Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite


sich, daß auch die bloße Lauge ohne Funken dieselbe Verwandlung, wiewohl viel langsamer, bewirke. Herr van Marum scheint geneigt, gegen das antiphlogistische System hieraus zu schließen, daß diese Luftart ein bloßes Gemisch aus Salpetersäure und phlogistisirter Luft sey, indem der elektrische Funken sie in diese Bestandtheile zerlege. Allein der Versuch entscheidet für keines von beyden Systemen, weil man auch im antiphlogistischen von ihm Rechenschaft geben kann. Im nitrösen Gas nemlich sind 2 Theile Oxygen, und 1 Theil Azote. Die 2 Theile Oxygen können nur 1/2 Theil Azote bis zur vollkommnen Salpetersäure sättigen, und mit der Lauge vereinigen; der übrige halbe Theil Azote bleibt nun ohne Oxygen mit bloßem Wärmestoff verbunden, mithin als Stickgas, zurück.

Eine neue Bestätigung des Satzes, daß das Azote einen Bestandtheil des nitrösen Gas ausmache, hat den Antiphlogistikern der Versuch des Hrn. Millner gewährt (Philos. Trans. Vol. LXXIX. 1789. p. 300 übers. in Grens Journal der Physik. B. III. S. 83 u. f.), nach welchem nitröse Luft durch einen glühenden Flintenlauf geleitet, sich ganz in Stickgas verwandelt. Die Erklärung ist sehr einfach. Das Metall nimmt den Sauerstoff weg, und wird dadurch verkalkt; das freygemachte Azote bildet mit dem Wärmestoff Stickgas. Dennoch könnten die Gegner sagen, das Glühen habe den Stickstoff erst hergegeben.

Daß überhaupt die antiphlogistische Lehre vom Azote noch manchen Schwierigkeiten ausgesetzt sey, wird bey dem Worte Stickstoff umständlicher gezeigt werden.

Noch ist hier eine eigne von D. Priestley entdeckte und mit dem Namen der dephlogistisirten Salpeterluft (dephlogisticated nitrous air) bezeichnete Gasart zu erwähnen. D. Priestley erhielt sie, wenn er gemeine Salpeterluft über Schwefelleber, oder über Schwefel und Eisen stehen ließ, welche Gemische aber feucht seyn mußten. Aus dieser Entstehungsart sollte man eher eine stärker, als zuvor, phlogistisirte Luft erwarten. Demohngeachtet fand sich, daß Lichter in ihr brannten, und die dephlogistisirte Luft kaum merklich durch sie vermindert ward. Aus diesem Grunde nannte sie


ſich, daß auch die bloße Lauge ohne Funken dieſelbe Verwandlung, wiewohl viel langſamer, bewirke. Herr van Marum ſcheint geneigt, gegen das antiphlogiſtiſche Syſtem hieraus zu ſchließen, daß dieſe Luftart ein bloßes Gemiſch aus Salpeterſaͤure und phlogiſtiſirter Luft ſey, indem der elektriſche Funken ſie in dieſe Beſtandtheile zerlege. Allein der Verſuch entſcheidet fuͤr keines von beyden Syſtemen, weil man auch im antiphlogiſtiſchen von ihm Rechenſchaft geben kann. Im nitroͤſen Gas nemlich ſind 2 Theile Oxygen, und 1 Theil Azote. Die 2 Theile Oxygen koͤnnen nur 1/2 Theil Azote bis zur vollkommnen Salpeterſaͤure ſaͤttigen, und mit der Lauge vereinigen; der uͤbrige halbe Theil Azote bleibt nun ohne Oxygen mit bloßem Waͤrmeſtoff verbunden, mithin als Stickgas, zuruͤck.

Eine neue Beſtaͤtigung des Satzes, daß das Azote einen Beſtandtheil des nitroͤſen Gas ausmache, hat den Antiphlogiſtikern der Verſuch des Hrn. Millner gewaͤhrt (Philoſ. Trans. Vol. LXXIX. 1789. p. 300 uͤberſ. in Grens Journal der Phyſik. B. III. S. 83 u. f.), nach welchem nitroͤſe Luft durch einen gluͤhenden Flintenlauf geleitet, ſich ganz in Stickgas verwandelt. Die Erklaͤrung iſt ſehr einfach. Das Metall nimmt den Sauerſtoff weg, und wird dadurch verkalkt; das freygemachte Azote bildet mit dem Waͤrmeſtoff Stickgas. Dennoch koͤnnten die Gegner ſagen, das Gluͤhen habe den Stickſtoff erſt hergegeben.

