[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.Leben der Schwedischen wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be-weint mich nicht als euren Mann, son- dern als euren Bruder. Trauriger Na- me! Verschweigt unserer Tochter unser Schicksal, wenn sie leben bleibt. Ver- bergt es, wenn es möglich ist, vor euch selbst. Mein Gewissen macht mir keinen Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al- lein es beunruhiget mich, daß ich euch, nach der traurigen Entdeckung, als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wol- len. Gott, wie viel anders denken wir auf dem Todbette, als in unserm Leben! Was sieht nicht unsere Vernunft, wie viel sieht sie nicht, wenn unsere Leiden- schaften stille und entkräftet sind! Ja, ja, ich sterbe, ich sterbe getrost. Doch Gott! ich soll euch nicht wiedersehn? Jch soll euch verlassen, liebste Mariane? Jch soll sterben? Welche entsetzliche Em- pfindungen fangen itzt in mir an zu ent- stehen! Ach ich kann nicht mehr schrei- ben! --- So weit war ich vor einer halben
Leben der Schwediſchen wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be-weint mich nicht als euren Mann, ſon- dern als euren Bruder. Trauriger Na- me! Verſchweigt unſerer Tochter unſer Schickſal, wenn ſie leben bleibt. Ver- bergt es, wenn es möglich iſt, vor euch ſelbſt. Mein Gewiſſen macht mir keinen Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al- lein es beunruhiget mich, daß ich euch, nach der traurigen Entdeckung, als meine Frau zu lieben nicht habe aufhören wol- len. Gott, wie viel anders denken wir auf dem Todbette, als in unſerm Leben! Was ſieht nicht unſere Vernunft, wie viel ſieht ſie nicht, wenn unſere Leiden- ſchaften ſtille und entkräftet ſind! Ja, ja, ich ſterbe, ich ſterbe getroſt. Doch Gott! ich ſoll euch nicht wiederſehn? Jch ſoll euch verlaſſen, liebſte Mariane? Jch ſoll ſterben? Welche entſetzliche Em- pfindungen fangen itzt in mir an zu ent- ſtehen! Ach ich kann nicht mehr ſchrei- ben! --- So weit war ich vor einer halben
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Leben der Schwediſchen
wohl, Mariane, lebt ewig wohl! Be-
weint mich nicht als euren Mann, ſon-
dern als euren Bruder. Trauriger Na-
me! Verſchweigt unſerer Tochter unſer
Schickſal, wenn ſie leben bleibt. Ver-
bergt es, wenn es möglich iſt, vor euch
ſelbſt. Mein Gewiſſen macht mir keinen
Vorwurf, daß ich euch geliebt habe; al-
lein es beunruhiget mich, daß ich euch,
nach der traurigen Entdeckung, als meine
Frau zu lieben nicht habe aufhören wol-
len. Gott, wie viel anders denken wir
auf dem Todbette, als in unſerm Leben!
Was ſieht nicht unſere Vernunft, wie
viel ſieht ſie nicht, wenn unſere Leiden-
ſchaften ſtille und entkräftet ſind! Ja,
ja, ich ſterbe, ich ſterbe getroſt. Doch
Gott! ich ſoll euch nicht wiederſehn?
Jch ſoll euch verlaſſen, liebſte Mariane?
Jch ſoll ſterben? Welche entſetzliche Em-
pfindungen fangen itzt in mir an zu ent-
ſtehen! Ach ich kann nicht mehr ſchrei-
ben! --- So weit war ich vor einer
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