(Halle, 1793. 8.) aufgestellt, und mit dem ganzen Plane seines Vortrags der Physik verwebt hat. Er legte nemlich nunmehr dem Wärmestoff und Phlogiston eine ursprüngliche Expansivkraft bey, welche das Vermögen habe, bey Verbindung dieser Stoffe mit andern Körpern, die Schwerkraft in den Bestandtheilen der letztern aufzuheben oder ruhend zu machen. Weil aber doch nach dieser Erklärung die mit Phlogiston verbundenen Körper nicht langsamer fallen, ob sie gleich bey vermehrter Masse weniger wiegen, so nöthigt ihn dieses, für die Theile, deren Schwerkraft aufgehoben ist, andere Gesetze der Bewegung, als für die noch schwerbleibenden anzunehmen. Er nennt daher jene träge, diese widerstehende Massen, und behauptet, träge Masse habe gar keinen Einfluß auf die Beschleunigung -- ein Satz, der mit allem dem, was wir von Bewegung wissen, im Widerspruche steht, und in die Begriffe von Trägheit, Widerstand und beschleunigender Kraft eine alles verwirrende Dunkelheit bringt. Kein Kenner der höhern Mechanik wird dieser Erklärung Beyfall geben, und ihr verdienstvoller Urheber wird sich vielleicht noch selbst überzeugen, daß durch solche Vertheidigungen des Phlogistons die Lehre der Gegner, wenigstens in den Augen der mathematischen Physiker, weit mehr gewinnen, als verlieren mußte.
Unter den Thatsachen, die man den Antiphlogistikern entgegensetzte, war eine der vornehmsten, daß der für sich bereitete Quecksilberkalk (mercurius praecipitatus per se), wenn er vorher von aller aus der Luft etwa angezognen Feuchtigkeit durch die Glühhitze befreyt worden sey, bey seiner Reduction keine dephlogistisirte Luft gebe. Priestley, Scheele, Bayen u. Lavoisier hatten behauptet, dergleichen Luft daraus erhalten zu haben, und der Letztere sahe dieses als eine Hauptstütze seines Systems, und als einen Hauptgrund gegen das Phlogiston an. Denn da diese Reduction ohne allen Zusatz von brennlichen Dingen geschieht, so ward es, wenn sich Lebensluft dabey entwickelte, sehr wahrscheinlich, daß Reduction überhaupt nicht Verbindung mit Phlogiston, sondern Absonderung der Basis der Lebensluft (des Oxygens) sey, und umgekehrt die Verkalkung nicht in Entziehung
(Halle, 1793. 8.) aufgeſtellt, und mit dem ganzen Plane ſeines Vortrags der Phyſik verwebt hat. Er legte nemlich nunmehr dem Waͤrmeſtoff und Phlogiſton eine urſpruͤngliche Expanſivkraft bey, welche das Vermoͤgen habe, bey Verbindung dieſer Stoffe mit andern Koͤrpern, die Schwerkraft in den Beſtandtheilen der letztern aufzuheben oder ruhend zu machen. Weil aber doch nach dieſer Erklaͤrung die mit Phlogiſton verbundenen Koͤrper nicht langſamer fallen, ob ſie gleich bey vermehrter Maſſe weniger wiegen, ſo noͤthigt ihn dieſes, fuͤr die Theile, deren Schwerkraft aufgehoben iſt, andere Geſetze der Bewegung, als fuͤr die noch ſchwerbleibenden anzunehmen. Er nennt daher jene traͤge, dieſe widerſtehende Maſſen, und behauptet, traͤge Maſſe habe gar keinen Einfluß auf die Beſchleunigung — ein Satz, der mit allem dem, was wir von Bewegung wiſſen, im Widerſpruche ſteht, und in die Begriffe von Traͤgheit, Widerſtand und beſchleunigender Kraft eine alles verwirrende Dunkelheit bringt. Kein Kenner der hoͤhern Mechanik wird dieſer Erklaͤrung Beyfall geben, und ihr verdienſtvoller Urheber wird ſich vielleicht noch ſelbſt uͤberzeugen, daß durch ſolche Vertheidigungen des Phlogiſtons die Lehre der Gegner, wenigſtens in den Augen der mathematiſchen Phyſiker, weit mehr gewinnen, als verlieren mußte.
