, gerade entgegen. Und ſollte es auch endlich eine Grenze geben, bey der die Ausbreitung der Daͤmpfe und Luftarten aufhoͤrte, wo ſie ſich alſo in einem aͤhnlichen Zuſtande mit jenem Waſſer im Vacuo befaͤnden; ſo iſt doch dieſe Grenze allen menſchlichen Veranſtaltungen unerreichbar, und ſchon dadurch wird in den Erſcheinungen und Wirkungen ſo viel geaͤndert, daß ohne Unterſcheidung des Tropfbaren vom Elaſtiſch-Fluͤßigen gar kein wohlgeordneter Vortrag der Wiſſenſchaft moͤglich iſt. Ich will damit Hrn. Hubens Vortrag, deſſen Vorzuͤge ich ſchaͤtze, gar nicht tadeln; man wird aber auch finden, daß er jene Unterſcheidung den Worten nach verworfen, aber in der Sache ſelbſt wirklich beybehalten hat. Zu den expanſibeln Fluͤßigkeiten gehoͤren vorzuͤglich die Daͤmpfe und Luftarten, welche man beyde in Gefaͤße einſchließen und ihre Eigenſchaften durch unmittelbare Verſuche pruͤfen kann. Außerdem aber werden hiezu noch verſchiedene,

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/391>, abgerufen am 21.11.2024.