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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Leben der Schwedischen
als durch eine tobende Wehmuth und Un-
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten
wir wieder einen Brief, und die Aufschrift
war Carlsons Hand. Soll ichs aufrich-
tig gestehen, so erschrack ich weit mehr,
daß er noch lebte, als ich zuerst über sei-
nen Tod erschrocken war. Gott, dachte
ich, was wird dieses wieder werden?
Carlson wird seiner Krankheit wegen das
Lager verlassen, und wohl gar abgedankt
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu
Marianen rufen. Mariane nur war vor
Freuden ganz außer sich. Der Brief
war an sie, und sie brach ihn nicht etwan
gleich auf. O nein, so viel Zeit ließ ihr
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie
behielt ihn in den Händen, als einen
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-
nen will, bis man sich zehnmal vorgestel-
let hat, wie viel darinnen seyn könnte.
Da sie ihn endlich erbrach, so war der
Brief schon viele Wochen älter, als der-

jenige,

Leben der Schwediſchen
als durch eine tobende Wehmuth und Un-
geduld. Jn etlichen Wochen erhielten
wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift
war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich-
tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr,
daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei-
nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte
ich, was wird dieſes wieder werden?
Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das
Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt
haben. Die Liebe wird ihn wieder zu
Marianen rufen. Mariane nur war vor
Freuden ganz außer ſich. Der Brief
war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan
gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr
ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab
ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie
behielt ihn in den Händen, als einen
unbekannten Schatz, den man nicht eröff-
nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel-
let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte.
Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der
Brief ſchon viele Wochen älter, als der-

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[108/0108] Leben der Schwediſchen als durch eine tobende Wehmuth und Un- geduld. Jn etlichen Wochen erhielten wir wieder einen Brief, und die Aufſchrift war Carlſons Hand. Soll ichs aufrich- tig geſtehen, ſo erſchrack ich weit mehr, daß er noch lebte, als ich zuerſt über ſei- nen Tod erſchrocken war. Gott, dachte ich, was wird dieſes wieder werden? Carlſon wird ſeiner Krankheit wegen das Lager verlaſſen, und wohl gar abgedankt haben. Die Liebe wird ihn wieder zu Marianen rufen. Mariane nur war vor Freuden ganz außer ſich. Der Brief war an ſie, und ſie brach ihn nicht etwan gleich auf. O nein, ſo viel Zeit ließ ihr ihre vergnügte Unruhe nicht. Sie gab ihn uns auch nicht zu erbrechen. Sie behielt ihn in den Händen, als einen unbekannten Schatz, den man nicht eröff- nen will, bis man ſich zehnmal vorgeſtel- let hat, wie viel darinnen ſeyn könnte. Da ſie ihn endlich erbrach, ſo war der Brief ſchon viele Wochen älter, als der- jenige,

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/108>, abgerufen am 21.11.2024.