Daß uͤberhaupt die antiphlogiſtiſche Lehre vom Azote noch manchen Schwierigkeiten ausgeſetzt ſey, wird bey dem Worte Stickſtoff umſtaͤndlicher gezeigt werden.

Noch iſt hier eine eigne von D. Prieſtley entdeckte und mit dem Namen der dephlogiſtiſirten Salpeterluft (dephlogiſticated nitrous air) bezeichnete Gasart zu erwaͤhnen. D. Prieſtley erhielt ſie, wenn er gemeine Salpeterluft uͤber Schwefelleber, oder uͤber Schwefel und Eiſen ſtehen ließ, welche Gemiſche aber feucht ſeyn mußten. Aus dieſer Entſtehungsart ſollte man eher eine ſtaͤrker, als zuvor, phlogiſtiſirte Luft erwarten. Demohngeachtet fand ſich, daß Lichter in ihr brannten, und die dephlogiſtiſirte Luft kaum merklich durch ſie vermindert ward. Aus dieſem Grunde nannte ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0475" xml:id="P.5.463" n="463"/><lb/>
&#x017F;ich, daß auch die bloße Lauge ohne Funken die&#x017F;elbe Verwandlung, wiewohl viel lang&#x017F;amer, bewirke. Herr <hi rendition="#b">van Marum</hi> &#x017F;cheint geneigt, gegen das antiphlogi&#x017F;ti&#x017F;che Sy&#x017F;tem hieraus zu &#x017F;chließen, daß die&#x017F;e Luftart ein bloßes Gemi&#x017F;ch aus Salpeter&#x017F;a&#x0364;ure und phlogi&#x017F;ti&#x017F;irter Luft &#x017F;ey, indem der elektri&#x017F;che Funken &#x017F;ie in die&#x017F;e Be&#x017F;tandtheile zerlege. Allein der Ver&#x017F;uch ent&#x017F;cheidet fu&#x0364;r keines von beyden Sy&#x017F;temen, weil man auch im antiphlogi&#x017F;ti&#x017F;chen von ihm Rechen&#x017F;chaft geben kann. Im nitro&#x0364;&#x017F;en Gas nemlich &#x017F;ind 2 Theile Oxygen, und 1 Theil Azote. Die 2 Theile Oxygen ko&#x0364;nnen nur 1/2 Theil Azote bis zur vollkommnen Salpeter&#x017F;a&#x0364;ure &#x017F;a&#x0364;ttigen, und mit der Lauge vereinigen; der u&#x0364;brige halbe Theil Azote bleibt nun ohne Oxygen mit bloßem Wa&#x0364;rme&#x017F;toff verbunden, mithin als Stickgas, zuru&#x0364;ck.</p>
              <p>Eine neue Be&#x017F;ta&#x0364;tigung des Satzes, daß das Azote einen Be&#x017F;tandtheil des nitro&#x0364;&#x017F;en Gas ausmache, hat den Antiphlogi&#x017F;tikern der Ver&#x017F;uch des Hrn. <hi rendition="#b">Millner</hi> gewa&#x0364;hrt <hi rendition="#aq">(Philo&#x017F;. Trans. Vol. LXXIX. 1789. p. 300</hi> u&#x0364;ber&#x017F;. in <hi rendition="#b">Grens</hi> Journal der Phy&#x017F;ik. B. <hi rendition="#aq">III.</hi> S. 83 u. f.), nach welchem nitro&#x0364;&#x017F;e Luft durch einen glu&#x0364;henden Flintenlauf geleitet, &#x017F;ich ganz in Stickgas verwandelt. Die Erkla&#x0364;rung i&#x017F;t &#x017F;ehr einfach. Das Metall nimmt den Sauer&#x017F;toff weg, und wird dadurch verkalkt; das freygemachte Azote bildet mit dem Wa&#x0364;rme&#x017F;toff Stickgas. Dennoch ko&#x0364;nnten die Gegner &#x017F;agen, das Glu&#x0364;hen habe den Stick&#x017F;toff er&#x017F;t hergegeben.</p>
              <p>Daß u&#x0364;berhaupt die antiphlogi&#x017F;ti&#x017F;che Lehre vom Azote noch manchen Schwierigkeiten ausge&#x017F;etzt &#x017F;ey, wird bey dem Worte <hi rendition="#b">Stick&#x017F;toff</hi> um&#x017F;ta&#x0364;ndlicher gezeigt werden.</p>
