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[Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747.

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Gräfinn von G **
hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen
nichts entzogen, und zu der Schönheit ih-
res Gemüths noch vieles hinzugesetzt. Sie
war durch den Umgang nur noch liebens-
würdiger geworden. Sie war erst acht-
zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch
in ihrem völligen Frühlinge. Dormund
wußte sich bald bey ihr gefällig zu machen.
Vielleicht liebte sie in dem Freunde ihres
verstorbenen Mannes noch ihren Mann.
Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam
einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe-
deutenden Stimme an: Madam, es wäre
doch wohl billig gewesen, daß wir Herr
Dormunden die Uhr, die er mir von mei-
nem Manne überbracht, zu einem Anden-
ken gelassen hätten. Jch würde es gewiß
gethan haben, wenn mein Portrait nicht
darinn gewesen wäre; allein so schickt
sichs wohl nicht. Jch verstund diese Spra-
che sehr gut. Mariane, sagte ich, was
machen sie sich für ein Bedenken, dem ihr
Portrait zu geben, dem sie unstreitig ihr

Herz
H 2

Gräfinn von G **
hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen
nichts entzogen, und zu der Schönheit ih-
res Gemüths noch vieles hinzugeſetzt. Sie
war durch den Umgang nur noch liebens-
würdiger geworden. Sie war erſt acht-
zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch
in ihrem völligen Frühlinge. Dormund
wußte ſich bald bey ihr gefällig zu machen.
Vielleicht liebte ſie in dem Freunde ihres
verſtorbenen Mannes noch ihren Mann.
Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam
einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe-
deutenden Stimme an: Madam, es wäre
doch wohl billig geweſen, daß wir Herr
Dormunden die Uhr, die er mir von mei-
nem Manne überbracht, zu einem Anden-
ken gelaſſen hätten. Jch würde es gewiß
gethan haben, wenn mein Portrait nicht
darinn geweſen wäre; allein ſo ſchickt
ſichs wohl nicht. Jch verſtund dieſe Spra-
che ſehr gut. Mariane, ſagte ich, was
machen ſie ſich für ein Bedenken, dem ihr
Portrait zu geben, dem ſie unſtreitig ihr

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[115/0115] Gräfinn von G ** hatte ihr von ihren äußerlichen Reizungen nichts entzogen, und zu der Schönheit ih- res Gemüths noch vieles hinzugeſetzt. Sie war durch den Umgang nur noch liebens- würdiger geworden. Sie war erſt acht- zehn oder neunzehn Jahre alt, und noch in ihrem völligen Frühlinge. Dormund wußte ſich bald bey ihr gefällig zu machen. Vielleicht liebte ſie in dem Freunde ihres verſtorbenen Mannes noch ihren Mann. Genug, er gewann ihr Herz. Sie kam einmal zu mir, und fieng mit einer vielbe- deutenden Stimme an: Madam, es wäre doch wohl billig geweſen, daß wir Herr Dormunden die Uhr, die er mir von mei- nem Manne überbracht, zu einem Anden- ken gelaſſen hätten. Jch würde es gewiß gethan haben, wenn mein Portrait nicht darinn geweſen wäre; allein ſo ſchickt ſichs wohl nicht. Jch verſtund dieſe Spra- che ſehr gut. Mariane, ſagte ich, was machen ſie ſich für ein Bedenken, dem ihr Portrait zu geben, dem ſie unſtreitig ihr Herz H 2

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Zitationshilfe: [Gellert, Christian Fürchtegott]: Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G.***. Bd. 1. Leipzig, 1747, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gellert_leben01_1747/115>, abgerufen am 21.11.2024.