Unter den Thatſachen, die man den Antiphlogiſtikern entgegenſetzte, war eine der vornehmſten, daß der fuͤr ſich bereitete Queckſilberkalk (mercurius praecipitatus per ſe), wenn er vorher von aller aus der Luft etwa angezognen Feuchtigkeit durch die Gluͤhhitze befreyt worden ſey, bey ſeiner Reduction keine dephlogiſtiſirte Luft gebe. Prieſtley, Scheele, Bayen u. Lavoiſier hatten behauptet, dergleichen Luft daraus erhalten zu haben, und der Letztere ſahe dieſes als eine Hauptſtuͤtze ſeines Syſtems, und als einen Hauptgrund gegen das Phlogiſton an. Denn da dieſe Reduction ohne allen Zuſatz von brennlichen Dingen geſchieht, ſo ward es, wenn ſich Lebensluft dabey entwickelte, ſehr wahrſcheinlich, daß Reduction uͤberhaupt nicht Verbindung mit Phlogiſton, ſondern Abſonderung der Baſis der Lebensluft (des Oxygens) ſey, und umgekehrt die Verkalkung nicht in Entziehung
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(Halle, 1793. 8.) aufgeſtellt, und mit dem ganzen Plane ſeines Vortrags der Phyſik verwebt hat. Er legte nemlich nunmehr dem Waͤrmeſtoff und Phlogiſton eine urſpruͤngliche Expanſivkraft bey, welche das Vermoͤgen habe, bey Verbindung dieſer Stoffe mit andern Koͤrpern, die Schwerkraft in den Beſtandtheilen der letztern aufzuheben oder ruhend zu machen. Weil aber doch nach dieſer Erklaͤrung die mit Phlogiſton verbundenen Koͤrper nicht langſamer fallen, ob ſie gleich bey vermehrter Maſſe weniger wiegen, ſo noͤthigt ihn dieſes, fuͤr die Theile, deren Schwerkraft aufgehoben iſt, andere Geſetze der Bewegung, als fuͤr die noch ſchwerbleibenden anzunehmen. Er nennt daher jene <hirendition="#b">traͤge,</hi> dieſe <hirendition="#b">widerſtehende Maſſen,</hi> und behauptet, traͤge Maſſe habe gar keinen Einfluß auf die Beſchleunigung — ein Satz, der mit allem dem, was wir von Bewegung wiſſen, im Widerſpruche ſteht, und in die Begriffe von Traͤgheit, Widerſtand und beſchleunigender Kraft eine alles verwirrende Dunkelheit bringt. Kein Kenner der hoͤhern Mechanik wird dieſer Erklaͤrung Beyfall geben, und ihr verdienſtvoller Urheber wird ſich vielleicht noch ſelbſt uͤberzeugen, daß durch ſolche Vertheidigungen des Phlogiſtons die Lehre der Gegner, wenigſtens in den Augen der mathematiſchen Phyſiker, weit mehr gewinnen, als verlieren mußte.</p><p>Unter den Thatſachen, die man den Antiphlogiſtikern entgegenſetzte, war eine der vornehmſten, daß der fuͤr ſich bereitete Queckſilberkalk <hirendition="#aq">(mercurius praecipitatus per ſe),</hi> wenn er vorher von aller aus der Luft etwa angezognen Feuchtigkeit durch die Gluͤhhitze befreyt worden ſey, bey ſeiner Reduction keine dephlogiſtiſirte Luft gebe. <hirendition="#b">Prieſtley, Scheele, Bayen</hi> u. <hirendition="#b">Lavoiſier</hi> hatten behauptet, dergleichen Luft daraus erhalten zu haben, und der Letztere ſahe dieſes als eine Hauptſtuͤtze ſeines Syſtems, und als einen Hauptgrund gegen das Phlogiſton an. Denn da dieſe Reduction ohne allen Zuſatz von brennlichen Dingen geſchieht, ſo ward es, wenn ſich Lebensluft dabey entwickelte, ſehr wahrſcheinlich, daß Reduction uͤberhaupt nicht Verbindung mit Phlogiſton, ſondern Abſonderung der Baſis der Lebensluft (des Oxygens) ſey, und umgekehrt die Verkalkung nicht in Entziehung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
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(Halle, 1793. 8.) aufgeſtellt, und mit dem ganzen Plane ſeines Vortrags der Phyſik verwebt hat. Er legte nemlich nunmehr dem Waͤrmeſtoff und Phlogiſton eine urſpruͤngliche Expanſivkraft bey, welche das Vermoͤgen habe, bey Verbindung dieſer Stoffe mit andern Koͤrpern, die Schwerkraft in den Beſtandtheilen der letztern aufzuheben oder ruhend zu machen. Weil aber doch nach dieſer Erklaͤrung die mit Phlogiſton verbundenen Koͤrper nicht langſamer fallen, ob ſie gleich bey vermehrter Maſſe weniger wiegen, ſo noͤthigt ihn dieſes, fuͤr die Theile, deren Schwerkraft aufgehoben iſt, andere Geſetze der Bewegung, als fuͤr die noch ſchwerbleibenden anzunehmen. Er nennt daher jene traͤge, dieſe widerſtehende Maſſen, und behauptet, traͤge Maſſe habe gar keinen Einfluß auf die Beſchleunigung — ein Satz, der mit allem dem, was wir von Bewegung wiſſen, im Widerſpruche ſteht, und in die Begriffe von Traͤgheit, Widerſtand und beſchleunigender Kraft eine alles verwirrende Dunkelheit bringt. Kein Kenner der hoͤhern Mechanik wird dieſer Erklaͤrung Beyfall geben, und ihr verdienſtvoller Urheber wird ſich vielleicht noch ſelbſt uͤberzeugen, daß durch ſolche Vertheidigungen des Phlogiſtons die Lehre der Gegner, wenigſtens in den Augen der mathematiſchen Phyſiker, weit mehr gewinnen, als verlieren mußte.
Unter den Thatſachen, die man den Antiphlogiſtikern entgegenſetzte, war eine der vornehmſten, daß der fuͤr ſich bereitete Queckſilberkalk (mercurius praecipitatus per ſe), wenn er vorher von aller aus der Luft etwa angezognen Feuchtigkeit durch die Gluͤhhitze befreyt worden ſey, bey ſeiner Reduction keine dephlogiſtiſirte Luft gebe. Prieſtley, Scheele, Bayen u. Lavoiſier hatten behauptet, dergleichen Luft daraus erhalten zu haben, und der Letztere ſahe dieſes als eine Hauptſtuͤtze ſeines Syſtems, und als einen Hauptgrund gegen das Phlogiſton an. Denn da dieſe Reduction ohne allen Zuſatz von brennlichen Dingen geſchieht, ſo ward es, wenn ſich Lebensluft dabey entwickelte, ſehr wahrſcheinlich, daß Reduction uͤberhaupt nicht Verbindung mit Phlogiſton, ſondern Abſonderung der Baſis der Lebensluft (des Oxygens) ſey, und umgekehrt die Verkalkung nicht in Entziehung
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 5. Leipzig, 1799, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch05_1799/55>, abgerufen am 24.11.2024.
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