              <p>Noch i&#x017F;t hier eine eigne von D. <hi rendition="#b">Prie&#x017F;tley</hi> entdeckte und mit dem Namen der <hi rendition="#b">dephlogi&#x017F;ti&#x017F;irten Salpeterluft</hi> <hi rendition="#aq">(dephlogi&#x017F;ticated nitrous air)</hi> bezeichnete Gasart zu erwa&#x0364;hnen. D. Prie&#x017F;tley erhielt &#x017F;ie, wenn er gemeine Salpeterluft u&#x0364;ber Schwefelleber, oder u&#x0364;ber Schwefel und Ei&#x017F;en &#x017F;tehen ließ, welche Gemi&#x017F;che aber feucht &#x017F;eyn mußten. Aus die&#x017F;er Ent&#x017F;tehungsart &#x017F;ollte man eher eine &#x017F;ta&#x0364;rker, als zuvor, phlogi&#x017F;ti&#x017F;irte Luft erwarten. Demohngeachtet fand &#x017F;ich, daß Lichter in ihr brannten, und die dephlogi&#x017F;ti&#x017F;irte Luft kaum merklich durch &#x017F;ie vermindert ward. Aus die&#x017F;em Grunde nannte &#x017F;ie<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0475] ſich, daß auch die bloße Lauge ohne Funken dieſelbe Verwandlung, wiewohl viel langſamer, bewirke. Herr van Marum ſcheint geneigt, gegen das antiphlogiſtiſche Syſtem hieraus zu ſchließen, daß dieſe Luftart ein bloßes Gemiſch aus Salpeterſaͤure und phlogiſtiſirter Luft ſey, indem der elektriſche Funken ſie in dieſe Beſtandtheile zerlege. Allein der Verſuch entſcheidet fuͤr keines von beyden Syſtemen, weil man auch im antiphlogiſtiſchen von ihm Rechenſchaft geben kann. Im nitroͤſen Gas nemlich ſind 2 Theile Oxygen, und 1 Theil Azote. Die 2 Theile Oxygen koͤnnen nur 1/2 Theil Azote bis zur vollkommnen Salpeterſaͤure ſaͤttigen, und mit der Lauge vereinigen; der uͤbrige halbe Theil Azote bleibt nun ohne Oxygen mit bloßem Waͤrmeſtoff verbunden, mithin als Stickgas, zuruͤck. Eine neue Beſtaͤtigung des Satzes, daß das Azote einen Beſtandtheil des nitroͤſen Gas ausmache, hat den Antiphlogiſtikern der Verſuch des Hrn. Millner gewaͤhrt (Philoſ. Trans. Vol. LXXIX. 1789. p. 300 uͤberſ. in Grens Journal der Phyſik. B. III. S. 83 u. f.), nach welchem nitroͤſe Luft durch einen gluͤhenden Flintenlauf geleitet, ſich ganz in Stickgas verwandelt. Die Erklaͤrung iſt ſehr einfach. Das Metall nimmt den Sauerſtoff weg, und wird dadurch verkalkt; das freygemachte Azote bildet mit dem Waͤrmeſtoff Stickgas. Dennoch koͤnnten die Gegner ſagen, das Gluͤhen habe den Stickſtoff erſt hergegeben. Daß uͤberhaupt die antiphlogiſtiſche Lehre vom Azote noch manchen Schwierigkeiten ausgeſetzt ſey, wird bey dem Worte Stickſtoff umſtaͤndlicher gezeigt werden. Noch iſt hier eine eigne von D. Prieſtley entdeckte und mit dem Namen der dephlogiſtiſirten Salpeterluft (dephlogiſticated nitrous air) bezeichnete Gasart zu erwaͤhnen. D. Prieſtley erhielt ſie, wenn er gemeine Salpeterluft uͤber Schwefelleber, oder uͤber Schwefel und Eiſen ſtehen ließ, welche Gemiſche aber feucht ſeyn mußten. Aus dieſer Entſtehungsart ſollte man eher eine ſtaͤrker, als zuvor, phlogiſtiſirte Luft erwarten. Demohngeachtet fand ſich, daß Lichter in ihr brannten, und die dephlogiſtiſirte Luft kaum merklich durch ſie vermindert ward. Aus dieſem Grunde nannte ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/475
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/475>, abgerufen am 22.11.2024.